Mi­ner­gie wird zum Kli­ma­zer­ti­fi­kat

Nationale und kantonale Behörden bemängeln das schleichende Tempo bei der Energiewende. Mit einer Harmonisierung der freiwilligen Standards Minergie und SNBS wollen sie nun weiteren Schub für den Gebäudebereich geben. Mit einem CO2-Grenzwert soll der Immobilienmarkt auf künftige Gesetzesverschärfungen vorbereitet werden.

Publikationsdatum
12-06-2023

Aus drei mach zwei oder Eile mit Weile? Bund und Kantone haben sich verständigt, die freiwilligen Gebäudestandards Minergie und Standard Nachhaltiges Bauen Schweiz (SNBS) zu harmonisieren und das bisherige «2000-Watt-Areal»-Zertifikat darin zu integrieren. Vor 15 Monaten war die Reorganisation angekündigt worden. In Kraft treten die neuen Zertifizierungsregeln nun ab Herbst 2024. Anfang Juni gaben die Trägerorganisationen und das Bundesamt für Energie (BFE) die inhaltlichen Leitplanken für diese Neuausrichtung bekannt.

«Der Gebäudebereich muss sich selbst mit erneuerbarer Energie versorgen und den Material- und Ressourcenaufwand erheblich reduzieren», erklärt Andreas Meyer Primavesi, Geschäftsführer des Vereins Minergie. Entsprechend würden die Anforderungen in den Minergie-Standards wesentlich verschärft: Zur Eigenstromproduktion wird die gesamte verfügbare Dachfläche eingefordert. Ein Grenzwert soll die Treibhausgasemissionen im Betrieb und beim Bau beschränken. Und bezüglich dem sommerlichen Hitzeschutz wird ein strengeres Nachweisverfahren definiert. «Minergiehäuser der neusten Generation werden auch in 30 Jahren nicht überhitzen», so Meyer Primavesi.

Der Eco-Zusatz bleibt frei wählbar, aber soll einfacher beantragt werden können. Das Kriterienset wurde auf weniger als 60 Vorgaben zusammengestrichen. Der neue Schwerpunkt gilt dem Kreislaufprinzip, wobei erstmals Anforderungen für Biodiversität und Wasserhaushalt zertifizierbar sind.

SNBS mit neuen Anforderungen

Mindestens so umfassend wurde das SNBS-Zertifizierungsverfahren entschlackt. In den drei Nachhaltigkeitsdimensionen Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt hat ein Gebäude nurmehr 35 statt 45 Kriterien zu erfüllen. «Trotzdem werden auch neue Anforderungen gestellt», sagt Martin Hitz, Präsident des Netzwerks Nachhaltiges Bauen Schweiz (NNBS). Ein Mitspracherecht für beteiligte Gruppen an der Standortentwicklung oder soziale Interaktionen werden erstmals benotet ebenso wie die städtebauliche Eingliederung. «Alles in allem soll das SNBS-Label ein überwindbares Einstiegsmittel für das nachhaltige Bauen werden», hofft Hitz.

Wie bisher würden keine Spitzenleistungen wie zum Beispiel für den Minergiestandard verlangt. Bemerkenswert ist der Plan, Ersatzneubauten differenzierter zu betrachten: «Der mit einem Gebäudeabriss verbundene Verlust an grauer Energie wird in die SNBS-Bilanzierung zu berücksichtigen sein», so der NNBS-Präsident. Weitere Angaben und künftige Zielwerte sollen erst Mitte September publik werden, wenn die einjährige Übergangsperiode beginnt.

Vereinfachung bei 2000-Watt-Nachfolgelösung

Die Harmonisierung der Gebäudelabel schafft auch neue Perspektiven: Um das 2000-Watt-Label abzulösen, werden Minergie und der SNBS jeweils auf Stufe Areal zertifizierbar sein. Bei ersterem kommen Vorgaben an den Aussenraum und die Mobilität hinzu. Zudem soll ein Erhalt von Bestandsbauten honoriert werden, und erlaubt sei ein Kompensieren von Leistungen zwischen den Gebäuden, wurde an der Medienkonferenz betont. Demgegenüber will ein SNBS-Areal-Zertifikat erstmals suffiziente Wohnmodelle belohnen. Bestehende «2000-Watt-Areals» dürfen ihre Marke behalten oder sich mit vereinfachtem Verfahren einem Nachfolgelabel anschliessen.

Das Bundesamt für Energie (BFE) und die Kantone, die dem Minergie-Verein angehören, wollen die Labellandschaft aber nicht nur aufräumen, sondern verfolgen auch sachpolitische Ziele. Diese Standards sind «eine Lernplattform für den Gesetzgeber», sagt Fabian Peter, Luzerner Regierungsrat und Präsident von Minergie. BFE-Vizedirektor Daniel Büchel hofft denn auch, dass die jetzt noch freiwilligen Anforderungen vorspuren für künftige gesetzliche Vorgaben. Denn sowohl beim Ausstieg aus der fossilen Energieversorgung als auch beim Energiesparen stimme wohl die Richtung. «Doch das Tempo der Umsetzung muss erhöht werden», so Büchel.

Weitere Infos: www.minergie.ch

Einheitliche Methodik, gemeinsame Plattform

 

Der Gebäudeenergieausweis der Kantone (GEAK) ist zwar Teil der Labelfamilie, die von Bund und Kantonen neu aufgestellt wird. Dennoch handelt es sich dabei um kein weiteres, zielorientiertes Bewertungsverfahren, sondern um ein standardisiertes Analyseinstrument. Trotzdem gewinnt auch der GEAK an Bedeutung: Die dahinterliegende Berechnungs- und Bewertungsmethoden bilden nun den validierten roten Faden für alle offiziellen Gebäudestandards der Schweiz.

 

Der GEAK berechnet im konkreten drei Kennwerte: den Heizwärmebedarf, die Gesamtenergieeffizienz und die lokal erzeugten direkten CO2-Emissionen. Als Berechnungsgrundlagen dafür dienen die SIA-Norm 380/1, das SIA-Merkblatt 2031 und die Gewichtungsfaktoren für Energieträger gemäss der Energiedirektorenkonferenz der Kantone (ENDK). Nicht koordiniert sind methodische Differenzen mit dem SIA-Effizienzpfad Energie, der auf Primärenergiefaktoren beruht und der 2000-Watt-Methodik entspricht.

 

Ab diesem Herbst übernimmt der Verein Minergie die betriebliche Verantwortung für die gesamte Labelfamilie und organisiert von der Zertifizierung über die Qualitätssicherung bis zur Weiterbildung sämtliche Belange. Zudem lassen sich die unterschiedlichen Zertifizierungsanträge dereinst auf einer gemeinsamen Webplattform erfassen und einreichen.

 

 

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