Rampen verbinden: São Paulos soziale Infrastrukturen
Die brasilianische Metropole São Paulo tätigt seit Jahrzehnten erhebliche Investitionen in neue architektonische Infrastrukturen, um die räumliche Enge der Megacity zu kompensieren. Die aktuelle Ausstellung «Access for All. São Paulos soziale Infrastrukturen» im Schweizerischen Architekturmuseum S AM beleuchtet eine Baukultur, in der sich Architektur nicht nur der Stadt zuwendet, sondern sie aktiv mitgestaltet.
Vor zwei Jahren kuratierte das Architekturmuseum der TU München die Wanderausstellung «Access for all: São Paulos soziale Infrastrukturen». Vor Kurzem eröffnete das S AM in Kooperation mit dem Institut für Architektur der Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW diese in einer adaptierten und für Basel erweiterten Version.
Die Ausstellung zeigt, wie stark sich Architektur und Stadt in der brasilianischen Metropole ineinander verflochten haben. Damit kann die Megastadt dem wachsenden Bedarf nach öffentlichen Räumen für Kultur, Erholung und Sport gerecht werden. Die Beispiele geben aber auch Antworten, wie räumliche Enge kompensiert und gesellschaftliche Teilhabe gefördert werden kann.
Dies regt unweigerlich zum Nachdenken an, ob sich die Inhalte auf die heutige Zeit übertragen lassen. Denn das Bedürfnis der Menschen nach mehr Teilhabe im öffentlichen Raum ist durch die Einschränkungen während der Pandemie gestiegen. Und dies gilt nicht nur für Megacitys. In Basel übersetzten die Studierenden der FHNW gemeinsam mit ihren Professorinnen Shadi Rahbaran und Ursula Hürzeler das Prinzip des «Zugangs für alle» in ein begehbares Modell.
Während der gesamten Laufzeit der Ausstellung erschliesst eine temporäre Rampe das Museum. Als Holzkonstruktion auf dem Trottoir errichtet, führt sie die Besucherinnen und Besucher an der Fassade entlang ins Obergeschoss zum neuen Hauptzugang des Museums. Die Wahl einer Rampe ist nicht zufällig: Bei vielen Bauten in São Paulo werden Rampen eingesetzt, um architektonische Innenräume mit der Stadt zu verbinden und Räume zu schaffen, in denen sich Menschen begegnen.
Die Rampe am S AM erfüllt eine ähnliche Funktion. Sie erweitert faktisch und symbolisch den öffentlichen Raum der Strasse in das Gebäude hinein. Gleichzeitig wird mit der Schaffung eines neuen direkten Eingangs in der Fassade das Museum der Stadt gegenüber geöffnet. Ganz nebenbei löst sie die Sackgassenkonstellation des Museums auf und folgt der Corona-Verordnung, Räume durch getrennte Aus- und Eingänge zu erschliessen.
Von der Megacity nach Basel
Auch innerhalb der Ausstellung leisteten die Studierenden der FHNW einen Beitrag, indem sie die Exponate – bestehend aus Fotografien, Filmbeiträgen, Zeichnungen und archivarischen Faksimiles – durch Modelle im Massstab 1:100 ergänzten und damit greifbarer machten. Im Hauptteil der Schau werden zwölf exemplarische Bauten, Freiräume und Infrastrukturbauten aus São Paulo vorgestellt, zusammengefasst in «Open Spaces» («Freiräume»), «Large, multiprogrammatic Buildings» («Grosse, multiprogrammatische Bauten») und «Avenida Paulista».
Die Projekte reichen von Klassikern der brasilianischen Moderne wie Oscar Niemeyers «Markise des Ibirapuera-Parks» (1954) oder Lina Bo Bardis «Kunstmuseum São Paulo» (1968) bis hin zu kürzlich fertiggestellten Projekten wie dem Kulturzentrum «SESC 24 de Maio» (2017) von Paulo Mendes da Rocha und MMBB Arquitetos.
Auch jenseits der klassischen Architektur werden anonyme Bestandteile der Stadtinfrastruktur unter die Lupe genommen: zum Beispiel die Stadtautobahn «Minhocão», die nachts und an Wochenenden für den Autoverkehr gesperrt wird und mittlerweile zu einem der beliebtesten und inklusivsten Erholungsräume der Stadt geworden ist.
Sehr anschaulich stellen die Guckkastenmodelle in einem Seitenraum die alltäglichen Szenen aus ausgewählten Projekten dar. Diese ebenfalls von den Studierenden entwickelten Bühnenkulissen versetzen die Betrachtenden nicht nur an einen anderen Ort, sondern in eine andere Zeit und erlauben einen wehmütigen Blick heraus aus einem derzeit eher zurückgezogenen Alltag.
Zum Abschluss geht es von São Paulo zurück nach Basel: Im letzten Teil der Ausstellung zeigen die Studierenden ihre Visionen und Projekte unter dem Motto «Access for All – Learning from São Paulo». Für fünf Standorte entlang des Rheins in Basel erhielten sie im Herbstsemester 2020 die Aufgabe, die Prinzipien der Ausstellungsinhalte im lokalen Kontext neu zu interpretieren und damit den öffentlichen Charakter dieser Orte zu erhöhen. Dadurch endet die Ausstellung mit einer Einladung zu einer fortwährenden Diskussion darüber, welche Lektionen die Architekturen und Freiräume São Paulos auch für andere Städte auf der Welt haben könnten.
Bis 15. August 2021 im S AM Schweizerisches Architekturmuseum in Basel.
Begleitprogramm auf: https://www.sam-basel.org/
Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen.