Diskurs lanciert, wichtige Akteure fehlten
Erster Schweizer Landschaftskongress
Am 23. und 24. August 2018 diskutierten am ersten Schweizer Landschaftskongress in Luzern unterschiedliche Fachleute Fragen zur Landschaft und ihrer Weiterentwicklung. Ein gelungener Start – einen gemeinsamen Nenner müssen die Akteure aber erst noch finden.
Landschaft kann man von vielen Seiten her denken. Das bewies der erste Landschaftskongress am 23. und 24. August 2018 in Luzern. Über zwei Tage hinweg konnten die Teilnehmer – teilweise parallel – über 110 Präsentationen, Referate und Exkursionen erleben. Der minutiös orchestrierte und inhaltlich dichte Kongress hiess eine breite Palette an Berufsgattungen – Umweltnaturwissenschaftler, Landschaftsarchitektinnen, politische und kulturelle Geografen, Biologinnen, Ingenieure der Landespflege, Raumplaner und mehr – willkommen. Er bot entsprechend viele Perspektiven auf das Thema Landschaft.
Das eigene Verständnis von Landschaft klären
Was unter Landschaft zu verstehen ist, darüber lässt sich streiten. Bernard Debarbieux, Professor für politische und kulturelle Geografie und Raumplanung an der Universität Genf, sensibilisierte im Hauptreferat für die Vielfalt der Verständnisse von Landschaft. Landschaft kann zum Beispiel eine poetische Idealvorstellung sein, die es so in Wirklichkeit nicht gibt, sie kann als unangetasteter Gegenstand oder als sich selber überlassen wahrgenommen werden. Landschaft kann kulturell überformt sein – durch Menschenhand mit ästhetischen Eingriffen verschönert oder funktional an den Alltag angepasst. Und sie kann als öffentliches oder privates Gut verstanden werden.
Debarbieux riet dazu, zu klären, welchen Landschaftsbegriff und welche Erwartungen man im Kopf hat, während man über Landschaft redet. Das ist immer dann wichtig, wenn Landschaft ein öffentliches Gut ist – insbesondere in einem Land, deren Bewohner sich ausserordentlich stark über die Landschaft identifizieren und wo Landschaft ein Standortfaktor ist. Umso dringlicher gilt das für den, der in die Landschaft eingreift. Sind unsere Erwartungen an die Landschaft klar und einheitlich?
Fragen über Fragen
Im reichhaltigen Kongressprogramm wurden zahlreiche Fragen aufgeworfen: Wo muss es im Schweizer Nationalstrassennetz Übergänge geben, damit Tiere und Pflanzen genug Austausch mit ihren Artgenossen haben, was Voraussetzung für deren Überleben ist? Wie dicht dürfen in den nächsten 20 Jahren im Mittelland Siedlungen gebaut werden, damit das überlebenswichtige Netzwerk an Lebensräumen von Reptilien bestehen bleibt?
Landnutzungswandel aufgrund von Klimawandel
Wie sind – in Hinblick auf den Klimawandel – Alptäler länderübergreifend zu bewirtschaften, damit die Artenvielfalt im Alpenbogen bestehen bleibt? Die Baumgrenze – und damit der Wald – wird sich mit dem Klimawandel 300 m nach oben verschieben. Es ist Sache der Interessengruppen, auszuhandeln, wie Landschaft genutzt werden soll, so Ulrike Tappeiner, Universitätsprofessorin für Ökosystemforschung und Landschaftsökologie an der Universität Innsbruck. Denn die Nutzungsszenarien sind vielfältig.
Kulturelles Erbe schützen
Während alle von Verdichtung sprechen: Wer schaut in einer kleinen Gemeinde, in der Akteure mit möglichst vorteilhaften Steuereinnahmen, der Vergabe von Bauaufträgen oder familiären Verbandelungen beschäftigt sind, darauf, dass historisch wertvolle und ortsbildprägende Kulturbauten nicht zerstört oder der Ersatzbau eines Gebäudes ausserhalb der Bauzone nicht unrechtsmässig durchgewunken wird? Wie den Blick und das Interesse für das kulturelle Erbe in und ausserhalb der Bauzone schärfen – wie eine Zusammenarbeit der Akteure auf Augenhöhe zustande bringen? Wie die Balance halten zwischen der Dynamik und dem Erhalt eines Orts?
Zersiedelung vorbeugen
Wie mit dem Widerspruch umgehen, dass Landschaft – ein schöner Ausblick – als Standortfaktor wirtschaftlich genutzt werden soll, um Investoren anzuziehen, ohne dabei diesen Vorteil mit Gebäuden gleichzeitig zu zerstören? Der schöne Ausblick funktioniert nur, solange das eigene Gebäude in der ersten Reihe platziert ist. Andere könnten aber denselben Anspruch haben. Zersiedelung ist die Folge.
Attraktive Agglomeration als Lösung?
Liegt die Lösung darin, die Vorteile der Agglomeration als Lebensraum schmackhaft zu machen? Wie ist es dann zu bewerkstelligen, dass Agglomerationen im kollektiven Verständnis nicht als Unorte wahrgenommen werden, sondern als ästhetische Räume mit attraktivem Profil, in denen Atmosphäre durch die alltägliche Nutzung der Bewohner entsteht und mit denen sich die Bewohner identifizieren können?
Man müsste die Bedürfnisse der Agglomerationsbewohner ausfindig machen – aber wie? Was müssen die Freiräume in Agglomerationen beinhalten, damit sich die Bewohner wohlfühlen und ihren Freizeitaktivitäten nachgehen können? Auch für die Agglomerationsbewohner stellt sich die Frage nach der Vernetzung. Wie müssen die Freiräume miteinander vernetzt sein, damit Bewohner im einen Freiraum ergänzend abholen können, was sie in einem anderen Freiraum nicht erhalten?
Nach zwei Tagen und vielen Gesprächen über die Weiterentwicklung der Landschaft fragt sich: Wie können die Erkenntnisse aus lokalen Projekten und der Forschung im Alltag der Bevölkerung zur gelungenen Landschaftsentwicklung umgesetzt werden?
Allgemeiner Konsens?
Die Teilnehmer und Referenten im Plenarsaal wähnten Konsens: Der Raum ist ein endliches und immer begehrteres Gut. Deshalb muss die Landschaft – als gesamtes Territorium verstanden – geschützt werden. Der Ansatz, dass in der Planung von der Landschaft her gedacht werden muss, sei heute durchgedrungen. Angewendet auf das dringendste Problem, die Verdichtung in Siedlungsgebieten, bedeutet das: Raum, in dem es bauliche Aktivität gibt, soll aufgewertet werden, indem die Akteure ihren Blick von einzelnen Bauzonen loslösen. Stattdessen betrachten sie den Ort des Geschehens vom unbebauten Land und von der Stadt her. Das klingt nach vollzogenem Paradigmenwechsel.
Bloss, wo sind am Kongress das Gros der Bauwirtschaft und die Vertreter der Landwirtschaft? Es führt meist zu einem Trugschluss, wenn man von sich auf andere schliesst. Der Kongress war ein gelungener Start in die Diskussion, aber auch ein Ort, an dem sich Gleichgesinnte trafen, die nicht die Allgemeinheit repräsentierten. Ohne die Bauwirtschaft und Landwirtschaft kann der kleinste gemeinsame Nenner – eine gemeinsam getragene Vorstellung davon, was aus der Landschaft werden soll – nicht definiert werden. Am nächsten Landschaftskongress sind sie mit ihrer Perspektive an den runden Tisch zu bitten.