Ein neu­er Blick durch be­kann­te Bil­der

Neubau der Schweizerischen Botschaft in Addis Abeba

Der Neubau der Schweizerischen Botschaft mit Residenz in Addis Abeba soll nachhaltig sein, die Schweiz repräsentieren und die äthiopische ­Baukultur reflektieren. Die ARGE Bühler Hartmann und Leibundgut Architekten überzeugte die Jury mit einem vieldeutigen Projekt.

Publikationsdatum
23-05-2019

Der alte, verhältnismässig ­bescheidene Schweizer Botschaftsbau im Westen von Addis Abeba liegt in Flughafennähe an einer der grossen Hauptver­kehrsachsen der Stadt. Das ostwärts leicht abfallende Grundstück umfasst 4825 m2. Darauf entsteht nun eine neue, übersichtliche Ge­samt­anlage. Das Bundesamt für Bauten und Logistik (BBL) hat deshalb einen Projektwettbewerb ausgeschrieben, an dem sich 140 Architekturbüros beteiligten.

Der neue Komplex soll einen effizienten und optimierten Betriebsablauf von Botschaft und ­Residenz ermöglichen, die Publikumsströme differenzieren sowie Sicherheit und Repräsentation gewährleisten. Architektonisch soll die Schweiz angemessen vertreten sein und die lokale Baukultur einbezogen werden.

Klein und doch gross

Bei dem einstimmig gewählten Gewinnerprojekt «The Flag Incident» von ARGE Bühler Hartmann und Leibundgut Architekten in Zusammenarbeit mit Goldrand Landschaftsarchitektur aus Zürich lobt die Jury die atmosphärische Dichte des Entwurfs. Weiter werde dem lokalen Kontext und dem Raumprogramm der Schweizerischen Botschaft mit einem Paradoxon Rechnung getragen: Die vier nutzungsspezifischen Volumen sind funktional intelligent in die Topografie eingefügt, und eine teils offene, teils geschlossene Balkon- und Dachstruktur fasst sie zu einem klar definierten, aber räumlich durchlässigen Gesamtkörper zusammen. Dies macht die Botschaft als Ganzes sowohl gross und repräsentativ als auch in ihren Einzel­bereichen bescheiden. Gebauter und umbauter Raum ergänzen sich zu einer Struktur, die den Garten miteinbezieht. Anzumerken ist auch, dass die Volumen zum Hof und Garten hin orientiert und so vom Stras­senlärm abgewandt sind.

Nachhaltig – nach Schweizer Strategie?

Im Programm wird ein energie­­neutraler Bau mit wirtschaftlichen ­Betriebskosten gefordert. Doch inwieweit ist darüber hinaus die geforderte Umsetzung der Schweizer Nachhaltigkeitsstrategie – gerade im Bereich Umwelt – in einem aussereuropäischen Land realistisch? Bei der Erstellung, die einen grossen Anteil der grauen Energie ausmacht, sind Daten zum Energieverbrauch bei Materialproduktion, Bau und Transport sowie zum späteren Rückbau gefragt. Diese können in Addis Abeba freilich nicht auf die gleiche Weise erhoben werden wie in der Schweiz. Caroline Schnellmann vom BBL sagt dazu: «Die Wirtschaftlichkeit des Projekts hat bei der Jurierung ein Bauökonom untersucht. Eine vertiefte Analyse des lokalen Kontexts betreffend Materialien, deren Trans­port, Ort der Herstellung und Dauerhaftigkeit erfolgt während der Phasen Vor- und Bauprojekt mit den lokalen Planern.»

International und lokal

Weiter verlangt das Programm einen städtebaulich und architektonisch überzeugenden Bau. Die Architekten von «The Flag Incident» nehmen Stellung und entziehen sich weitgehend kolonialromantischer Materialisierung und Gestaltung: Wichtig sei, dass etwas entstehe, das nicht aus europäischen Klischees von afrikanischer Architektur hervorgeht. Florian Hartmann, Piero Bühler und Johannes Leibundgut finden Lehmarchitektur und Lowtech spannend, wollen aber mit dem Entwurf nicht implizieren, dass diese Bauweisen die einzig angemessenen im afrikanischen Kontext seien.

In Addis Abeba sind grossmassstäbliche Bauten vor allem aus Beton. So bildet eine Stahl-Beton-Konstruktion die Grundstruktur des Botschaftsbaus; sie schafft die gewünschte Offenheit und ermöglicht flexible Raumdispositionen. Vernakuläre Techniken sollen aber unter Umständen trotzdem einen Platz finden. Die Architekten schlagen im Projekt eine Hourdis­decke aus Lehm vor. Es könnten aber auch Lehmwände sein – konkret ergebe sich das vor Ort mit den lokalen ausführenden Partnern. Dafür sind sie auch mit der Architekturfakultät der EiABC University in Addis Abeba in Kontakt (siehe TEC21 21/2013). Unter anderem dort hoffen sie bei ihrem anstehenden Besuch erfahrene lokale Partner mit Gespür für bauliche Qualität zu finden.

Die Architekten begrüssen die Zusammenarbeit mit dem BBL und profitieren von dessen Bauerfahrung im Ausland. Die örtlichen und schweizerischen Normen werden auf ihre Machbarkeit untersucht und dementsprechend umgesetzt. Hier ist gesunder Menschenverstand gefragt.

Grüne Kulisse

«The Flag Incident» kündigt sein Projekt anstelle der gängigen Ren­derings mit einer Collage an. Die Vorlage ist unter Architekten bekannt: Fein angeschrieben steht am Bild­rand, worum es sich bei der Referenz handelt: «Lina Bo Bardi, Casa de Vidro, São Paulo». Was das Bild prägt, ist neben dem eleganten Innenraum der Blick auf die üppige Vegetation im Garten. Die Referenz aus Südamerika stammt aus dem humiden tropischen Kontext und schärft wohl gerade dadurch den Blick auf die realen Umstände: Addis Abeba, nördlich des Äquators, 2300 m ü. M. gelegen, ist geprägt vom subtropischen Hoch­land­klima: milde Winter, eine Trockenperiode von Oktober bis Mai sowie wenige Wochen im warmen Sommer, während derer fast der ­ganze Jahres­niederschlag fällt.

Im Wettbewerbsprogramm ist der Einbezug des bestehenden Botschaftsgartens mit fünf erhaltenswerten Bäumen gewünscht. Beim heutigen Garten handelt es sich wie bei vielen anderen repräsentativen Anlagen in der Stadt um einen bewässerten Aussenraum und nicht um einen eigentlichen Naturraum, wie dies das Bild von Lina Bo Bardi vermittelt. Die Architekten erklären: «Der Dschungel auf dem Bild steht zwar in Anlehnung an den bestehenden Garten – doch soll es keine idealtypische Abbildung der Wirklichkeit sein.»

Der konkrete mit Goldrand Landschaftsarchitektur erarbeitete Vorschlag distanziert sich denn auch wieder etwas von dem Bild. Die bestehenden Bäume sollen mit regionalen ergänzt werden, darum herum ist jedoch eine Rasen­fläche mit Blumenbeeten und Sträuchern vorgesehen. Adrian Ulrich von Gold­rand Landschaftsarchitektur schlägt zudem ein sinnvolles Regenwassermanagement vor – was vermutlich auch die ökologische Bewässerung umfasst.

In diesem Kontext war es für die Architekten kein Thema, höher zu bauen, um Grünfläche zu gewinnen, die ja ausreichend vorhanden ist. Ein Teil des Terrains läuft dafür unter der hochgehobenen EG-Plattform durch.

Formenreich und dicht

Verdichten könnte aber in Addis Abeba mit seinen unzähligen eingeschossigen Bauten durchaus ein Thema sein – immerhin gibt es für die Nachbarschaft der Botschaft einen Masterplan, der höhere Bauten vorsieht. Man hätte sich von der Jury diesbezüglich akzentuiertere Stellungnahmen gewünscht.

Ein genauerer Blick lohnt sich deshalb auf das Projekt «Bartsi Meder» von Hiru-atelier. Der vier­geschossige Bau stellt einen baulich dichteren Vorschlag dar als die meisten anderen Beiträge. Der Körper schirmt die Parzelle von der Strasse ab, und er wird durch einen rechtwinkligen, niedrigeren Annex der Residenz ergänzt. Diese Disposition lässt nicht nur mehr Grünfläche frei, sondern sie bleibt auch zusammenhängend. Die Jury bedauert allerdings, dass die Fassaden keinen Bezug zu den beiden unterschiedlichen Körpern und ihrer Nutzung haben.

Studio Cornel Staeheli & Lisa Grübel mit Claudia Wolfensberger Landschaftsarchitektur haben den Bau bei ihrem Projekt «Pllaradis» oberirdisch eingeschossig mit Innenhöfen ins Gelände gesetzt. Von den repräsentativen Bereichen können nicht nur der Botschafter, sondern auch die Kanzleiangestellten profitieren. Mit einer Einstellhalle überschreitet das Projekt aber die Flächenvorgaben. Auch befinden sich die schlecht belichteten Angestellten- und Gästeräume im Untergeschoss. Durch die Materialisierung unter anderen auch mit tragenden Lehmbausteinen greift das Projekt örtliche Bauweisen auf. Es fällt auf, dass viele Verfasser wie die Gewinner oder Hiru-atelier Lehm als Baumaterial in vielfältigen Formen und Techniken vorschlagen. Hochqualitative Lehmbauten und -bauteile werden in Europa derzeit mit viel Experteneinsatz entwickelt. Anscheinend halten Schweizer Architekten bei Projekten in Afrika, egal welche Funktion sie erfüllen – lokale Schule, einfaches Wohnhaus oder Botschaft –, Lehm für ein Mittel, mit dem sie den Bau «lokal verankern». Dabei setzen sie das Wissen um die Techniken – in europäischer Ausführungsqualität – in Afrika scheinbar als selbstverständ­lich voraus. Hoffentlich werden die vorgeschla­genen Lehmelemente bei der Botschaft in diesem repräsentativen Zusammenhang eine Art Vorbildfunktion haben und zeigen, dass Lehm neben einfachen ländlichen Beispielen auch in hoher Qualität in ­Städten Fuss fassen kann.

 

Weitere Pläne und Bilder finden Sie in der Rubrik Wettbewerbe.

Empfehlungen zur Weiterbearbeitung

1. Rang, 1. Preis: «The Flag Incident»
ARGE Bühler Hartmann und Leibundgut Architekten, beide Zürich; Landschaftsarchitektur: Goldrand, Zürich

Weitere Teilnehmer

2. Rang, 2. Preis: «Pllaradis»
Studio Cornel Staeheli & Lisa Grübel, Zürich; Landschaftsarchitektur: Claudia Wolfensberger, Winterthur; Bauphysik: Basler & Hofmann, Zürich; Ingenieur: Felix Hilgert, Zürich
3. Rang, 3. Preis: «zafi»
Studio BoA, Zürich
4. Rang, 4. Preis: «Bartsi Meder»
Hiru-atelier, Lausanne
5. Rang, 5. Preis: «Mereti»
Buchner Bründler Architekten, Basel
6. Rang, 6. Preis: «Alfred»
kit / architects, Zürich; Landschaftsarchitektur: Atelier TP, Rapperswil; Ingenieur: Schnetzer Puskas, Basel, Zürich, Bern; Gebäudetechnik: Waldhauser + Hermann, Münchenstein; Stadtforschung: Sascha Delz, Zürich
7. Rang, 7. Preis: «Flora»
Ken Architekten, Zürich;
Ankauf: «Pa(a)rterre»
Rauber & Rieder, Zürich

FachJury

Hanspeter Winkler, Architekt, Vorsitz; Jodok Brunner, Architekt, BBL; Christian Maeder, Architekt, BSA, ro.ma. Archiekten, Luzern; Daniel Niggli, Architekt, BSA, EM2N, Zürich; Tanya Zein, Architektin, BSA, FAZ Architectes, Genf (Ersatz)

SachPreisrichter

Jacques Pitteloud, Direktor EDA-DR; Rahel Hänggi, BBL, PFM PPE; Marianne Jenni, Chefin Immobilien EDA (Ersatz)

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