Hängende Räume
Aufwertung Werkhalle, Gwatt
In die bestehende Tragstruktur einer Firmenhalle haben Furrer Jud Architekten eine gestapelte Raumsequenz eingehängt, um neue Gemeinschaftsräume für die Mitarbeitenden zu schaffen. Das nötige Tageslicht gelangt durch eine transparente Fassadendecke ins Innere der mehrheitlich geschlossenen Halle.
Umbauten steigern den Wert einer Immobilie und verbessern oft die Aufenthaltsqualität für die Nutzer. Auch bei Industriegebäuden sind Umbauten an der Tagesordnung. Dabei geht es nicht immer nur um die Verbesserung der Arbeitsabläufe. Beim Umbau einer Werkhalle für eine Firma im Fahrleitungssektor in Gwatt bei Thun stand das Wohl der Mitarbeiter im Zentrum. Auf dem Gelände sollten ein Schulungs-, ein Aufenthalts- und ein Garderobenraum entstehen, für deren Umsetzung die Bauherrschaft Furrer Jud Architekten direkt beauftragte.
Hoch gestapelt
Schon zu Beginn der Planung wurde klar, dass eine Erweiterung auf dem freien Gelände des Firmenareals den vorherrschenden Werkverkehr stark beeinträchtigen würde. Also setzten sich die Architekten mit einer Ergänzung im Innern der bestehenden Werkhalle auseinander. Um die Arbeitsabläufe möglichst nicht zu behindern, sollte die Intervention allerdings wenig Verkehrsfläche der Halle besetzen. Eine Stapelung der Räume lag auf der Hand: die Garderobe im EG, der Schulungsraum im 1. OG und der Aufenthaltsraum im 2. OG. Besonders reizvoll erschien es den Architekten, den bestehenden Stahlbau zu nutzen und die neue Konstruktion in das vorhandene Tragwerk zu integrieren. Die statischen Abklärungen durch Dr. Uwe Teutsch, Bauingenieur und Inhaber von Tragstatur, stützten diesen Ansatz.
Integration und Anbindung
Der existierende Skelettbau der leicht gedämmten Halle zeichnet sich durch unterschiedlich starke Stützen und Riegel aus. In Querrichtung ist die «dreischiffige» Halle über Rahmenwirkung ausgesteift, in Längsrichtung durch Verbände in der Fassadenebene. In 6.24 m Höhe liegen in Längsrichtung der Halle Kranbahnträger auf Stützenkonsolen auf; die Laufkatze trug bis zu 20 t schwere Lasten von Bobinen und Fahrleitungsmasten.
In der südlichen Hallenecke, wo die Architekten den Raumstapel verorteten, wurde der Kran stillgelegt. Mit dieser Massnahme liess sich das statische Potenzial des überdimensionierten Tragwerks für den Einbau aktivieren. Die beiden Obergeschosse der neuen Sozialräume planten die Architekten als eine hybride und relativ leichte Konstruktion aus Stahl und Hohlkastenelementen aus Holz, die in die Kranbahn eingehängt wurde (14 t Stahl und 20 t Ausbaulasten). Alle Mehrlasten liessen sich über die bestehende Tragkonstruktion der Halle ableiten, da die Aufhängungen des Stahlkastens relativ nah am Auflager der Kranbahnschiene positioniert wurden. Eine zusätzliche Fundierung oder Verstärkung war nicht notwendig. Einzig die Kranbahnschiene entlang der Fassade wurde stellenweise an den Flanschen mit aufgeschweissten dünnen Blechen verstärkt.
Schwebende Kiste
Durch die heterogene Materialisierung des Einbaus – 2. OG silbergraues Profilblech, 1. OG dunkler Stahl und EG Sichtkalksandstein – treten das oberste und das unterste Stockwerk in den Hintergrund, sodass das stählerne Volumen in der Mitte im Raum zu schweben scheint. Zwischen dem gemauerten Sockel im EG und dem Stahl-Holz-Hybridbau darüber haben die Architekten eine 50 cm hohe Fuge belassen, die sie nur mit einer einfachen Verglasung schlossen. Die Fuge stärkt den schwebenden Eindruck des darüber angeordneten Körpers noch und gewährleistet gleichzeitig eine angemessene Belichtung der Umkleidekabinen mit Tageslicht.
Der fast schwarze Stahlkörper mit einer Höhe von 3.6 m, einer Breite von 9.5 m und einer Tiefe von 7.4 m ist als Hohlkasten ausgebildet und wird in Querrichtung durch die beiden raumhohen Stahlwangen ausgesteift. Sie bestehen aus einem Rahmen aus H-Profilen, der mit einem 5 mm starken, alle 1.8 m mit Rippen ausgesteiften Blech ausgefacht ist. In Längsrichtung wird die Aussteifung des Kastens durch eine Rahmenwirkung gewährleistet. Hierfür sind die Verbindungen der Stahlprofile in Längsrichtung des Kastens mit den Endpfosten der Seitenwände in Querrichtung biegesteif ausgeführt.
Diese Rahmenwirkung ermöglicht schliesslich die Vollverglasung der Vorder- und Rückseite des raumhohen Hohlkastens. Boden und Decke sind als Lignatur-Hohlkastenelemente ausgeführt, was die Konstruktion deutlich leichter macht als eine klassische Betonverbunddecke. Die Gewichtseinsparung ermöglichte es, die bestehende Kranbahn unverstärkt zu verwenden und eine schlanke, aber dennoch auffallende Aufhängung der vier Ecken der Gesamtkonstruktion an die Kranbahnträger – jeweils zwei konstruktive Aufhängedetails pro Kranbahn – zu realisieren.
Auf der zur Fassade gewandten Seite umfassen zu einer Lasche zusammengeschweisste Walz- und Blechprofile den Kranbahnträger. Auf der Seite zum Halleninnern haken sich die Walzprofile am Kranbahnträger ein. Die beiden geschlossenen Seitenwände des Kastens wurden mit der Aufhängung der einen Seite komplett in der Werkstatt verschweisst und auf die Baustelle geliefert. Die Verbindung der beiden Seitenwände mit den Längsprofilen des Kastens erfolgte auf der Baustelle durch Schraubverbindungen. Lediglich an vier Stellen im Bereich der Aufhängung des Kastens an den Kranbahnträger in Fassadenebene waren Baustellenschweissungen notwendig. Alle vier Lager sind mit einem schwingungsdämpfenden Elastomer ausgestattet, damit die Vibrationen, die durch die in den anderen Feldern der Halle befindlichen Laufkatzen entstehen, nicht in die Sozialräume übertragen werden.
Die oberen Räume werden über zwei Stahltreppen erschlossen. Die Lauffläche besteht aus Gitterrosten, die auf beiden Seiten des Stahlbaus auf Konsolen aufliegen und von den Profilen des raumhohen Hohlkastens auskragen. Im 1. OG sind die beiden Treppen über eine Art Laubengang verbunden.
Der Aufenthaltsraum im 2. OG erweitert sich über eine Aussentür zu einem neuen Balkon an der Aussenfassade der Werkhalle. Ähnlich wie eine Fensterreinigungs-Hängebühne am Dach befestigt ist, hängt auch der Balkon an einer Tragkonstruktion, die in der Dachebene verankert ist. Vier IPE-400-Profile stehen auf Vierkantrohren, die ihre Lasten auf die Querträger der bestehenden Dachkonstruktion der Halle abgeben. An diesen um 2.3 m über den Dachrand auskragenden Profilen hängen 3.75 m lange Zugstangen, die über eine Blechwange die Profile des Balkons abfangen. Die Thematik der aufgehängten Konstruktion zeigt sich somit nicht nur im Innern der Halle, sondern auch aussen.
Fassadenrhythmus bewahrt
Die Hallenfassade war bis anhin nahezu vollflächig mit einem Wellblech verkleidet. Lediglich auf Höhe des Erdgeschosses kam Licht durch ein durchlaufendes Fensterband in den Raum. Um nun auch die neuen Aufenthaltsräume mit Tageslicht zu versorgen, haben die Architekten den Eckbereich der Fassade auf einem Abschnitt von 11 × 15,7 m mit einer neuen Verglasung versehen. Auch die Dachhaut des Hallendachs musste in diesem Bereich erneuert werden, wobei die Tragkonstruktion unverändert und unverstärkt bestehen bleiben konnte. Die neue Pfosten-Riegel-Konstruktion korrespondiert farblich mit dem für den neuen Halleneinbau verwendeten Stahl, aber auch mit dem Rhythmus der alten, anschliessenden Fassade.
Die transformierte Hallenecke erscheint heute aufgefrischt, hell und transparent, dennoch ist sie als Teil des Bestehenden zu erkennen. Einer Apparatur oder einer grossformatigen Installation gleich fügt sich der neue Einbau als wichtiger Bestandteil wie selbstverständlich in und an die Werkhalle.
Direktauftrag
Konstruktionsart
Hybridbau (Stahl/Hohlkasten-Elemente aus Holz)
Bauzeit
November 2016 bis Mai 2017
Kenndaten SIA 416
GF 350 m², NF 280 m², GV 1400 m3, 24 t
Abmessungen
12 (L) × 10 m (B) × 8 m (H)
Kosten
BKP 2 = 1.5 Mio. Fr., BKP 1–9 = 1.7 Mio. Fr.
Anmerkung
Dieser Artikel erschien bereits unter dem Titel «Neue Transparenz für eine Werkhalle» in steeldoc 01/18.
Am Bau Beteiligte
Bauherrschaft
Fahrleitungsbau für Bahn, Bus und Tram, Gwatt BE
Architektur
Furrer Jud Architekten, Zürich
Bauleitung
MTP Architekten, Bern
Tragwerksplanung
Tragstatur, Dr. Uwe Teutsch, Ermatingen TG
HLKS-Planung
Roland Wüthrich, Winterthur
Stahlbau
Stauffer Metallbau, Gwatt BE
Holzbau
Boss Holzbau, Thun