Reportage Schulhaus Pestalozzi: Fokus Tragwerk
Umbau Schulhaus Pestalozzi Basel
Aktuell wird das Schulhaus Pestalozzi in Basel umgebaut und instandgesetzt. Teil 2 unserer Artikelserie erläutert die Eingriffe im Tragwerk, ergänzend per Video erklärt vom verantwortlichen Ingenieur.
Das Schulhaus Pestalozzi wurde von 1891 bis 1893 nach den Plänen des Kantonsbaumeisters Heinrich Reese als Sekundarschule für Knaben gebaut. Es ist im Grundriss U-förmig, wobei die Längsseite fast 70 m lang ist. Die beiden kurzen Gebäudeschenkel sind rund 30 lang und 13 m tief – in einem ist die Turnhalle untergebracht. Das Schulhaus weist drei Obergeschosse, ein Dachgeschoss und zwei Untergeschosse auf. Die Etagen sind über ein Haupttreppenhaus miteinander verbunden.
Lesen Sie auch «Nach oben gedacht», den Artikel zur Architektur des Projekts.
Das Schulhaus ist im Inventar schützenswerter Bauten verzeichnet und weitgehend im originalen Zustand erhalten geblieben. Historische Pläne, aber auch Sondierungen vor Ort während der Planungsphase zeigten, dass verschiedenste Baumaterialien verwendet wurden. Das Bruchsteinmauerwerk besteht aus Kalk-, Sand- und Backstein, und die Decken wurden grösstenteils als Holzbalkendecken ausgeführt. An einigen wenigen Stellen gibt es Stahlträgerdecken – sogenannte Kappendecken, die aus aneinandergereihten Tonnengewölben aus Backstein bestehen, die auf Doppel-T-Trägern aus Stahl bzw. Eisen lagern.
2003 wurde das Schulhaus innenräumlich renoviert (Diener & Diener Architekten), und 2017 auf Erdbebenkräfte ertüchtigt sowie den aktuellen Brandschutzanforderungen angepasst (MET Architects, WMM Ingenieure). Erst jetzt, in den Jahren 2021 und 2022 – rund 130 Jahre nach der Erbauung –, erfolgt nun eine tiefgreifende Instandsetzung und Modernisierung des Gebäudes.
Ausschlaggebend für den Umbau waren neben dem Instandsetzungsbedarf auch neue pädagogische Konzepte: Offene Lernateliers sollen die klassischen, auf Frontalunterricht ausgerichteten Klassenzimmer ergänzen. Im Zuge der Umbauarbeiten werden denn auch die Regelgeschosse auf die heutigen schulischen Bedürfnisse angepasst. Verbessert werden die Akustik und die Beleuchtung in den Korridoren.
Einzelne Schulzimmer werden zu Lernateliers zusammengeschlossen. Solche Bereiche im ersten und zweiten Obergeschoss erhalten neue Öffnungen für doppelflügelige Türen. Diese sind 2 m breit und rund 3 m hoch und unterspannt man mit zwei Stahlträger, die als Sturz bzw. Abfangträger wirken. Durch einen geschickt gewählten Bauablauf konnten Risse, die bei solchen Eingriffen unumgänglich sind, minimiert werden.
Potenzial Dachgeschoss
Ausserdem soll der bestehende Dachstuhl für die Tagesbetreuung und das textile Werken ausgebaut werden. Das Dach wird gedämmt und erhält Dachflächenfenster. Auch eine Mediathek soll das Angebot ergänzen. Mit einer Raumhöhe von rund 7 m und dem Kniestock auf 1.80 m Höhe weist er die nötigen Abmessungen für diese Nutzungen auf. Für die Erschliessung muss allerdings das Treppenhaus erweitert, der bestehende Lift ersetzt und bis ins Dachgeschoss geführt bzw. über die Traufkante des Hauptbaus verlängert werden. Bisher gelangte man nämlich einzig über eine kleine Seitentreppe am nördlichen Ende des Korridors in das oberste, bislang ungenutzte Geschoss.
Die neue Treppe wird in Stahlbeton erstellt und übernimmt eine tragende Funktion (vgl. Videobeitrag). Der Treppenlauf ist entsprechend 20 cm, die Brüstung 18 cm und das Treppenpodest 20 cm dick. Das bestehende Bruchsteinmauerwerk kann die zusätzlichen Lasten der Treppe abtragen, da es sich um Druck- und geringe Schublasten handelt. Die untere Deckenkante wurde mit einem Hohlkastenträger ergänzt – der bestehende historische Stahlträger konnte die Mehrlasten nicht aufnehmen und musste ersetzt werden. Der neue Hohlkastenträger gibt die Horizontallasten seitlich weiter, wo sie über ein Stahlblech mit Schubdornen ins bestehende Mauerwerk eingeleitet werden. Die Vertikallasten werden an den beiden Auflagern des Hohlkasten in das darunterliegende Mauerwerk abgegeben. Aus Brandschutzgründen wird er nachträglich mit Gipskarton eingepackt und ist daher im Endzustand nicht mehr sichtbar.
Im oberen Bereich wird die vertikale Last über die neue Stahlbetondecke in das bestehende Mauerwerk abgetragen. Die vorhandene Holzbalkendecke war nicht für die Lasten der neuen Treppe ausgelegt, weshalb sie durch eine Stahlbetondecke ersetzt werden musste. Auch hier mussten die Ingenieure Verstärkungsmassnahmen für die Lastabtragung der horizontalen Einwirkungen vorsehen. So werden die auftretenden horizontalen Einwirkungen mittels eines Ringankers über Reibung in das bestehende Mauerwerk übertragen.
Im Erschliessungsbereich des Dachgeschoss muss die bestehende Dachkonstruktion an zwei Stellen angepasst werden, damit der Durchgang im Bereich der Treppe möglich wird. Es müssen zwei Streben, die zum vertikalen Lastabtrag des Dachs beitragen, je Seite ausgebaut werden, um Platz für einen Durchgang zu schaffen. Die beiden Streben werden von je einer neuen Strebe an geänderte Stelle ersetzt. Die neue Stahlbetondecke wird ebenfalls für den Lastabtrag der Streben verwendet. Die Lasteinleitung des bestehenden Dachstuhls oberhalb der Treppe muss ebenfalls angepasst werden.
Innerhalb der Holzbalkendecke gibt es ein Zugband, das für die Treppenöffnung weichen muss. Die Horizontallasten aus dem Dachsparren, werden nun durch den Ringanker aufgenommen, der bereits für die Lasteinleitung der neuen Treppe verwendet wird. Um im Erschliessungsbereich mehr Raumhöhe zu schaffen, wird die bestehende Dachkonstruktion im Durchgang nach oben versetzt.
Mit einem verhältnismässig kleinen, aber wirksamen statischen Eingriff kann künftig der Dachboden genutzt werden – eine grosszügige Fläche entsteht, die attraktiv, geräumig, komfortabel und gut natürlich belichtet ist. So ist das Schulhaus und seine Nutzung keinem einengenden Korsett ausgesetzt, sondern kann seinen schulischen Betrieb entlastend und modernisierend erweitern.