Ein Bür­ger­bü­ro ge­gen den Haus­ab­riss

Das Schweizerische Architekturmuseum SAM in Basel ist friedlich besetzt: Die Klimaaktivisten von Countdown 2030 wollen die Öffentlichkeit aufrütteln und präsentieren dazu mundtote Häuser und ohnmächtige Architekten.

Publikationsdatum
06-09-2022

«Liebes Klima, wir Architekten haben ein Problem: Wir bauen Häuser auf grünen Wiesen und grauen Industriebrachen. Und falls der Platz für Neues ausgeht, reissen wir gerne auch alte Buden und aus der Zeit gefallene Wohn- oder Bürohäuser ein. Das freut die stolzen Besitzer und die künftigen Bewohner. Uns natürlich ebenso, weil unsere kreative Arbeit angemessen entlöhnt wird. Weniger Freude daran hast allerdings Du, weil das Bauen und das Abreissen von Gebäuden sehr viel CO2 erzeugt. Es tut mir leid, aber schuld daran bin nicht wirklich ich als Architekt, sondern mein Auftraggeber ist der Chef: Wer zahlt, befiehlt!»

«Liebes Klima, ich bin Banker und habe auch ein Problem: Ich investiere das Geld der Anleger dort, wo es rentiert. Ich muss, oft auch entgegen den Ratings der hausinternen ESG-Experten. Unmengen an Kapital fliessen von anonymen Investoren und künftigen Rentnern in den Immobilienmarkt. Die Baukräne und die Bagger haben deshalb sehr viel zu tun: Sie bauen und bauen. Und falls ein Haus diesem Treiben im Weg steht, muss es weg! Jeden Tag verschwinden mindestens zwei Häuser aus dem Strassenbild, irgendwo in der Schweiz. Klimaschutz ist wichtig, aber nur einer von vielen Aspekten, die in meiner Anlagestrategie Beachtung finden. Deshalb, mir tut es wirklich leid, kann ich – wie viele andere Entscheidungsträger – nichts tun gegen die rollende Abrisswelle.»

Nur Opfer, keine Täter

So ähnlich wird in Basel derzeit ein fiktives und politisch korrektes Schwarzer-Peter-Spiel aufgeführt. Nicht als wortreiches Drama im Stadttheater, sondern nur wenige Meter daneben im Schweizerischen Architekturmuseum S AM. Hergerichtet als «war room» teilen ebensolche Entscheidungsträger dem Ausstellungspublikum in Videobotschaften mit, ob sie den Abriss von Häusern begrüssen oder ablehnen respektive ob sie darunter leiden oder Geld damit verdienen. Aus den Statements der virtuellen Krisenrunde wird deutlich: Abriss ist keine schöne Sache und irgendwie beklagen sich alle darüber. Dafür verantwortlich fühlt sich jedoch niemand.

«Die Schweiz: ein Abriss» lautet die Ausstellung, die das S AM gemeinsam mit den Klimaaktivisten von Countdown 2030 diesen Spätsommer präsentiert. Eine «friedliche Besetzung» nennt Museumsleiter Andreas Ruby die temporäre Residenz. Diese nutzt der Verein, in dem sehr viele Architektinnen und Architekten aktiv sind, für eine Fundamentalkritik und eine schweizweite Kampagne gegen den «unsinnigen, verschwenderischen und klimaschädlichen Gebäudeabbruch».

Kaum Aha-Effekte, viel Protest

Die Ausstellung ist, verdeutlicht der Presserundgang, als Basiscamp einer Protestbewegung gegen die Wegwerfgesellschaft zu verstehen. Ihre Botschaft ist für Eingeweihte verständlich und nachvollziehbar. Doch für Aussenstehende und im weiteren Sinn an Architektur interessierten Besuchern bietet die Ausstellung kaum Aha-Effekte und wenig Erklärung. Die wortreichen und mit vielen Zahlentabellen vollgepackten Wandcollagen erinnern eher an ungeordnete Flipcharts im Nachgang eines Workshops. Gemessen am eigenen Ziel, die Leute aufzurütteln und aufzuklären, ist der Abriss-Rundgang in den S AM-Räumen etwas gar karg programmiert und zu sehr mit Protest gefüllt. Zu befürchten ist, dass die zentralen Botschaften so nur den bereits aktivierten Kreis der Architekturszene erreichen werden.

Museumsleiter Ruby wies im Rundgang selbst darauf hin, welch grosses Vermittlungspotenzial im ausgewählten Klimathema steckt: Ein Abriss sei nicht nur eine Verschwendung von Material und Energie. «Jedes Haus erzählt eine eigene Geschichte». Mit dem Rückbau würden deshalb auch immaterielle Güter verschwinden. Der boomende Abriss bringt ganze Strassenzeilen zum Schweigen. So, als ob ein Abbruch jedes Haus mundtot machen würde.

Konstruktive Beispiele fehlen

Die Ohnmacht des Architekten in dieser zunehmend destruktiv wirkenden Branche wird in der Ausstellung und bei der Präsentation mehrfach beklagt. Umso mehr fällt auf, dass konstruktive und kreative Impulse – auf ideeller und physischer Ebene – gänzlich fehlen. Ein oder zwei Gegenbeispiele, wie man Nagelhäuser vor der Abrissbirne retten kann oder ein Altbau fit für die komfortverwöhnte Gesellschaft gemacht wird, hätten der Schau gutgetan.

Gemäss Leon Faust von Countdown 2030 nehme man dieses Manko bewusst in Kauf. Umso mehr hoffen die Macherinnen und Macher nun darauf, dass das mitten in der Ausstellung eingerichtete Vereinsbüro solche und viele andere Anregungen sammelt – und so eine breite, differenzierte Diskussion über den Abriss der Schweiz beginnt.

Liebes Klima, auch wir müssen reden: Am Eröffnungstag der S AM-Ausstellung wurde einen knappen Kilometer davon entfernt der zweite «Roche Tower» eingeweiht. Diesem Giganten wird nun ein Radikalabriss folgen: Mehrere Gebäude auf dem Werkareal werden nicht mehr benötigt. Hat auch hier die Bauwelt das Zuhören verlernt?

Ausstellungsdaten und Begleitprogramm

 

‹Die Schweiz: Ein Abriss›, vom 3. September bis 23. Oktober 2022 im Schweizerischen Architekturmuseum S AM Basel; kuratiert von Countdown 2030.

 

Zum Begleitprogramm gehts hier.

 

Tags

Verwandte Beiträge