Der Traum vom «Dritten Rom»
Grundzüge des italienischen Faschismus
Die Faszination für Mussolinis urbanistische Projekte ist ungebrochen. Diese lassen sich aber nicht losgelöst von der politischen Ideologie betrachten - der Faschismus zeichnete sich vor allem durch Gewalt aus.
Ein Hauptkennzeichen des italienischen Faschismus (und aller nachfolgenden Faschismen) war die Gewalt. Das zeigte sich bereits zu Beginn, als sich aus der 1919 gegründeten Bewegung, dem «gegen alles» gerichteten «anti-partito», 1921 der Partito Nazionale Fascista (PNF) entwickelte. Er wurde zur Speerspitze des Bürgertums gegen den Bolschewismus und schickte seine Schlägertrupps, die «Schwarzhemden», gegen die Sozialisten.
Benito Mussolinis Machtergreifung im Herbst 1922 gelang aber nicht durch die Eroberung des Staats mit dem später hochmythisierten «Marsch auf Rom», sondern aufgrund des Versagens der Institutionen, vor allem der Monarchie: Im entscheidenden Moment weigerte sich König Viktor Emanuel III., das Notstandsdekret von Ministerpräsident Luigi Facta zu unterzeichnen. Der Weg nach Rom war offen, die Armee blieb untätig.
Charakteristisch für die 1920er-Jahre, nach einer ersten Krise wegen der Ermordung des Sozialistenführers Giacomo Matteotti durch Faschisten 1924, war die Installierung des «regime totalitario». Die mythische Konzeption von Politik als Kreuzzug gegen den inneren Feind wurde in die Tat umgesetzt. Damit einher ging eine heterogene, aber eigenständige Ideologie, deren Ziel ein kriegerischer neuer Mensch war, der «uomo nuovo fascista».
Auffallend in diesen Jahren war der Einfluss auf den frühen Nationalsozialismus in Deutschland. Dieser war insofern folgenreich, als die Hitlerbewegung nach ihren faschistischen Anfängen eine explosive und zuletzt massenmörderische Rassen- und Raumlehre entwickelte, die ihrerseits auf den italienischen Faschismus rückwirkte und diesen radikalisierte.
Die anschliessenden 1930er-Jahre standen im Zeichen eines zwischen Zwang und Freiwilligkeit wechselnden «consenso». Dieser nahm seinen Anfang mit der Aussöhnung des faschistischen Staats mit der katholischen Kirche in den Lateran-Verträgen von 1929 und gipfelte 1936 in der Ausrufung des Mittelmeer-Imperiums.
Der Konsens begann aber wegen der gleichzeitig einsetzenden und sich dann verschärfenden Radikalisierung des Regimes rasch zu bröckeln, was sich anlässlich der rassenpolitischen Wende von 1938 abzeichnete. Der Kriegseintritt 1940 und die militärische Misere besiegelten sein Zerbrechen.
Brutaler Rassismus
Der italienische Faschismus war immer rassistisch und spitzte seine im Lauf der Zeit verschärfte Rassenpolitik zuletzt in einer sich am Nationalsozialismus orientierenden Wende gegen die Juden antisemitisch zu. Ein genuin faschistischer Rassismus hatte sich sofort nach dem Ersten Weltkrieg gegenüber den neu zu Italien gekommenen sprachlichen Minderheiten gezeigt: den Deutschen in Südtirol und den Südslawen (Slowenen und Kroaten) in der Venezia Giulia.
Während Erstere zwangsitalianisiert wurden, spielten sich den Südslawen gegenüber brutale Niederhaltungsmechanismen ab. Sie nahmen die Methoden der italienischen Besatzer im zerschlagenen Jugoslawien während des Zweiten Weltkriegs vorweg und standen denjenigen der Deutschen in nichts nach.
Rassistisch war auch die in den Kolonien betriebene Politik gegenüber der einheimischen Bevölkerung, die zu einem Apartheidsystem führte mit dem Ziel, jede «Verunreinigung» des Bluts der italienischen «Herrenrasse» zu verhindern. Die antisemitische Wende von 1938 war insofern eine Weiterentwicklung, als nunmehr auch die Juden als Fremdkörper galten, die aus Politik, Wirtschaft und allgemein aus der Gesellschaft ausgegrenzt werden mussten.
Von den Präfekturen erstellte Judenlisten und von der Direzione generale Demografia e Razza (DemoRazza) im Innenministerium konzipierte und umgesetzte Internierungsmassnahmen erleichterten den Deutschen, nachdem im Herbst 1943 die Wehrmacht Italien besetzt hatte, den Abtransport und die Ermordung jener Jüdinnen und Juden, die im von ihnen beherrschten Raum greifbar waren. Die Beihilfe der italienischen Behörden und insbesondere der Polizei und der Carabinieri war dafür allerdings unerlässlich.
Faschismus als neue Religion
Bei Mussolinis imperialen Ambitionen schlägt der «totale» Anspruch des Faschismus besonders deutlich durch. Ziel sollte nicht nur die Vollendung des Risorgimento und ein dritter Weg zwischen Kommunismus und Kapitalismus sein, sondern die Stiftung einer neuen Kultur und einer säkularisierten Religion im Zeichen des Mythos vom «Dritten Rom» (nach demjenigen der Imperatoren und demjenigen der Päpste).
Dieses war dazu ausersehen, eine neue «pax romana» im faschistischen «mare nostrum» zu schaffen, mit Mussolini als neuem Cäsar und Augustus und in leicht blasphemischer Verchristlichung als Erlöser Italiens.
In diesem Sinn war die imperiale Politik des Faschismus nicht einfach eine Fortsetzung der Kolonialpolitik des liberalen Italiens, sondern brachte ihr gegenüber eine massive Brutalisierung. Dies manifestierte sich im Abessinienkrieg 1935/36 mit dem Einsatz von Giftgas gegen Stammeskrieger und hatte einen Rassismus zur Folge, der sich mit aller Härte gegen die einheimische Bevölkerung des 1936 proklamierten Kaiserreichs richtete (das neben der aus Eritrea, Somalia und Äthiopien neu gebildeten Africa Orientale Italiana vor allem Libyen und die Inseln des Dodekanes umfasste).
Sinistre Konsequenz des Äthiopienabenteuers war die sukzessive vertiefte Annäherung an das Hitlerreich. Diese führte über die am 1. November 1936 in einer Rede auf dem Mailänder Domplatz proklamierte «Achse Berlin-Rom» in den «Stahlpakt» vom Mai 1939. Als dessen Folge hätte Italien schon im September 1939 in den damals noch europäischen Krieg eintreten müssen. Wegen manifester Unvorbereitung verschob sich der Kriegseintritt auf Juni 1940 gegen ein militärisch bereits geschlagenes Frankreich.
Der Parallelkrieg, den Mussolini in der Folge in Nordafrika Richtung Suezkanal und von Albanien aus gegen Griechenland führen wollte, scheiterte bereits im Winter 1940/41. Dies führte zum Engagement der Wehrmacht in Nordafrika und auf dem Balkan und satellisierte Italien als militärischen Partner zunehmend.
Hitler versäumte nicht, Mussolini bei Bedarf daran zu erinnern, dass dieser im September 1937 auf dem Tempelhofer Feld in Berlin anlässlich einer Massenveranstaltung in seinem Beisein ausgerufen hatte, der Faschismus habe eine Ethik, die sich mit seiner persönlichen Moral decke: «Klar und offen reden, und wenn man einen Freund hat, mit ihm zusammen bis ans Ende marschieren.»
Dieses Ende kam für Mussolini trotz seinem Sturz im Sommer 1943 allerdings erst im April 1945, als er von Partisanen am Comersee erschossen wurde. Hitler hatte ihn im Herbst 1943 als eine Art Statthalter an die Spitze der spätfaschistischen Repubblica Sociale Italiana (RSI) in Norditalien gestellt.
1941, fünf Jahre nach der Proklamation des faschistischen Imperiums als «impero di pace, di civiltà e di umanità», war der 1936 aus Abessinien vertriebene Kaiser Haile Selassie wieder zurück in Addis Abeba. Wenn massive urbanistische Eingriffe in Italien und im einstigen Kolonialreich noch immer von Mussolinis imperialer «Kulturrevolution» zeugen, ändert dies nichts daran, dass der italienische Faschismus, der eine neue Welt bauen und einen neuen Menschen züchten wollte, in einer beispiellosen militärischen Katastrophe endete und neben unzähligen Opfern ein kriegszerstörtes Land hinterliess.
Auf Architektour
TEC21 begleitete das Architekturschiff der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW auf seiner Reise durchs Mittelmeer. Eindrücke in Text und Bild gibt es in der aktuellen TEC21-Ausgabe 30-31/2015. Am Anfang stand eine Idee: Der berufsbegleitende Bachelorstudiengang Architektur der ehemaligen Hochschule für Technik Zürich (früheres Abendtechnikum Zürich) wurde 2012 in die ZHAW integriert und läuft 2016 aus. Zum Abschluss wollte man gemeinsam nochmals eine intensive Auseinandersetzung mit gebautem Raum erleben das Architekturschiff 2015 war geboren. TEC21 begleitete die Reise als Medienpartner und führte mit den Redaktorinnen Tina Cieslik und Danielle Fischer und dem Redaktor Marko Sauer eine offene Redaktion an Bord. Die Tour führte vom 9. bis 15. Mai 2015 von Venedig über Split nach Neapel, von dort nach Rom und über Korsika nach Nizza. Neben Ausflügen in den sozialen Wohnungsbau der jugoslawischen Sozialisten, zu den historischen Stätten des Imperium Romanum und in die Idealstädte des Mussolini-Regimes stand an Bord die Vermittlung des historischen und architekturtheoretischen Wissens an. Carlo Moos, Daniela Spiegel und Judith Hopfengärtner verknüpften in ihren Referaten die losen Fäden der Themen und filterten die allen zugrunde liegende Idee heraus: die Sehnsucht nach der idealen Stadt. Ihre Erkenntnisse sind im Schwerpunktteil der aktuellen Ausgabe abgebildet für alle, die an der Reise nicht teilnehmen konnten, und für jene, die sich gern daran erinnern. Die Bilder stammen von Reiseteilnehmerinnen und -teilnehmern. Sie dokumentierten ihre Eindrücke per Polaroid im TEC21-Logbuch an Bord. (tc)
Ein Online-Logbuch der Reise findet sich im E-Dossier «Architekturkreuzfahrt».