Das Ende des Wohnbaus
Der Forschungsbereich Wohnbau und Entwerfen an der TU Wien hat 2020 den Diskursraum «Wohnbau Wien» eröffnet, der den heutigen Gebäudebestand und seine Betrachtung in Forschung und Lehre untersucht. Gemeinsam mit den Initiatorinnen und Beteiligten stellt die Zeitschrift Arch+ zeitgenössische Wohnprojekte in Wien vor, die von den Typologien, die das «rote Wien» berühmt gemacht haben, abweichen. Gemein ist ihnen, dass sie von Themen wie dem Freiraum, der individuellen Gestaltbarkeit von Architektur ausgehen, bevor sie sich den Fragen der Ökologie und Bezahlbarkeit zuwenden, die häufig die inhaltlichen Fragen des Wohnens verdrängen.
Hochinteressante Essays zu den Überlegungen, aus denen sich diese Entwürfe entwickelt haben, bilden das theoretische Rückgrat. So stellt zum Beispiel Elke Krasny die Frage nach dem Inhalt des Verbs «wohnen», das keine Tätigkeit beschreibt, sondern vielmehr eine Reihe regenerativer Beschäftigungen umfasst. Das damit einhergehende explizite Ausklammern des Arbeitens sei zu überdenken. Dem Philosoph Ludger Schwarte scheint es sogar plausibel, mithilfe einer nutzungsneutralen Auslegung der Wohnräume, die eine Verschmelzung von Erholung und Produktion erlauben, die Bedeutung der Hausarbeit neu zu definieren. Dies könnte zu einem emanzipierteren Umgang mit den damit verbundenen Tätigkeiten und in der Folge zu einem gesellschaftlichen Wandel anregen.
Auch ganz äusserliche Aspekte beeinflussen den Umgang mit Wohnraum: Er weist darauf hin, dass unsere Wohnung auch unsere polizeiliche Identität ist. Sie dient als Instrument, die Bewohnenden einzuordnen, zuzuordnen und Nicht-Wohnende auszuschliessen. Gerade in Wien, dessen Bevölkerung seit Jahren wächst, gilt es, den vorbildlichen Umgang mit Wohnraum als sozialen Auftrag zu schützen, bevor er von gewinnorientierten Interessen überrollt wird. In diesem Sinn ist auch die IBA Wien 2022 zu verstehen: Sie ist dem Thema «Neues soziales Wohnen» gewidmet, in dessen Rahmen einige der Häuser entstanden sind, die in diesem Heft vorgestellt werden.
Arch+ und Gastredaktion; Nikolaus Kuhnert, Anh-Linh Ngo, Günther Uhlig (Hg.): Wien – Das Ende des Wohnbaus (als Typologie). Arch+ Verlag, Berlin 2021.
240 Seiten, zahlreiche farbige und SW-Abb., 23.5 × 29.5 cm,
ISBN 978-3-931435-67-7. 26.40 Fr.
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