Braucht es ein Label?
Eine Frage - Zwei Meinungen
Neben dem Standard Nachhaltiges Bauen Schweiz soll es bald auch ein entsprechendes Label geben. Ob das sinnvoll ist, ist umstritten. Wir lassen einen Befürworter und eine Gegnerin zu Wort kommen.
Pro
Der neue Standard Nachhaltiges Bauen Schweiz (SNBS) bietet eine zeitgemässe Definition, was nachhaltiges Bauen in der Schweiz zukünftig sein soll. Sogar bisher vernachlässigte Themen wie die Artenvielfalt in den Aussenräumen werden darin berücksichtigt und mit Planungshinweisen verbunden. Diese umfassende Betrachtung von Nachhaltigkeit stellt eine gute Balance zwischen den Bereichen Umwelt auf den sich Gebäudezertifizierungen bisher mehrheitlich konzentriert haben , Wirtschaft und Gesellschaft sicher.
Nicht zuletzt ist der SNBS eine Erfolgsgeschichte, weil viele Akteure der Immobilien- und Baubranche, die öffentliche Hand, die Wissenschaft sowie die Wirtschaft (Investoren) an der Definition des Standards mitgearbeitet haben.
Das ist aber nur der halbe Weg. Eine umfangreiche Berücksichtigung der Nachhaltigkeit erfordert Investitionen. Diese zahlen sich wirtschaftlich durch einen langfristigen Mehrwert für das Projekt aus. Die Nachhaltigkeit eines Objekts wird aber deutlich stärker wahrgenommen, wenn sie mit einem Label zertifiziert ist. Deshalb muss der SNBS auch als Label zum Einsatz kommen.
Der Standard SNBS legt die Kriterien fest, das Label hingegen das konkrete Anforderungslevel, sprich den «State of the Art». Dieses soll eine echte Antriebskraft darstellen, damit die Branche sich nicht nur mit Analysen zufrieden gibt, sondern mit der konkreten Umsetzung des nachhaltigen Bauens. Insbesondere soll die Schaffung eines Labels eine klare Kommunikation und Vergleichbarkeit der Projekte in diesem Bereich gewährleisten. Nur so kann die Vision des SNBS, diese fortschrittliche schweizerische Definition der Nachhaltigkeit, konkret zum Einsatz kommen!
Silvio Giroud, M.A. Volkswirtschaft, ist Leiter Nachhaltiges Bauen bei Losinger Marazzi AG. Er war an der Erarbeitung und der Pilotphase des SNBS beteiligt.
Contra
Brauchen wir ein weiteres Element im ohnehin schon unübersichtlichen Labelwald, um Gebäude nachhaltiger planen, bauen und betreiben zu können? Der Standard unterstützt Bauherren, Investoren und Planer in ihrer täglichen Arbeit. Er leitet sie auf dem Weg zu einem nachhaltigen Gebäude, ohne einen unverhältnismässigen Aufwand für Dokumentation, Prüfung, Zertifizierung usw. zu generieren in zeitlicher wie auch finanzieller Hinsicht.
Ein Label egal wie schlank ausgelegt impliziert hingegen einen nicht unerheblichen Aufwand für die Dokumentation, ohne die Gebäude nicht prüf- und somit bewertbar sind. Eine der Prämissen für die Entwicklung des SNBS war, dass er «kurz und einfach sein soll». Er kann daher, obwohl er alle Dimensionen des nachhaltigen Bauens umfasst und Zielwerte vorgibt, mit überschaubarem Aufwand angewandt werden und eine nutzbringende Bewertung liefern. Er zeigt auf, wo ein Gebäude egal ob Neubau oder Bestand Potenzial für eine nachhaltige Entwicklung hat und wo Zielkonflikte entstehen.
Das ist es, was wir brauchen: ein Planungs- und Steuerungsinstrument, das als solches verstanden und genutzt wird. Eines, mit dem man über alle Phasen die Entwicklung des Projekts mess- und vergleichbar nachverfolgen und somit die Qualität sichern kann. Mit dem SNBS kann zudem auch ein bestehendes Gebäude überprüft und dessen Entwicklung entsprechend gesteuert werden. Wenn der Standard Nachhaltiges Bauen Schweiz so verstanden und weiterentwickelt wird, hat die Schweiz mehr, als ein Label je erreichen kann.
Andrea Wittel, Nachhaltigkeitsexpertin, ist bei Ernst Basler + Partner im Bereich Bauherrenberatung / Nachhaltiges Bauen tätig. Sie war an der Erarbeitung und der Pilotphase des SNBS beteiligt.