Ein­mal Bri­co­la­ge bit­te!

Neubau Recyclingzentrum Juch-Areal, Zürich

Im Projektwettbewerb zum Neubau des Recyclingzentrums auf dem Juch-Areal in Zürich setzte das Amt für Hochbauten klare und strenge Rahmenbedingungen im Sinne der städtischen Kreislaufwirtschaftsstrategie. Graber Pulver Architekten gelang ein bis ins Detail überzeugender Entwurf.

Publikationsdatum
02-11-2023

Projektwettbewerb im selektiven Verfahren für Generalplanende

Vergangenes Jahr unterzeichnete Zürich als erste Schweizer Stadt die «Circular Cities Declaration» und verdeutlichte so ihr Anliegen, sich von einer linearen zu einer zirkulären Wirtschaft zu entwickeln. Es folgte eine Bekundung in Form einer stadteigenen Kreislaufwirtschaftsstrategie mit insgesamt zwölf Massnahmenpaketen; darunter die Wiederverwendung (Re-Use) von bestehenden Gebäuden, Bauteilen und Materialien.

Tatsächlich lobte das städtische Amt für Hochbauten (AHB), noch bevor die Unterschrift auf der Deklaration trocken war, ein erstes Pilotprojekt als Projektwettbewerb im selektiven Verfahren für Generalplanende aus. Es handelt sich um den Neubau des Recyclingzentrums auf dem knapp 9000 m² grossen Juch-Areal, das den bestehenden Recyclinghof der Kehrichtverbrennungsanlage (KVA) Hagenholz er­setzen soll. Es galt, ein Projekt mit möglichst hohem Anteil an wiederverwendeten Bauteilen in der Trag­struktur, der Fassade und im Ausbau zu entwerfen. Als Grundlage stellte das AHB fünf eigene Quellobjekte, deren Rückbau bis zum Baubeginn des Recyclingzentrums vorgesehen war, in einem digitalen Katalog als «Bauteilminen» zur Verfügung: Die Personalhäuser des Spitals Triemli, die Recyclinghalle und eine Büroaufstockung der KVA Hagenholz, den Dachstock der Sporthalle des Schulhauses Mühlebach, ein Hallenteil des Koch-Areals sowie einzelne verfügbare Bauteile des Recyclinghofs Werdhölzli. Ergänzend war es den Teilnehmenden überlassen, sich aus weiteren, ihnen bekannten Bauteilquellen zu bedienen.

Entwurf folgt Verfügbarkeit

Diese Wettbewerbsbedingung hatte zur Folge, dass die Teilnehmenden ihre Projekte nicht in einem klassischen Planungsprozess entwerfen konnten, sondern sich an der Verfügbarkeit von Bauteilen orientieren mussten.

Zudem waren Entwürfe gefragt, die flexibel auf die Veränderung des Bauteilangebots reagieren können und deren Substanz nach dem Prinzip «Design for Disassembly» auch weiterhin kreislauffähig bleibt. Um diesen Anforderungen und einem dadurch bedingten hö­heren Detaillierungsgrad in der ­Projektierung gerecht zu werden, schrieb das AHB den Einsatz der BIM-Methodik vor.

Für die Teilnehmenden galt es sodann, ihre Eignung für das an­spruchs­volle Vorhaben mittels entsprechender Referenzen in der Präqualifikation nachzuweisen. Von insgesamt 38 Bewerbungen gingen 37 vollständig und fristgerecht ein und das Preisgericht liess schliesslich zehn Teams zur Teilnahme zu. Diesen bot das AHB einen Workshop zum Thema zirkuläres Bauen an; sie hatten dadurch die Gelegenheit, von einer individuellen, projektspezifischen Beratung durch einen Fachspezialisten des Amts zu profitieren.

Um die ökologischen Vor­teile des Re-Use-Ansatzes zu belegen, erhielten darüber hinaus alle Teams ein Datenblatt, in dem sie die Treibhausgasemissionen ihrer Projekte denjenigen eines ent­sprech­enden Neubaus gegenüberstellen mussten.

Vielfältige Ideen inklusive Seilbahnnostalgie

Der seitens AHB zur Verfügung gestellte digitale Katalog (vgl. www.juchareal.store) umfasste eine Vielzahl von Bauteilen und ermöglichte einen Download in unterschiedlichen Dateiformaten. Für den Entwurf der Struktur konnte beispielsweise auf Preton-Wände, Holztrag- und Fassadenelemente, Deckenplatten, Ortbetonstützen und -wände, Balkonbrüstungen, zahlreiche Stahlprofile oder die komplette Recyclinghalle der KVA Hagenholz zurückgegriffen werden. Als flächige Elemente standen Gitterroste, Trapezbleche oder Terrassendielen zur Verfügung. Daneben fanden sich Einzelposten wie Aussentreppen, Bahnschienen, Aluminiumfenster oder Granitsteine. Spannend war, wie die einzelnen Wettbewerbsteilnehmer von diesem Fundus Gebrauch machten und wie deutlich sich die Bricolage-Aufgabe in den Entwürfen zu erkennen gibt. Die Jury jedenfalls freute sich in ihrer Schlussfolgerung über die Vielfalt an Konstruktionen und ­architektonischen Bildern. Das nicht­­rangierte Projekt «Lenny» von weber­brunner architekten trug beispielsweise den Re-Use-Gedanken der Aufgabe bis weit über die Kon­struktion hinaus und sah eine Verkleidung der betrieblichen Ein­bauten mit verschiedenfarbigen Fensterläden aus Holz vor. Auch das Projekt «La Sammelière» der ARGE Caruso St John (den Architekten der un­mittelbar benachbarten Swiss Life Arena) und Drees & ­Sommer – ebenfalls ohne Rang ausgeschieden –, das die ganze Recyclinghalle der KVA Hagenholz möglichst integral weiterverwendet und einen seitlichen Wit­te­rungs­schutz aus Raff­lamellenstoren und PET-­Flaschen vorsieht, setzte sich auf interessante Weise mit der gestellten Aufgabe auseinander.

Für ein wenig Seilbahn­nos­talgie sorgte gar der Entwurf «Undo» von Tuñón & Ruckstuhl Architek­ten zusammen mit Korbinian Schneider Architekten, die die Schilt­horn-Seilbahn als ergänzende Bauteilquelle beizogen.

Bronze und Silber

Nach zwei Wertungsdurchgängen bestimmte die Jury letztlich drei Projekte für die engere Wahl. Das drittrangierte Projekt «Züri Fäscht» der ARGE Studio Burkhardt + Lucas Michael Architektur überzeugte die Jury bezüglich der betrieblichen Konzeption und der biodiversen Dach- und Umgebungsgestaltung, liess aber einen eigenen architektonischen Ausdruck im Umgang mit der Re-Use-Thematik vermissen und wirkte in gewissen Aspekten, wie etwa dem wirkungsmässig schlecht orientierten Photovoltaik-Segel, lediglich symbolhaft.

Gleich wie das ausgeschiedene Projekt «Undo» operiert auch das zweitrangierte Projekt «Punkt + Linie» mit Bauteilen ausserhalb des AHB-Bestands. Hier sind es faser­bewehrte Betonplatten aus dem Kerenzerbergtunnel für den Boden unter dem Hallendach. Anders als die meisten anderen Projekte in der engeren Wahl sieht «Punkt + Linie» zwei getrennt gesetzte Baukörper für den Recyclinghof und das Betriebsgebäude vor. Das führt dank des vertikal orientierten Betriebsgebäudes zwar zu Flächeneffizienz und einem klaren Funktionsschema, verlängert aber die betrieblichen Wege. Der Entwurf mit einer weitgehenden Wiederverwendung der Hagenholz-Halle ist pragmatisch und äussert sich in unterdurchschnittlichen Erstellungskosten, ist aber laut Jury hinsichtlich Witterungsschutz unzureichend zu Ende gedacht und lässt den architektonischen Anspruch sowie den Innovationscharakter bei der Integration von ökologisch wertvollen Flächen und Photovoltaikanlagen vermissen.

Recycling-Gold

Anders das praktisch den gesamten Arealperimeter ausfüllende Siegerprojekt «Hallo, wir sind’s wieder» von Graber Pulver Architekten. Es erfüllt laut Jury die betrieblichen und verkehrlichen Bedürfnisse in nahezu idealer Weise, bezieht eine geplante Passerelle optimal ein und schafft sogar noch Raum für eine kleine Parkfläche. Genauso überzeugt es in Sachen Kreislaufwirtschaft: Das Baumaterial stammt grösstenteils aus vier Minen in einem Umkreis von nur gerade 20 km. An die eins zu eins wiederaufgebaute Hagenholz-Recyclinghalle schliesst ein zweiter Hallenteil an, dessen Konstruktion aus einer rückgebauten Halle in Meilen stammt. Letztere liefert zusätzlich Betonbauteile für die Struktur des Betriebsgebäudes.

Die intensive Auseinandersetzung mit dem Thema der Kreislaufwirtschaft ist bei «Hallo, wir sind’s wieder» bis ins Detail erkennbar. So schlagen die Projektverfasser beispielsweise vor, den offenen Hallenbereich der Anlage mit an Baugerüsten befestigten Paneelen aus gesammelten Wertstoffen gegen die Witterungseinflüsse zu schützen. Die Experimentierfreudigkeit zeigt sich auch im Innern des Betriebsgebäudes, wo Zwischenwände bestehend aus mit Büchern oder zu Blöcken komprimierten Plastiktüten gefüllten Holzständerkonstruktionen angedacht sind.

Die Jury ist überzeugt von der unaufgeregten Einordnung und der Vielfalt der experimentellen Annäherung an das Prinzip der Kreislaufwirtschaft und hofft, diese innovativen Ansätze im Rahmen der weiteren Projektierung zu vertiefen und weiterzuentwickeln.

Rück- und Ausblick

Im Rückblick auf den durchgeführten Wettbewerb zeigte sich die Jury sehr zufrieden: Gemäss Vorprüfung generiere das Siegerprojekt gut 40 % weniger CO² als ein vergleichbarer konventioneller Neubau. Auch beweise das Projekt exemplarisch, dass sich das Prinzip des zirkulären Bauens ohne Weiteres bei öffentlichen Bauaufgaben im städtischen Kontext anwenden lasse, sofern die Wiederverwendung von Bauteilen entsprechend früh als Projektziel definiert werde. Gleichzeitig erinnert sie der Wettbewerb an noch zahlreiche ungelöste Probleme, wie etwa die Unsicherheiten bezüglich der geltenden Normen oder offene Fragen in Hinblick auf Bewilligungsverfahren und Haftungs- oder Versicherungsbelange. Sie fordert daher mehr Umbau- statt Bauordnung und mehr Umbau- statt Bauwirtschaft.

Trotz dieser treffenden Reflexion und der Versuchung, ab sofort bei jedem Bauvorhaben Bauteile aus Abbruchobjekten weiterzuverwenden, stellt sich die Frage, ob die benötigten Ressourcen überhaupt zur Verfügung stehen. So hat sich beispielsweise in der Zwischenzeit aufgrund eines Gemeinderatpostulats ergeben, dass für die Personalhäuser des Triemli-Spitals anstelle des sofortigen Abbruchs eine Zwischennutzung in Betracht gezogen wird. Diese für das Projekt vorgesehene Mine fällt also weg.

Auch scheint das AHB angesichts seines Portfolios mit 6000 stadt­eige­nen Bestandsbauten und 500 Mio. verbauten Franken pro Jahr gegenüber anderen Immobilieneigentümerschaften über vergleichsweise viele Ressourcen und Möglichkeiten zu verfügen. Insofern ist es wichtig, Kreislaufwirtschaft als kollektive Aufgabe wahrzunehmen und punkto vorhandener Bauteilressourcen über die Grenzen des individuellen Eigentums hinweg­zudenken – genau so, wie es eine Vielzahl der Wettbewerbsteilnehmenden auch tat.

Dieser Artikel ist erschienen in TEC21 36/2023 «Rotorblatt wird zum Bauteil».

-> Jurybericht auf competitions.espazium.ch.

Teilnehmende

1. Rang, 1. Preis: «Hallo, wir sind’s wieder»
Graber Pulver Architekten, Zürich; Weber + Brönnimann, Bern; Manoa Landschaftsarchitekten, Meilen
2. Rang, 2. Preis: «Punkt + Linie»
Studio Hammer, Basel; Caretta + Weidmann Baumanagement, Zürich; ZPF Structure, Basel; Stauffer Rösch, Basel
3. Rang, 3. Preis: «Züri Fäscht»
ARGE Studio Burkhardt + Lucas Micha­el Architektur, Zürich; Anderegg Partner, Zürich; Pirmin Jung Schweiz, Frauenfeld; Schnetzer Puskas Ingenieure, Zürich; Umland, Zürich; Rombo, Zürich

Fachjury

Jeremy Hoskyn, Amt für Hochbauten (Vorsitz); Gian-Marco Jenatsch, Amt für Städtebau; Barbara Buser, Architektin, Basel; Marc Loeliger, Architekt, Zürich; Andreas Sonderegger, Architekt, Zürich; Dominique Ghiggi, Landschaftsarchitektin, Zürich

Sachjury

Daniel Aebli, Thomas Bieri, Tabea Kaldis, Anja Keller, Entsorgung + Recycling Stadt Zürich; Daniel Oberholzer, Quartiervertretung

Tags

Verwandte Beiträge