Wald, Holz und Holzindustrie im Blick der Kultur
Unter dem Titel «Cambio» widmet die Serpentine Gallery in London den Themen Holz, Wald und Holzindustrie und deren kultureller und wirtschaftlicher Bedeutung eine Ausstellung. Sie ist voraussichtlich noch bis zum 17. Mai 2020 via Internet zugänglich.
Der Wald, seine Bäume und deren Holz sind seit jeher Begleiter der kulturellen, technischen und auch wirtschaftlichen Entwicklung der Menschheit. Holz spielte beim Bau und bei der Konstruktion von Häusern, Schiffen, Fahrzeugen, Brücken, Geräten und Werkzeugen eine entscheidende Rolle und nimmt heute erneut an Bedeutung zu. Über wissenschaftliche Erkenntnisse wird es nun quasi neu erfunden und für die moderne Zeit fit gemacht.
Zwei junge italienische Designer, Andrea Trimarchi und Simone Farresin, die unter dem Namen «Studio Formafantasma» in den Niederlanden tätig sind, haben sich den kulturgeschichtlichen, technischen, ästethischen und wirtschaftlichen Aspekten von Wald, Baum und Holz gewidmet und für die Serpentine Gallery in London eine Ausstellung gestaltet, die nun übers Internet zugänglich ist (vgl. Link am Ende des Texts). Sie beleuchtet Holz aus einem globalen Blickwinkel und heisst «Cambio», wie das italienische Wort für Kambium, die Wachstumsschicht der Bäume, aber auch «Cambio» in der Bedeutung für Austausch und Wechsel. Der Fokus liegt auf der globalen Holzindustrie und umfasst nicht allein die Holzproduktion, sondern auch die Papier-, Bau- und Möbelindustrie. Formafantasma zeigt das Holz hier insbesondere als Ausgangsstoff für Waren und Produkte. Eröffnet am 3. März und geplant bis 17. Mai 2020, musste die Schau wegen der aktuellen Pandemie-Situation kurz nach Eröffnung wieder geschlossen werden. Sie ist jedoch teils im Internet zugänglich und soll laut Formafantasma nach einer späteren Wiedereröffnung um einige Monate verlängert werden.
Fokus auf Ökologie und Nachhaltigkeit
Die Serpentine Sackler Gallery ist seit 1970 in einem 200 Jahre alten ehemaligen Lagerhaus für Schiesspulver in den Londoner Kensington Gardens untergebracht. Formafantasma zeigt in den sechs verhältnismässig kleinen Räumen auf knapp 1000 m² Fläche die verschiedenen Aspekte von Holz – vom Baum über die Holzernte und die Verarbeitung zu Holzarten, den makroskopischen und mikroskopischen Eigenschaften und letztlich auch zum Holz als weltweit gehandeltem Produkt. Durchgehend liegt der Blick der Designer weniger auf die offensichtlichen, ästhetischen Eigenschaften von Holz, sondern vielmehr auf den ökologischen und nachhaltigen Eigenschaften, die dem Holz innewohnen.
In der Südgalerie empfängt ein mächtiger, zu Klotzbrettern aufgesägter, liegender Eichenstamm die Besucher. Die hochgewachsene Eiche stand im Garnstone Forest, Herefordshire, England, und wurde von einem Sägewerk in East Sussex in die Galerie gebracht. Der Stamm ist weitgehend entrindet, in zwei Teile geteilt, aufgesägt, luftgetrocknet und bereit zur Nutzung. Stapelleisten trennen die einzelnen Bretter, das Holz verströmt seinen Duft im Raum, angereichert durch den Geruch feuchter Erde und Waldflora, den die norwegische Forscherin Sissel Tolaas synthetisiert hat. Ein Aspekt, der sich indes im Internet nicht übertragen lässt. Eine Projektion enthält Informationen zum Wald, zu seiner Rolle als CO2-Speicher, zu Problemen mit Wirtschaftswald und Monokulturen und zu seiner Schutzfunktion gegen Naturereignisse.
Anders präsentiert sich die Nordgalerie, die mit einer reichhaltigen Sammlung von Holzmustern aus der botanischen Sammlung der Kew Gardens (Economic Botany Collection) aufwartet. Es handelt sich um teils rare Holzmuster, die in der grossen Industrieausstellung 1851 und in der Weltausstellung 1862, beide in London und in der Nähe des jetzigen Ausstellungsorts, gezeigt wurden. Auf Regalen liegen reihenweise Handmuster auf, am Boden und gegen die Wände gelehnt sind grosse Holzteile teils in Stammbreite, fast wie moderne Skulpturen. In einer Videoprojektion sind Ausschnitte aus der reichen Sammlung von kunstvollen Möbelstücken und Fragmenten aus Holz des Victoria & Albert Museums zu sehen.
Lernen von der Natur
Holz, das dauerhafte Gewebe in Stämmen, Ästen und Wurzeln der Holzgewächse, wird von der Kambium genannten, dünnen Schicht aus Teilungsgewebe unter der Rinde nach innen gebildet. Der makroskopische Holzaufbau zeigt, wie rund um das Mark Ringe angelegt sind.
In gemässigten Klimazonen mit Wärme und Feuchtigkeit variiert je nach Jahreszeit das Dickenwachstum. Mit zunehmendem Alter bildet sich ein stabilisierender Kern im Stamm, rundherum liegt das Splintholz, das Reservestoffe speichert und Wasser transportiert. Das zellulare Gewebe wird aus Kohlendioxid und Wasser im Kambium gebildet. Im Holz aus den Tropen und Subtropen entstehen die Zuwachszonen gemäss dem Wechsel von Regen- und Trockenperioden sowie anderen Faktoren.
Diesem Aufbau verdankt Holz seine Festigkeit und Elastizität. Die Zelltypen von Nadelholz sind einfacher aufgebaut als jene von Laubholz. Nadelholz besteht aus länglich-spindelförmigen Tracheiden, deren Hohlräume sich über Membranventile zu Wasserleitsystemen verbinden. Kapillarkräfte befördern das Wasser von der Wurzel bis zu den Nadeln. Bei Laubbäumen sorgen Zellengefässe mit weitgehend aufgelösten Querwänden für den Wasser- und Nährstofftransport.
Für das nicht von Fachwissen vorbelastete Publikum hält die Ostgalerie mit solchen Darstellungen in Form von Bildern, Film und Beiträgen im Katalogbuch einige Überraschungen parat. Physik und Chemie des Holzes, sein innerer Aufbau, die Stämme mit dem festen Kernholz und dem Ring von wasserführendem Splintholz, die Wachstumsschicht Kambium unter der Rinde und vieles mehr sind dort in rasterelektronischen Bildern dargestellt.
Der Wert und das Wesen von Bäumen und Holz
Der Ausgang aus der Schau führt nochmals durch die Südgalerie, wo der Windwurf im Fleimstal als Bild dargestellt ist. Von dort, aus der «Foresta dei Violini» am Fuss der Dolomiten, stammt das Fichtenklangholz der berühmten italienischen Geigenbauer. Ein gegen eine Woche lang wütender Sturm hat in den Dolomiten im Herbst 2018 tausende Hektar Wald zerstört und Millionen von Bäumen geknickt. Die Bilder sind bedrückend und erinnern an die Stürme «Vivian» 1990 und «Lothar» 1999 nördlich der Alpen.
Offenbar macht uns erst der Verlust des vermeintlich so zuverlässig stockenden Walds hellhörig, führt uns vor Augen, wie sehr die Bäume und ihr Wald die Landschaft prägen und sie auch schützen. Die Besucher – sofern die Serpentine Sackler Gallery später tatsächlich wieder zugänglich sein wird – gehen um Wissen und Kenntnisse zum Holz bereichert aus dieser Ausstellung. Sie lässt einen nachdenken über den Wert und das Wesen von Bäumen und Holz. Naturwissenschaften statt Kunst, dargestellt von Designern in ungewöhnlicher und beeindruckender Form – das ist ein verdienstvolles Unterfangen, ein Augenöffner des Studios Formafantasma und seines begleitenden Teams.
Die Serpentine Sackler Gallery, West Carriage Drive, Kensington Gardens, London, ist derzeit nicht zugänglich.
www.serpentinegalleries.org/search/site/cambium
Holz weltweit
Rund 60 000 Pflanzen bilden weltweit Holz. Nur 3000 bis 6000 Holzarten werden genutzt. Zum Beispiel sind es in der Schweiz 50 Holzarten, die industriell und handwerklich genutzt werden.
Holz ist ein wichtiger Rohstoff. Rund 3.6 Mrd. m3 Holz werden weltweit jährlich geerntet. Auch verglichen mit Zement, Stahl, Kunststoffen und Aluminium ist Holz bedeutend – dies sowohl hinsichtlich der Menge als auch des Gewichts. Der regenerierbare Rohstoff Holz ist einer der bedeutendsten Massenrohstoffe, zu dem es ökologisch keine Alternative gibt.
Holz war seit jeher weltweit gehandelte Ware. Durch die voranschreitende Globalisierung von Märkten und die Internationalisierung der Politik in Bezug auf Wald und Holz seien die globalen Handelsströme verstärkt in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt, schreibt das Thünen-Institut aus Braunschweig: «In Zukunft wird die Bedeutung von Holz noch zunehmen, da dem System Wald und Holz sowie der in der Forstwirtschaft geübten nachhaltigen Bewirtschaftung im Konzept der dauerhaften Entwicklung (sustainable development) weltweit eine besondere Rolle zukommt.»
Prof. Dr. Dr. habil. Gerd Wegener, Institut für Holzforschung der Universität München