Ced­ric, Lu­ci­us und Hans Ul­rich

Die Schweiz in den Giardini

Im Schweizer Pavillon soll die Öffentlichkeit einen performativen Zugang zu zwei herausragenden Persönlichkeiten der modernen Architektur erhalten. Gemeint war’s vielleicht gut, doch das Ergebnis ist kläglich.

Publikationsdatum
24-07-2014
Revision
18-10-2015

Die Vorgabe an die Länderpavillons war klar: Rem Koolhaas hatte dazu aufgerufen, jenen Grundelementen auf die Spur zu kommen, die die Entwicklung der architektonischen Moderne konditionieren. Die Schweizer Reaktion, kuratiert von Hans Ulrich Obrist, ist zumindest eigenwillig. Sie stellt zwei Namen in den Mittelpunkt: Cedric Price und Lucius Burckhardt. Das lässt auf eine aufschlussreiche Begegnung zwischen einem radikalen architektonischen Werk und einer unkonventionellen künstlerischen Praxis hoffen. Das Projekt klingt aufregend. Die Umsetzung ist es allerdings weit weniger.

Der Engländer Cedric Price (1934–2003) war, obwohl er kaum etwas gebaut hat, einer der einflussreichsten Architekten der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Mit seiner Lehrtätigkeit an der Architectural Association School of Architecture (AA) in London und seinen visionären Projekten formte er eine ganze Generation von Architektinnen und Architekten, die den strengen Modernismus der 1950er-Jahre neu definieren wollten.

Seine überraschenden Projekte – die Universität auf Schienen, das Kulturzentrum als Bausatz – regen zu einer Architektur der Bewegung und Entwicklung an. Der Schweizer Lucius Burckhardt (1925–2003) war ein Spaziergänger. Der Soziologe und Städtebautheoretiker machte den Spaziergang zu einer Kunst- und Wissenschaftsform. Mit seinen Vorlesungen an der Gesamthochschule Kassel zur Sozioökonomie urbaner Systeme und zur Landschaftsästhetik hat er seine Zeit geprägt.

Das verbindende Element zwischen Price und Burckhardt ist die starke Idee, die Kräfteverhältnisse und Gleichgewichte einer Stadt in Bewegung zu versetzen. Die unausgesprochene Gemeinsamkeit zwischen dem postsituationistischen Spaziergänger und dem Vorkämpfer für die Flexibilität der gebauten Umgebung besteht darin, dass sich beide für die politische und gesellschaftliche Entfaltung von Nutzergemeinschaften eingesetzt haben. So weit, so gut. 

Namedropping als kuratorische Praxis

Als Besucher des Schweizer Pavillons wird man unvermittelt mit einer Inszenierung konfrontiert: einer Archiv-Kulisse. Der Inhalt dieses fiktiven Lagers wird Stück für Stück, in kleinen Portionen und in zufälliger Reihenfolge enthüllt. Studierende der ETH Zürich holen die Dokumente hervor und erläutern begeistert, was sie darstellen. Am Eröffnungstag wurde dieses gewollt puristische Setting durch ein Unterhaltungsprogramm ergänzt. Das japanische Architekturbüro Atelier Bow-Wow zeichnet für den Konferenzbereich verantwortlich, Herzog & de Meuron für die Szenografie des temporären Archivs.

Was Kurator Hans Ulrich Obrist präsentiert, ist eher ein performativer Akt als eine Ausstellung. Alle Zutaten für ein inspirierendes Projekt sind versammelt – doch die Begeisterung bleibt aus. Schnell spürt man den Manierismus Obrists, seine Art, Personen und Ideen in Beschlag zu nehmen und sie in ein steriles Nichts zu verwandeln. Cedric Price wird bis an die Grenzen des Erträglichen ästhetisiert und so um wesentliche Teile seiner Identität gebracht: die kritische und vor allem die politische Dimension seiner Arbeit. 

Obrist serviert uns Price und Burckhardt auf dem Tablett wie die Launen eines Rockstars. Die Idee einer interdisziplinären Plattform, auf der die Gedanken von Künstlern, Architekten und Wissenschaftlern zusammentreffen, ist durchaus lobenswert – die Gewichtung, die sich dabei ergibt, deutlich weniger. Sehr schnell schiebt Obrist architektonische und theoretische Fragen zur Seite und erhebt die künstlerische Subjektivität zur Hauptsache.

Mit seiner Fokussierung auf die Zeichnung reisst er das Architekturprojekt aus seinem Zusammenhang, der immerhin eine gewisse Aktualität gewährleistet hätte. Dabei gerät das Werk von Cedric Price in den Hintergrund. Es wird zum reinen Bühnenbild für eine Performance, die zwar unterhaltsam, aber weit von dem entfernt ist, was Price verdient hätte.

Cedric und Lucius, wie man sie hier vertraulich nennt, werden zu Fetischen degradiert, zu Namen, die man zwischen zwei Daiquiris fallen lässt, zu Logos. Sie stehen für die Leere, die ein Kritiker inszeniert, der dafür bekannt geworden ist, dass er Namedropping zur kuratorischen Praxis erhoben hat. Das Konzept des Gesprächsmarathons hat er schon an der Architekturbiennale 2010 vorgeführt. Heuer hat er es noch einmal aufgewärmt und als radikale intellektuelle Reflexion verpackt erneut aufgetischt.

Was am Schluss bleibt, ist einzig Obrists Unverfrorenheit, die Einladung zum Nachdenken über die Rolle der Schweizer Moderne in der Welt mit einer Ausstellungsparodie zu beantworten. Muss man diese Nicht-Ausstellung als Kommentar zum Zustand der schweizerischen Architekturtheorie verstehen – dazu verdammt, die richtigen Fragen zu stellen, aber nicht in der Lage, diese zu beantworten? Oder einfacher gesagt: Cedric Price und Lucius Burckhardt waren vielleicht die richtige Frage, aber Obrist gewiss nicht die richtige Antwort.

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