«Bau- und Finanzbranche müssen enger zusammenarbeiten»
Der Finanzplatz Zürich ist ein internationaler Hub für Sustainable Finance und soll es auch für Carbon Finance werden. Dazu müssen die Bau- und Immobilienbranche neue Instrumente entwickeln – auch für den Holzbau.
Wie die Baubranche sind auch Banken und Investoren an nachhaltigen Immobilien interessiert. Was tut sich im Finanzsektor?
Thomas Fedrizzi: Den Begriff «Nachhaltige Immobilien» finden Sie in fast jedem Anlegerprospekt. Viele Investoren verbinden Nachhaltigkeit mit klimafreundlicher Energietechnik oder tiefem Energieverbrauch, was richtig, aber zu kurz gegriffen ist. Deshalb nehmen einige Anleger komplette Lebenszyklusanalysen als Grundlage für ihre Entscheidungen. Life-Cycle-Analysis-Treiber sind neue regulatorische Vorgaben im Baubereich, die die graue Energie limitieren. Länder wie Dänemark, Schweden oder Frankreich haben in Bezug auf das Material Vorschriften erlassen und wenden vermehrt Corporate-Governance-Richtlinien an. Kurz: Ein Real-Estate-Investor sollte es sich nicht mehr leisten, nicht klimaschonend zu bauen.
Thomas Richter: Auch über Regulierungen hinaus sind nachhaltige Immobilien vorteilhaft. Studien zeigen, dass sie sich durch niedrigere Betriebskosten, Transaktionsprämien, geringere Leerstände und Mietpreisprämien auszeichnen. Investoren und Banken können damit die Investitionsrisiken senken, Marktchancen nutzen und etwas für die Nachhaltigkeit tun. Das ist bei vielen mittlerweile elementarer Teil der Strategie.
Welche Rolle spielen Labels?
Richter: Zur Bewertung von Nachhaltigkeit im Immobiliensektor sind wir, wenn es um Finanzprodukte geht, stark von Gebäudelabels abhängig. Viele davon fokussieren auf das Thema Energieeffizienz im Betrieb – gerade die beliebten Labels GEAK und Minergie, vor allem auch mit dem Zusatz Eco. Die Immobilienindustrie und die akademische Forschung beschäftigen sich stärker mit grauer Energie, CO2-Speicherung und Kreislaufwirtschaft und seit Kurzem ist auch «Netto-Null» ein Thema.
Hinkt die Finanzwirtschaft mit ihren Beurteilungskriterien der Bauwirtschaft hinterher?
Fedrizzi: Das kann man so nicht sagen. Das Paris Agreement Capital Transition Assessment (PACTA), der Klimatest für Investitionen im Finanzsektor, soll in der Vermögensverwaltung erstmals die durch Stahl und Beton verursachte CO2-Belastung eines Investments darlegen. Damit geht die Finanz-industrie eigene Wege. Viele Institute haben sich Richtlinien für Umwelthypotheken gegeben, meist ausgehend von Baustandards. Life-Cycle-Konzepte sind aber, solange sie nicht mit einem handelbaren Wertpapier verlinkt sind, nicht «bankable».
Richter: Ich denke aber, es ist zu viel verlangt, dass die Finanzinstitute die Nachhaltigkeitsleistung der Bauwirtschaft selbst bewerten. Sie müssen mit Labels arbeiten, die auch Themen über Betriebsenergie hinaus einschliessen. Dann können die Banken dies in ihre Beurteilungen einfliessen lassen. Finanz-, Bau- und Immobilienbranche müssen aber in jedem Fall enger zusammenarbeiten.
Dieser Artikel ist erschienen im Sonderheft «Stadt aus Holz – Wohnbauten in Holz, nachhaltig finanziert». Weitere Artikel zum Thema Holzbau finden Sie in unserem digitalen Dossier.
Sollte es für das in einem Holzbau eingelagerte CO2 eine monetarisierte Einheit geben?
Richter: In der Tat, aus volkswirtschaftlicher und umweltökonomischer Perspektive liegt hier eine Externalität vor …
Fedrizzi: … wer mit Holz baut, erbringt eine Klimaleistung für die Gesellschaft, die finanziell nicht entschädigt wird. Das ist der Fall, weil es weltweit bislang keinen anerkannten CO2-Standard für Holzbauten gibt.
In diesem Zusammenhang verfasst die ZHAW im Auftrag von Timber Finance eine Machbarkeitsstudie zur Einführung einer «Holzbau-Hypothek».1 Was verspricht sie?
Fedrizzi: Sie ist mit CO2-Speicherzertifikaten unterlegt, die sich Investoren an die CO2-Bilanz anrechnen lassen können (Insetting). Der im Wald aus der Atmosphäre entzogene Kohlenstoff bleibt während vieler Jahrzehnte in der Tragkonstruktion gebunden. Die Zertifikate sind durch Verkauf an den CO2-Märkten in Wert umsetzbar. Mit ihnen im Kerngeschäft erübrigt sich der Kauf von externen Papieren (Offsetting).2
Richter: Auch haben die Privatbesitzer von Holzbauten mittelfristig keinen Zugang zum Markt für Speicherzertifikate. Finanzhäuser oder Banken perspektivisch jedoch schon. Sie können sich die Zertifikate von der Bauherrschaft gegen eine Zinsreduktion auf der Hypothek abtreten lassen und gebündelt in ihrer CO2-Bilanz anrechnen lassen. Da ergeben sich ansehnliche Speicherpotenziale, die quantifiziert und gegebenenfalls auch monetarisiert werden können.
Einseitige Fördermassnahmen für Holzbauten sind nicht zulässig, denn eine gerechte Bauwirtschaft umfasst gleiche Chancen für jedes Material. Lässt sich der Zielkonflikt lösen?
Fedrizzi: Verbunden mit einer nachhaltigen Waldbewirtschaftung ist Holz auch einer der nachhaltigsten Baustoffe. Ich bin nicht sicher, ob wir es uns angesichts der klimatischen Dringlichkeit leisten können, von Materialneutralität zu sprechen. Müsste die Frage nicht anders gestellt werden: Ist eine Bauwirtschaft gerecht, die ohne zu bezahlen Millionen Tonnen oder 11 % der Treibhausgasemissionen für Baumaterialien wie Zement und Stahl emittiert? Holz müsste nicht gefördert werden, wenn die Treibhausgasverursacher einen CO2-Preis entgelten würden. Damit wäre der Zielkonflikt gelöst.
Richter: Wir müssen die CO2-Speicherung fördern. Das sind neben dem Holzbau andere biogene Baustoffe oder Technologien wie die CO2-Entnahme aus der Luft. Wenn aber der Holzbau mit einer Nachhaltigkeitslösung aufwartet, sollten wir nicht zögern, das Potenzial zu nutzen, nur um zu warten, bis andere Technologien so weit sind. Wir fördern auch Elektroautos und warten nicht, bis Brennstoffzellen- oder Solarautos ebenfalls marktreif sind.
Anmerkungen
1 Das Hypothekarvolumen der Schweizer Banken beläuft sich gemäss SNB-Statistik per Ende 2023 auf 1.19 Bio. CHF. Für grössere Immobiliengesellschaften und Schweizer Fonds ist auch die Finanzierung über den Kapitalmarkt üblich. Die Marktkapitalisierung von börsennotierten Immobilienaktiengesellschaften beträgt etwa 20 Mrd. CHF, die der Immobilienfonds etwa 65 Mrd. CHF.
2 Herkömmliche CO2-Zertifikate sind Reduktionszertifikate. Speicherzertifikate beinhalten die Absorption des CO2 aus der Atmosphäre und die Konversion vom Rohprodukt in ein speicherndes Nutzprodukt inkl. Transport und Speicherleistung vor Ort. Der Marktpreis für Speicherzertifikate liegt je nach Technologie bei CHF 100–400 / t CO2, wobei der Holzbau mit erwarteten CHF 150 / t CO2 am unteren Ende liegt und deshalb preiswert skalierbar ist.