Was ei­ne 2000-Watt-Bi­lan­zie­rung aus­zeich­net

Wissenschaftlich differenzierte Primärenergiefaktoren versus national einheitliche Gewichtungsfaktoren: Ein Meinungsbeitrag von Daniel Kellenberger, Intep Zürich.

Publikationsdatum
18-03-2022

Der Bund reagiert mit verschiedenen Strategien auf die bestehende Energie- und Klimaproblematik. Zum einen formuliert die nationale Klimastrategie das Ziel «Netto-Null» bis im Jahr 2050 und zum anderen muss die Energiestrategie umgesetzt werden. Die meisten Energie- und Klimaziele sind in der Vision einer 2000-Watt-Gesellschaft wie folgt zusammengefasst:

  • eine Energieversorgung, die zu 100 % auf erneuerbaren Ressourcen basiert
  • ein Dauerleistungsbedarf von 2000 Watt Primärenergie pro Person
  • und 0 t CO2-Emissionen pro Person im Jahr 2050.

Der Gebäudesektor in der Schweiz ist für 45% des inländischen Primärenergieverbrauchs und für 24% der CO2-Emissionen verantwortlich. Entsprechend braucht es Massnahmen, um sowohl den Konsum als auch die Emissionen zu reduzieren. Die Energiegesetze der Kantone, die mehrheitlich auf den Mustervorschriften der Kantone im Energiebereich (gemäss MuKEn-Version 2014) basieren, bilden das bislang rechtsverbindliche Anforderungsprofil für den Betriebsenergiebedarf von Neu- und Umbauten.

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Um darin auch die energierelevanten Vorketten der verschiedenen Energieträger zu berücksichtigen, wurden sogenannte politische Gewichtungsfaktoren festgelegt. Diese Faktoren sind eine Grundlage für zusätzliche Nachweisverfahren, die über das gesetzliche Minimum hinausgehen wie der Gebäudeenergieausweis der Kantone GEAK, der Standard Minergie oder der Standard Nachhaltiges Bauen Schweiz SNBS.

Allerdings basieren diese Gewichtungsfaktoren im Gegensatz zu den Primärenergiefaktoren, die die Koordinationskonferenz der Bau- und Liegenschaftsorgane der öffentlichen Bauherren KBOB in der Liste «Ökobilanzdaten im Baubereich» empfiehlt, nicht auf einer wissenschaftlichen Grundlage. Der SIA-Effizienzpfad Energie und die Zertifizierung von 2000-Watt-Arealen – als 2000-Watt-kompatible Planungsinstrumente – basieren hingegen komplett auf den wissenschaftlich begründeten Primärenergiefaktoren (PEF) und den dazugehörigen Treibhausgasemissionskoeffizienten.

Zukunftsgerichteter SIA-Effizienzpfad

Wesentliche Unterschiede zwischen den Gewichtungs- und den Primärenergiefaktoren sind: Erstere sind nur für acht Energieträger definiert, während die KBOB-Liste 60 PEF-Werte wiedergibt. Die Elektrizität wird beispielsweise pauschal mit dem Faktor 2 gewichtet; die KBOB-Daten differenzieren nach Herkunft: Atomstrom weist einen PEF von 4, die Photovoltaik ist dagegen mit 1.6 gewichtet (vgl. Tabelle).

Der SIA-Effizienzpfad Energie wählt zudem eine zukunftsgerichtete, integrale Sichtweise auf die Gebäudebewertung. Neben dem Betrieb werden auch die Erstellung und die induzierte Mobilität berücksichtigt, wobei die einzelnen Bereiche einander methodisch korrekt gegenübergestellt werden dürfen. Inhaltlich folgt daraus: Die einzelnen Bilanzierungsbereiche können teilweise gegenseitig kompensiert werden. Aus folgenden Gründen müssen diese wissenschaftlichen Primärenergiefaktoren (inklusive Treibhausgasemissionskoeffizienten) die politisch definierten nationalen Gewichtungsfaktoren in naher Zukunft ersetzen:

  • Eine Gebäudebewertung muss die integrale Sicht bevorzugen. Das bedeutet, dass Erstellung, Betrieb und induzierte Mobilität auf denselben Berechnungsgrundlagen beruhen müssen. Die nationalen Gewichtungsfaktoren, die für Nachweisberechnungen im Gebäudebetrieb verwendet werden, verunmöglichen dies, weil sie sich – im Gegensatz zu den KBOB-Primärenergiefaktoren – nicht dazu eignen, auch die Klimaeffekte von Baustoffen zu gewichten.
  • Die Methode der Ökobilanzierung muss Grundlage sein für eine Lebenszyklusbewertung eines Gebäudes (von der Erstellung über den Betrieb bis zur Entsorgung) und somit auf eine Datengrundlage zurückgreifen, die alle notwendigen Energieträger und Umweltauswirkungen enthält.
  • Die Labels und Standards für Gebäude und Areale dürfen nicht als staatliches Vollzugsinstrument verwendet werden, sondern können auf freiwilliger Basis mehr verlangen, als das Gesetz festsetzt. Hierfür sind wissenschaftliche und nicht politisch bestimmte Grundlagen zu verwenden.
  • Die laufende Klimadebatte muss sich wissenschaftlicher Grundlagen bedienen, um glaubwürdig zu sein. Ansonsten droht grosser Widerstand bei der Umsetzung.
  • Bei der Festlegung der Gewichtungsfaktoren gilt es Partialinteressen zu vermeiden. Bund und Kantone stecken in einem Interessenskonflikt, da die Kantone häufig Miteigentümer von Energieversorgungsunternehmen sind.
  • In Zukunft werden sich die Akteure aus dem Gebäudebereich verstärkt mit der Klimakrise beschäftigen müssen. Die nationalen Gewichtungsfaktoren sind dafür ungeeignet, weil sie sich nicht für eine differenzierte Bilanzierung von Treibhausgasemissionen eignen.

 

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