BIM-ba­sier­te In­stand­set­zung

Eine international besetzte Arbeitsgruppe der Vereinigung für Brücken und Hochbau hat sich vorgenommen, dem Building Information Modelling im Infrastrukturbau von Seiten des Asset Managements auf die Sprünge zu helfen. Im Fokus steht das Erhaltungsmangement von Brücken.

Publikationsdatum
24-03-2023

Digitale Zwillinge sind umso wertvoller, wenn sie über den gesamten Lebens­zyklus eines Bauwerks genutzt werden können. Dem Facility Management von Hochbauten entspricht im Infrastrukturbau die Phase «Betrieb und Unterhalt». Der Einsturz des Polcevera-Viadukts von Riccardo Morandi in Genua führte am 14. August 2018 die Bedeutung eines transparenten Erhaltungsmanagements drastisch vor Augen (vgl. TEC21 7–8/2019 «Polcevera-Viadukt Genua»).

Während Bahnbrücken ohne weiteres eine Lebensdauer von 100 Jahren erreichen können, treten die seit dem Zweiten Weltkrieg im Boom der Automobilisierung in Europa und den USA errichteten Brücken aus dem damals neuen Baustoff Spannbeton heute in ihre kritische Phase ein: Sie erreichen nun ein Alter von 60 bis 70 Betriebsjahren unter ständig zunehmendem Verkehr und aggressiven Einwirkungen (Streusalz, Auspuff­gase). Sofern sie nicht wegen schwerer Schäden an Koppel­fugen oder schlecht verpressten Spanngliedern vorzeitig abgebrochen werden mussten, waren zwischen­zeitlich Abdichtungen und Beläge zu erneuern, Lager und Fahrbahnübergänge auszuwechseln und oft Verstärkungsmassnahmen am Tragwerk selbst nötig – ein Patchwork der Ertüchtigung mit nicht immer nachhaltigem Erfolg.

In der EU wurden bereits vor dem Einsturz der Morandi-Brücke Initiativen zu gemeinschaftlichen Standards in Inspektion und Unterhalt der Infrastruktur lanciert. Während im Strassenunterhalt GIS/LIS-Datenbanken mit inter­aktiven Lageplänen und attributiven Informationen zu Alter und Massnahmenhistorie ausreichen, ist bei Kunstbauten eine 3-D-Erfassung des Zustands und der Schadensbilder wünschenswert, wenn möglich mit ­Ursachenanalyse und Bewertung der zukünftigen Schadensentwicklung.

Europäische Inspektionsstandards

Eine der sieben Roadmaps der Strategic Transport Research and Innovation Agenda (Stria) der EU von 1996 befasste sich mit der Verkehrsinfrastruktur. Dazu wurde 1998 und 1999 das Brime-Projekt (Bridge Management in Europe) zur Optimierung des Brückenunterhalts aufgebaut, an dem sich unter Führung von Grossbritannien die Länder Norwegen, Deutschland, Frankreich, Spanien und Slowenien beteiligten. 2001 erschien der Endbericht mit einem Überblick über die nationalen Brückenmanagementsysteme (BMS) mit Zustandserfassung, Bewertung der Tragfähigkeit, Modellierung geschädigter Tragwerke und der Schädigungsmechanismen, Entscheidungskriterien über Reparatur oder Ersatzneubau sowie Unterhaltsplanung. Erstmals wurde ein einheitliches europäisches Brückenmanagement skizziert.

Es dauerte dann bis 2015, bis im Rahmen der Europäischen Koordination in Wissenschaft und Technologie (Cost) wieder eine Initiative zur Vereinheitlichung ergriffen wurde, dies hinsichtlich der Qualitätsspezifikationen für Strassenbrücken. Daraus erwuchs die Europäische Vereinigung zur Qualitätskontrolle von Brücken mit Sitz in Wien. Als weiteres Resultat gründete die Internationale Vereinigung für Brücken und Hochbau unter Dr. Rade Hajdin die Technische Kommission 5 «Existing Structures» (vgl. «Internationale Vereinigung für Brücken und Hochbau»). Ein ­erstes Symposium zum Thema «Towards a Resilient Built En­vironment – Risk and Asset Management» fand 2019 in Portugal statt.

Internationale Vereinigung für Brücken und Hochbau
 

Vor 94 Jahren, 1929, wurde in Zürich die Internationale Vereinigung für Brücken und Hochbau (IVBH) gegründet. Über 2500 Mitglieder in 100 Ländern tauschen sich regelmässig zu Forschungsergebnissen und Praxiserfahrungen aus. Die Vereinigung gibt das renommierte Journal of Structural Engineering International (SEI) heraus und unterhält auf www.iabse.org eine e-Learning-Plattform, demnächst auch eine gebührenpflichtige Akademie. Die Technischen Kommissionen wurden anstelle der früheren Konzentration auf Bauweisen und Tragwerkstypen neu entlang des Bauwerkslebenszyklus ausgerichtet. Die Kommission 5 beschäftigt sich mit bestehenden Tragwerken und umfasst folgende Arbeitsgruppen:
 

TG 5.1 – Forensic structural engineering

TG 5.2 – Gerontology of bridge structures

TG 5.3 – Definition of key performance indicators

TG 5.4 – Structure management systems & decision-making models

TG 5.5 – Conservation and Seismic Strengthening of Historical Structures

TG 5.6 – BIM in Structure Management

TG 5.8 – Resilience of Existing Structures

TG 5.9 – Remote Inspection of Bridges
 

Pro Jahr organisieren mehrere Ländergruppen interne Symposien, so 2023 in Istanbul und New Delhi. Die IVBH verfügt auch über eine Schweizer Sektion, die jährlich das Young Engineers Symposium veranstaltet. Sie ist nicht mit dem SIA-Fachverein für Brücken- und Hochbau (FBH) identisch.
 

GIS/LIS als Grundlage der Digitalisierung

Mit dem Internetzeitalter wurden als Erstes die Tunnel­leitsysteme über Webprotokolle an die Verkehrs­steue­rung der Polizei angebunden. Mehrere Astra-Gebiets­einheiten verfügen über eigene Leitzentralen zur technischen Überwachung der Betriebs- und Sicherheitsausrüstung im Normalbetrieb und im Ereignisfall. Die Unterlagen für die Einsatzdienste wurden digitalisiert, sodass sich die Feuerwehr per Tablet­computer zum Beispiel über die Drainageleitungen, Ölabscheider und Löschwasserauffangbecken orientieren kann. Auch für den Routineunterhalt wurden die im Rahmen des Benchmarkings im Nationalstrassenunterhalt ­erstellten Mengengerüste und Pflegepläne von Papier auf interaktive geografische Informationssysteme und ERP-Workflows für die Beauftragung und Rapportierung des Aufwands programmiert.

Für die Instandhaltung der Strassen und Werkleitungen im Untergrund war es entsprechend nur ein kleiner Schritt, alle relevanten Informationen zum Alter, zu den letzten Reparaturen und dem aktuellen Zustand in GIS/LIS-Datenbanken einzupflegen. Sogar Kamera­fahrten zu Road-Safety-Audits können georeferenziert abgerufen werden.

Was fehlt, ist die dritte Dimension zum Strassenaufbau bzw. zur Tiefenlage von Leitungen. Diese sind meist nur als Querprofile oder Objektattribute abrufbar, jedoch nicht als virtuelle 3-D-Darstellung verfügbar; man spricht deshalb auch von «2.5-D». Der Vorteil der GIS/LIS-Systeme besteht darin, mit beherrschbarem Datenvolumen grosse Strecken und ganze Netzwerke abbilden und ihren Instandhaltungsbedarf visualisieren und priorisieren zu können. Erstmals wurden im Londoner Crossrail-Projekt in grösserem Umfang 3-D-Modelle der bestehenden Untergrundhindernisse erstellt.

BIM im Infrastrukturbau

Vor allem in Skandinavien und den Niederlanden ­beginnt BIM im Brückenneubau Einzug zu halten, mit Zusatznutzen für die Bauphasenplanung (inkl. Arbeitssicherheit) und das Kostenmanagement, die nach der räumlichen Tragwerksgeometrie als vierte bzw. fünfte Dimension bezeichnet werden. Als sechste Dimension können Informationen zur Nachhaltigkeit integriert werden, zum Beispiel die in den Bauteilen enthaltene graue Energie oder Hinweise zur Entsorgung. Bei der Randselva-Brücke in Norwegen modellierten die Ingenieure die Bewehrungsführung dreidimensional und prüften bei kritischen Details die Kollision von Bewehrungseisen untereinander, mit Spanngliedhüllrohren oder anderen Einbauteilen (vgl. TEC21 32/2021 «BIM ist kein Hexenwerk»). Dazu mussten die betreffenden Objekte einzeln definiert werden; auf diese Weise erübrigen sich sowohl physische Mockups zur Machbarkeit als auch ein Plansatz auf Papier (BIM2FIELD). Da es sich um einen Freivorbau handelt, war die Abrufbarkeit der einzelnen Bauetappen wichtig, wie die Schalungsverankerung oder die Er­gänzung der Bewehrung und Hüllrohre. Um das BIM-Hauptmodell nicht unnötig aufzublähen, definierten die Verantwortlichen eine Schnittstelle, mit der alle Beteiligten, z.B. der Schalungslieferant, ihr eigenes Teilmodell kreieren konnten.

Der Schritt vom BrIM zum BMS

Alle diese BIM-Anwendungen betreffen Neubauinformationen und werden beim Brückeneigner als digitale Bauwerksakte («as-built») archiviert. Erst die siebte Dimension (7-D BIM) unternimmt den Schritt zur Nutzung der Informationen als Hilfsmittel im Erhaltungsmanagement (Bridge Information Model, BrIM). Dazu gehören die Visualisierung der Inspektionsbefunde, die Priorisierung von Erhaltungsmassnahmen und deren Chronik, also die Fortschreibung des digitalen Zwillings zum «as-maintained»-Modell. Sofern die Tragwerksgeometrie für Abplatzungen oder Bewehrungskorrosion nachgeführt und attributiv die Materialeigenschaften wie Elastizitätsmodul oder Druckfestigkeit aktualisiert würden, könnte aus dem digitalen Zwilling heraus eine Berechnung der Resttragfähigkeit gestartet (BIM2FEM) und unter Umständen die weitere Schadensentwicklung prognostiziert werden. Eine detaillierte Modellierung «as-maintained» – wenn auch vielleicht nur bis zur Steifigkeit im gerissenen Zustand – ist auch zur Identifizierung fortschreitender Verschlechterung des Tragwerks nötig («structural health monitoring»), zum Beispiel durch Identifikation der Eigenfrequenzen aus Schwingungen unter Verkehr oder Windböen mittels Spektralanalyse. Solchen Aufwand werden nur wenige hochentwickelte Länder betreiben und auch diese nur für bestimmte Brückentypen wie Schrägseilbrücken.1

Hingegen würde eine geringere Modellierungstiefe im Brückeninformationsmodell (BrIM) ausreichen, wenn es nur um die räumliche Zuordnung von Inspektionsbefunden zu Bauteilen geht. Ähnlich wie beim Mapping von Tunnelscans auf die Tunnelschale würden Inspektionsfotos auf die Oberfläche eines Körpers projiziert und Messresultate (wie Chloridgehalt) attributiv verknüpft.2 Dies würde ausreichen, um Brückenin­spektoren bauteilbezogene Checkpunkte online zur Verfügung zu stellen, z.B. als Einblendung über eine VR-Brille, um die Verschlechterung von Schadensbildern zu erkennen.

Dieser Artikel und weitere Beiträge zum Thema finden sich in TEC21 9/2023 «Infrastruktur digital erfassen».

Anmerkungen

 

1 S.-C. Shim u.a. Development of BIM-based bridge maintenance systems for cable-stayed bridges. Smart Structures Systems, vol. 20 no. 6 (2017), 697-708.

 

2 J. Taraben u.a.: Bridge condition assessment basedon image data and digital twins. IABSE Symposium Prague 2022.

 

3 R. Hajdin&V. Samec: BIM and B(r)MS – Current status and challenges. IABSE Symposium Prague 2022.

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