«Schon ab 200 m kann die Erd­krüm­mung die Be­rech­nung be­ein­flus­sen»

Die GeoBIM-Methode bringt neue Aspekte in die Geomatik und fördert die Vernetzung mit der Bau- und Planungsbranche. Prof. Dr. David Grimm spricht über das häufig unbekannte Feld der Geomatik im Allgemeinen und über die Chancen und Herausforderungen von GeoBIM im Speziellen.

Publikationsdatum
07-09-2021

TEC21: BIM ist inzwischen in aller Munde, immer öfter begegnet man nun auch dem Begriff GeoBIM. Für was steht das GEO in diesem Zusammenhang?
David Grimm: Es steht für Geomatik und damit für die Kombination aus Geodäsie und Informatik. Insofern ist in diesem GEO alles enthalten, was Geodaten, also räumliche Daten, beinhaltet: die klassische Vermessung, die Auswertung der Grundlagendaten basierend auf einem Geoinformationssystem (GIS) und die Verknüpfung zur amtlichen Vermessung und zum Katasterwesen. Die Geomatik folgt einem Kreis: Das Bestehende wird aufgenommen und in einen digitalen Zwilling übertragen. Früher waren das analoge Landkarten oder Pläne, heute sind es GIS-Daten und dreidimensionale Modelle der Landschaft inklusive Gebäude und Infrastrukturobjekte. Um bauen zu können, müssen die geplanten Objekte wieder in die Realität übertragen werden und zwar genau an der Stelle, wo sie geplant und bewilligt wurden. Es geht also um die Aufnahme, modern gesprochen wäre das Field2BIM und dann das Umgekehrte, traditionell die Absteckung oder eben BIM2Field, was den Prozess abrundet.

TEC21: Bei GeoBIM geht also darum, die Welt der Geomatik mit der BIM-Methode zu verknüpfen?
David Grimm: Ja, der wichtigste Aspekt ist die räumliche Ausdehnung der Objekte. Die Architekten und Architektinnen planen ihre Bauobjekte mit einem lokalen kartesischen Koordinatensystem mit einheitlichem Massstab 1. Das funktioniert wunderbar, solange das Objekt eine bestimmte Länge nicht überschreitet. Schon ab 200 bis 300 m kann die Erdkrümmung die Berechnung beeinflussen. Bei Gebäuden oder Überbauungen spielt das meist keine Rolle. Bei langen Industrieanlagen mit engen Fertigungstoleranzen gilt es diese Diskrepanzen zu berücksichtigen.

TEC21: GeoBIM im Infrastrukturbau ist mit seinen Linienbaustellen nur etwas für Fortgeschrittene?
David Grimm: Den Tunnelbau und die Trassierung von Strassen oder Gleisen mittels BIM abzuwickeln, funktioniert mit den lokalen Daten in einem kartesischen Koordinatensystem nicht mehr. Es gilt, die Projekte in Abschnitte aufzuteilen und zu schauen, wie diese im Anschluss wieder verknüpft werden können. Das ist jeweils projektspezifisch zu lösen und dafür braucht es Spezialistinnen und Spezialisten aus der Geomatik. Ein aktuelles Projekt, das nach der BIM-Methode gebaut wird und wo sich die Verantwortlichen diese Fragen stellen, ist der Brüttenertunnel für den Spurausbau zwischen Zürich und Winterthur.

TEC21: Wo liegt der Mehrwert für die Baubranche, oder wo soll er einmal liegen?
David Grimm: Mit BIM verändert sich der ganze Planungsprozess. Jedes Objekt, das gebaut werden soll, wird in eine bestehende Umgebung eingegliedert, die als Geländemodell oder eben als digitaler Zwilling der Realität vorliegt. Die Vision ist, dass man die Grundlagendaten aus den bestehenden Geodatensätzen BIM-tauglich in die Modelle importieren und idealerweise direkt für die Planung nutzen kann.

TEC21: Welche Daten sind hier gemeint?
David Grimm: Das können Grundstücksgrenzen sein, Leitungen, geschützte Bäume und ihre Wurzeln, Hochspannungsleitungen oder Nachbargebäude bis hin zum Geländemodell, also zur gewachsenen Oberfläche. In der Schweiz gibt es kein unkartiertes Gelände mehr. Es gibt eigentlich immer einen Geodatenbestand, den man nutzen kann und auch nutzen sollte. Viele dieser Geobasisdaten sind öffentlich zugänglich und häufig kostenlos. So sind zum Beispiel die online verfügbaren amtlichen Daten und Dienste der swisstopo seit dem 1. März 2021 kostenlos verfügbar.

TEC21: Gibt es eine Vorgabe, in welchem Umfang die Geodaten aufgenommen werden?
David Grimm: Welche Geodaten für die amtliche Vermessung aufgenommen werden müssen, ist auf Bundesebene gesetzlich geregelt. Es gibt Bereiche, die auf kantonaler Ebene oder Gemeindeebene geregelt sind, wie der Leitungskataster. Daneben gibt es gerade im Kontext zu GeoBIM noch viele Bereiche, wo die Erfassung nicht geregelt ist. Natürlich möchten wir auch hier möglichst alles Relevante abdecken. Die Frage, in welcher Genauigkeit und mit welchem Detaillierungsgrad, ist noch nicht einheitlich beantwortet. Da sieht man in der Schweiz wirklich alles. Viele Kantone und Gemeinden stehen noch am Anfang. Eine Vorreiterrolle nimmt der  Kanton Genf ein. Dort ist es bereits möglich, die Daten der amtlichen Vermessung abschnittsweise in einem IFC-Format, also BIM-tauglich, zu exportieren.

TEC21: Wird GeoBIM künftig das klassische Schnurgerüst auf den Baustellen ablösen?
David Grimm: Eine Aufgabe der amtlichen Vermessung, des Katasterwesens ist sicherzustellen, dass die geforderten Höhen und Abstände eingehalten werden. Momentan wird das über das bei den Abständen über das Schnurgerüst gelöst. Durch die Anwendung der BIM-Methode, automatisch gesteuerte Baumaschinen oder künftig durch den Einsatz eines 3D-Betondruckers, braucht es technisch gesehen kein Schnurgerüst mehr, es braucht also neue Lösungen, um die korrekte Platzierung sicherzustellen. An der wichtigen Schnittstelle, über die die Geodaten ausgetauscht werden, arbeiten wir zurzeit. Zusammen mit den kantonalen Ämtern, die sich um die Bewilligungen kümmern, mit der Vereinigung der Kantons-Geometer und swisstopo suchen wir an der FH Nordwestschweiz nach Lösungen, wie wir diesen Datenaustausch sicherstellen können.

TEC21: Hinsichtlich GeoBIM gibt es noch einiges zu tun. Wo sehen Sie die grösste Herausforderung?
David Grimm: Die BIM-Methode bringt die grössten Vorteile, wenn man nicht nur den Bau, sondern an den ganzen Lebenszyklus des Objekts denkt, also auch an den Betrieb, an Renovierungen und den Rückbau. Das heisst alle BIM-Daten und somit auch die «GeoBIM-Daten» müssen über eine lange Zeit erhalten und nachgeführt werden. Hier muss definiert werden, welche Daten das sind und wie sie erhalten werden sollen. Mit der amtlichen Vermessung besitzt die Geomatik Erfahrungen in einem Bereich, in dem Geodaten lange erhalten werden müssen. Viele Grundstücksgrenzen wurden in einer Zeit erfasst, als es noch keine Computer gab. Diese Information musste nicht nur geometrisch und inhaltlich nachgeführt, sondern auch immer wieder auf neuen Medien gespeichert werden. Solche Fragen stellen sich nun auch bei einem digitalen Zwilling von Gebäuden, die in der Regel für Jahrzehnte gebaut werden.
Ein anderes Thema ist die Datenerfassung zum Beispiel mit Laserscanning oder Drohnenaufnahmen, wenn bei Bestandsgebäuden keine Daten vorliegen. Das nennt man Retro-BIM. Es ist natürlich naheliegend, das Gebäude einfach mal zu scannen, um eine Punktwolke zu erhalten. Schlussendlich brauchen die Architekturbüros und die ausführenden Unternehmen aber keine Punktwolke, sondern ein vermasstes Modell mit einem passenden Detaillierungsgrad. Wir müssen noch viel in die Forschungsarbeit investieren, um automatisiert aus einer Punktwolke ein entsprechend generalisiertes 3-D-Modelle zu erhalten.

TEC21: Sie sprechen die Architektinnen und Unternehmer an. Wie klappt es mit der Verständigung zwischen der Geomatik und den anderen Disziplinen aus der Bau- und Planungsbranche?
David Grimm: Das ist ein wichtiger Punkt, den wir aktuell in der Ausbildung und der Weiterbildung berücksichtigen. Beim CAS GeoBIM arbeiten wir zusammen mit Dozenten aus dem Bereich digitales Bauen, aus der Architektur und dem Facility Management, aus dem Hochbau und aus dem Tiefbau und natürlich aus der Geomatik. So möchten wir das gegenseitige Verständnis fördern – das Verständnis, was die eine Seite möchte und was die andere Seite kann. Alle Branchen haben das Potenzial, sehr gut zusammen zu arbeiten. Dazu müssen wir definieren, was genau gefordert ist. Gerade, wenn man eine neue Methode etabliert, zwingt das alle Beteiligten, sich mit dem Selbstverständnis zu befassen.

TEC21: Apropos Ausbildung: Revolutioniert GeoBIM den Geomatikberuf?
David Grimm: Nein, das nicht, denn Geomatik ist weit mehr als GeoBIM. Aber GeoBIM bringt neue Aspekte in die Geomatik und fördert sicher die Vernetzung mit der Baubranche. Wir spüren zwar in der Ausbildung seit etwa drei Jahren bei den neueintretenden Studierenden wieder einen Trend nach oben. Das hat aber nicht speziell mit GeoBIM zu tun. Ich glaube aber, es ist uns einfach besser gelungen das Interesse an der Geomatik zu wecken. Die jungen Leute realisieren oft nicht, wie breit und attraktiv das Feld der Geomatik ist. Wir sind zu unbekannt.

TEC21: Wie kommt das?
David Grimm: Wird in der Zeitung über Murgänge oder Felsstürze berichtet, werden die Überwachungssysteme, die die Fachleute aus der Geomatik installiert haben, möglicherweise erwähnt, aber am Ende kommt die Geologin zu Wort, die die Situation beurteilt. Bei einem tollen Gebäude steht der Architekt im Vordergrund. Vielleicht spricht man kurz von der Bauingenieurin. Selten erwähnt wird allerdings, dass es noch die Geomatik braucht, damit ein Hochhaus auch in der obersten Etage noch genau vertikal über dem Lot ist. Wir müssen etwas dafür tun, dass man uns nicht übersieht.

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