Neue Ver­bin­dun­gen statt al­ter Rost­bal­ken

Studienauftrag «Basel Nauentor»; einstufiger Wettbewerb im selektiven Verfahren

Mit dem Projekt für das Nauentor wird Basels markante Skyline durch drei weitere Türme ergänzt. Doch vor allem schafft das Team von Bruther, Jan Kinsbergen Architekten und Truwant + Rodet einen öffentlichen Verbindungsraum zwischen der Innenstadt und dem Vorstadtquartier Gundeldingen.

Publikationsdatum
05-10-2023

Fährt man mit dem Zug von Osten in den Bahnhof Basel SBB ein, so fällt der Blick auf den riesigen, rot gestrichenen «Rostbalken». So nennen die Baslerinnen und Basler das bestehende Postreitergebäude, das sich wie ein Tisch über den Gleisen erhebt, etwas spöttisch. Der Bau wurde zwischen 1972 und 1980 von Suter+Suter Architekten erstellt und bis 2016 von der Post als Verteilerzentrum genutzt. Da die Grundeigentümerinnen, die Post und die SBB, kaum noch Bedarf haben, steht es seither weitgehend leer.

Eine Testplanung sollte mög­liche Potenziale zur Weiterentwicklung des Areals aufzeigen. Dabei wurde klar: Eine vollumfäng­liche Instandsetzung des stark sanierungs­bedürftigen Kolosses ist unter Berücksichtigung der feu­er­polizei­li­chen Auflagen und aus wirt­schaft­licher Sicht nicht tragbar. Die Diskussion unter der lokalen Architektenschaft zum Fortbestand der Stahl­­konstruktion war hiermit eröffnet.

Ein langer Prozess

Für den Erhalt des Relikts aus der Bauboom-Phase der 1970er-Jahre sprachen sowohl nostalgische Beweggründe als auch rationale Aspekte der Nachhaltigkeitsdebatte. Gleichzeitig blieb die dringliche Hauptaufgabe, die unbefriedigende städtebauliche Situation zu klären.

Der logische Schluss: Die Parzelle, die sich an bester Lage direkt neben dem Hauptbahnhof befindet, bedarf einer Neuentwicklung und Aufwertung. Die Tragstruktur des «Rostbalkens» kann nur zum Teil erhalten bleiben. Dafür entsteht neben mehr Wohnraum und publikums­orientierten Nutzungen eine ver­besserte Anbindung der Quartiere jenseits der Gleise an die Innenstadt. Das kommt dem dicht bewohnten Stadtteil Gundeldingen entgegen.

Wie das Areal in Zukunft verdichtet und besser ausgenutzt werden kann, zeigt bereits die von Morger Partner Architekten weiterentwickelte und vertiefte Machbarkeitsstudie auf. Deren Erkenntnisse bilden die Grundlage für den rechtskräftigen Bebauungsplan «Areal Nauentor». Der Plan sieht einen Überbau auf der bestehenden Trag­struktur des Postreitergebäudes, die Erweiterung des Sockels mit dem heutigen Parking und drei maximal 89 m hohe Türme vor.

Der Studienauftrag «Basel Nauentor» wurde als einstufiger Wettbewerb im selektiven Verfahren international ausgeschrieben – die grosse Aufgabe zog neben namhaften Basler Architektinnen und Architekten Talente aus der ganzen Welt an. Eher aussergewöhnlich war die Auflage, dass in jeder Arbeits­ge­mein­schaft, bestehend aus mindestens drei Architektur- oder Städtebaubüros, zwingend ein Nachwuchsbüro teilnehmen musste.

Zur Weiterbearbeitung empfohlen wurde die internationale ­Arbeitsgemeinschaft Bruther, Jan Kinsbergen Architekten und Truwant+Rodet. Ihr Konzept ist eine Chance: Das Siegerprojekt bringt die Gegend um den Bahnhof in Ordnung, kann einen Teil der bestehenden Tragstruktur erhalten und wird der Vielschichtigkeit der Aufgabe gerecht.

Quartiere neu verbinden

Das städtebauliche Gesamtkonzept des Siegerteams folgt dem vorgegebenen Bebauungsplan und setzt sich aus der raumhaltigen Stahlkon­struktion des Postreitergebäudes, einem Sockelbau und drei flankierenden Hochhäusern beidseitig des Bahnhofs zusammen. Die Stärke des Projekts liegt im Umgang mit dem öffentlichen Raum, der einen Grossteil des Sockelgeschosses beansprucht. Von Norden nach Süden bildet die grosszügige «Galerie Nauentor» eine wichtige Verbindung des Bahnhofsvorplatzes mit der Peter-­Merian-Strasse. Sie ist ausschliesslich für Fussgänger und Velofahrerinnen gedacht und bietet damit einen attraktiven Ersatz für die tunnelartige, dunkle Postpassage. Davon profitiert auch der Stadtraum am Ende der Centralbahnstrasse, der bis dato einem vernachlässigten Hinterhof gleicht.

Die mehrgeschossige, überdachte Durchgangshalle wertet diesen Platz stark auf. Die Galerie ist bewusst keine Shoppingmall und bietet Raum für die Hauptzugänge zu den Gebäuden sowie den Langsamverkehr und dient als Aufenthaltsort für die  Bevölkerung, Kultur und Gewerbe.

Die zweite wichtige Infrastruktur des Projekts ist die neue, grosszügige «Magistrale», die über die Gleise hinweg die Verbindung zwischen dem «Gundeli» und der Innenstadt stärkt und eine willkommene Alternative zur bestehenden, sehr schmalen Passerelle bietet. Die «Magistrale» erschliesst die Gleise im Osten des Bahnhofs und dient als wichtige Abkürzung für Fussgängerinnen und Fussgänger. Neu sind die Wege getrennt, was Konflikte mit Velofahrenden minimiert. Dank der Inte­gration der «Magistralen» in die tragende Ebene konnte das Siegerteam die Velorampen kürzen und benutzerfreundlicher gestalten.

Im gleisüberspannenden Aufbau ergänzen grosszügige Flächen das Angebot im Bahnhof. Das «städtische Highlight über den Gleisen» könnte aber auch zur Konkurrenz zu den Verkaufsflächen auf Strassenniveau entlang der Nauenstrasse und der Galerie auf der Seite der Innenstadt werden.

In die Höhe bauen

Im Gegensatz zum Projektperimeter der Post, der rund 105000 m2 Brutto­geschossfläche einschliesst und auf der Innenstadtseite liegt, misst derjenige der SBB gerade mal ein Fünftel der Fläche und befindet sich im Gundeldinger Quartier. Laut Bebauungsplan können bis zu 80000 m² Gewerbefläche und rund 36000 m² Wohnraum für etwa 600 Personen entstehen, davon ein Drittel im preis­günstigen Segment. Damit leistet das Projekt einen Beitrag zur Schaffung des in Basel dringend benötigten Wohnraums. Da vor allem in den Hochhäusern gewohnt werden soll, ist die Erschliessung der Türme wesentlich. Auf Gundeldinger Grund ist das SBB-Hochhaus über die neue Magistrale mit dem restlichen Komplex verbunden und über eine grosszügige Treppenanlage als Teil der Quartierverbindung erschlossen. Die beiden Türme auf der Seite der ­Innenstadt haben je zwei Erschliessungskerne auf Stras­senniveau, weitere befinden sich entlang der Galerie. Wegen der Tiefe des Sockels bereitete die Gestaltung des Grundrisses einige Mühe – manche Nutzungen werden ohne Tageslicht auskommen müssen.

Im Gegenzug bieten die zwei Hochhäuser der Post vielfältige Aussenräume, wie etwa einen Dachgarten, der viel Freiheit zur Aneignung lässt, oder die wohlproportionierten Innenhöfe über der Stadtebene, die einen angenehmen Ort als Treffpunkt und zur Abkühlung bieten. In den Obergeschossen ergänzen begrünte Lichthöfe das Angebot.

Stadtbauteile wiederverwenden

Beim Siegerprojekt überzeugte die Jury vor allem der architektonische Ausdruck. Das Projekt folge der Philosophie einer zukunftsorientierten Architektur, die die Weiterverwendung von Vorgefundenem gegenüber dem Abbruch priorisiere, so das Urteil. Vorhandenes werde ertüchtigt und Neues in nachhaltiger Leichtbauweise erstellt. Und das Ganze mit minimalem Material­verbrauch. Die Jury schätzte, dass dabei ein Gesamtwerk ohne Sen­timentalität zum umstrittenen architektonischen Ausdruck des heutigen Nauentors entsteht. Es zeugt von Verantwortungsbewusstsein, dass im Projekt – wo immer möglich – die bestehende Tragstruktur konsequent weiterverwendet wurde. Im Bereich über den Gleisen führte die Idee allerdings zu einem komplexen Tragwerk, das die Raum­struk­tur stark einnimmt.

Die Realisierung im Teilbereich der Post startet voraussichtlich ab Ende 2024, der Abschluss der Bauarbeiten ist frühestens 2031 in Sicht. Auf dem Perimeter der SBB im «Gundeli» soll dagegen noch ein Projektwettbewerb ausgelobt werden, der sich auf die Erkenntnisse aus dem Dialogverfahren und dem städtebaulichen Gesamtprojekt stützt.

Erste nostalgische Anwandlungen bekamen die Baslerinnen und Basler wahrscheinlich schon, als das erste Postgebäude im neo­barocken Stil im Jahr 1975 zugunsten des «Rostbalkens» gesprengt wurde. Im Gegensatz zu damals bleibt heute der Kern der Gebäudestruktur aber im Sinne der Nach­haltigkeit erhalten. Und durch die städtebauliche und räumliche Verknüpfung der Quartiere jenseits der Gleise mit der Innenstadt erfährt das Gebiet eine starke Aufwertung. Es wird sich allerdings noch zeigen müssen, wie die logistische Herausforderung an diesem viel genutzten Ort bewältigt wird.

-> Jurybericht und Pläne zu den Projekten auf competitions.espazium.ch.

Teilnehmende

  • Siegerteam: Bruther Switzerland, Paris/Zürich; Jan Kinsbergen Architekten, Zürich; Truwant+Rodet, Basel; Antón Landschaft, Zürich; Argus Stadt und Verkehr Partnerschaft, Hamburg; Schnetzer Puskas Ingenieure, Basel; Amstein+Walthert, Zürich; Zeugin-Gölker Immobilienstrategien, Zürich
  • Team 2: Dürig, Zürich; DPA Perrault Architecture, Paris; TEN, Zürich; vetschpartner Landschafts­architekten, Zürich; B+S, Bern; Basler&Hofmann, Zürich; Amstein+Walthert, Zürich; Universität Luzern, Soziologisches Institut, Luzern; ETHZ Eawag, Dübendorf
  • Team 3: HHF Architekten, Basel; Bjarke Ingels Group, Kopenhagen; Weyell Zipse Architekten, Basel; Robin Winogrond, Zürich; Studio Céline Baumann, Basel; Systematic, Mailand; Schnetzer Puskas Ingenieure, Basel; Kalt+Halbeisen Ingenieurbüro, Zürich; Cabane Partner Urbane Strategien und Entwicklung, Basel; Oekoskop, Basel; RISAM, Basel
  • Team 4: Morger Partner Architekten, Basel; Miller& Maranta, Basel; Waldrap, Zürich; Lorenz Eugster Landschaftsarchitektur und Städtebau, Zürich; Gruner, Basel; wh-p Ingenieure, Basel; Hefti. Hess. Martignoni, Basel; Transsolar Energietechnik, Stuttgart; HSLU Institut für Soziokulturelle ­Entwicklung, Luzern; KEEAS, Zürich; Aegerter& Bosshardt, Basel; Emmer Pfenninger Partner, Münchenstein
  • Team 5: Nissen Wentzlaff Architekten, Basel; Degelo Architekten, Basel; SAGA Salome Gutscher Architektur, Basel; Bryum, Basel; Büro für Mobilität, Bern; B+G Ingenieure Bollinger und Grohmann, Frankfurt am Main; Amstein+Walthert, Zürich; Denkstatt, Basel; Zirkular, Basel; RISAM, Basel

Fachjury

  • Peter Berger, Architekt, Zürich (Vorsitz)
  • Emanuel Christ, Architekt, Basel
  • Guido Hager, Landschafts­architekt, Zürich
  • David Leuthold, Architekt, Zürich
  • Maya Scheibler, Architektin, Basel
  • Barbara Emmen­egger, Stadt- und Raumsoziologin, Zürich (Ersatz)

Sachjury

  • Michael Heim, Leiter Development, Mitglied der GL, Post Immobilien
  • Barbara Zeleny, Leiterin Anlage­objekte Entwicklung Urban, SBB Immobilien
  • Beat Aeberhard, Leiter Städtebau&Architektur, Kanton Basel-Stadt
  • Benno Jurt, Leiter Öffentlicher Verkehr / Mobilitätsplanung, Kanton Basel-Stadt
  • Jürg Degen, Leiter Abteilung Städtebau, Städtebau&Architektur, Kanton Basel-Stadt (Ersatz)
  • Danny Bucco, Leiter Projektentwicklung, Post Immobilien (Ersatz)
  • ­Philippe Marti, Projektleiter Anlage­objekte Entwicklung Urban, SBB Immobilien (Ersatz)
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