Die Lektion von Singapur
Editorial von Tracés 07/2015
Gibt es eine Identität der asiatischen Stadt? Wegen der vielen unterschiedlichen Voraussetzungen mag die Antwort auf diese Frage schwierig erscheinen. Aber gewisse Faktoren treten gehäuft auf, weshalb sich doch ein gewisses Schema erkennen lässt: tropisches Klima und die typische Aufteilung zwischen dem Leben drinnen und draussen, die koloniale Vergangenheit und das Erbe der Kolonialzeit, die Wanderbewegungen im Landesinneren und der massive Zuzug der Landbevölkerung sowie schliesslich der Immobilienboom der letzten 15 Jahre. Zusammengenommen führen diese Elemente dazu, dass sich eigentlich völlig verschiedene Städte ähnlich entwickeln.
Das beste Beispiel hierfür dürfte der Stadtstaat Singapur sein. Die Erfolgsgeschichte dieser ehemaligen Kolonie, deren einzige Ressource ihre geografische Lage ist, ruft viele Bewunderer auf den Plan. Ihre unspezifische Moderne schert sich wenig um den historischen oder topografischen Kontext und ist ein Exportschlager, sodass die «Exzellenz-Tropenstadt» zum Archetypus einer schnellen, effizienten Entwicklung wurde.
In TRACÉS 7/2015 werden zwei gegensätzliche Ansätze vorgestellt: zum einen ein mit seinen eigenen Widersprüchen eng verzahntes «Landschaftsgebäude» in Singapur, zum anderen eine Flussbaustudie aus Jakarta, wo man sich bemüht, über das Tabula-rasa-Konzept hinauszugehen. Der Ansatz von Christophe Girot geht achtsamer mit den Gegebenheiten vor Ort um und bemüht sich stärker um den Erhalt der ursprünglichen Landschaftselemente, indem Girot den Kontext berücksichtigt.
Diese Studie wurde im Rahmen des Grossprojekts «Future Cities Laboratory» der ETH Zürich durchgeführt und ist wahrscheinlich eines der besten Beispiele einer erfolgreichen Partnerschaft zwischen einer ETH und einem ausländischen Forschungsinstitut. An diesem 2010 gegründeten Labor sind die Departemente Architektur (DArch) und Bau (DBaug) beteiligt. Ziel ist die Entwicklung von Projekten aus den Bereichen Forschung und Lehre zu Fragen der Technologie und der nachhaltigen Entwicklung zwischen der Schweiz und Singapur. Diese neuartige Partnerschaft ist deswegen so interessant, weil sowohl Know-how weitergegeben werden soll, man aber auch Erkenntnisse aus einem Stadtgebilde gewinnen kann, dessen Tempo und dessen Output weit über das hinausgehen, was jemals in Europa beobachtet werden konnte.
Hier finden Sie die (französischsprachigen) Beiträge aus Tracés 07/2015.