Trag­sys­te­me für Hoch­häu­ser

Für die erfolgreiche Projek­tierung eines hohen Holz­gebäudes gilt es bei der Tragwerkskonzeption spezifische Themenfelder zu beachten. Dem modernen Ingenieur­holzbau kommt dabei eine Schlüsselstellung zu. 

Publikationsdatum
24-11-2020

Ein wirtschaftliches Tragsystem für ein Hochhaus aus Holz entsteht in inter­disziplinärer Zusammenarbeit  zwischen Bauherr, Architekt und Ingenieur – meist schon beim Wettbewerb. Gemeinsam wird das zu planende, zu konstruierende und zu berechnende Holz- oder Holzhybridhochhaus entworfen. Möglichst von Anfang an sind weitere Spe­zia­listen wie Haustechniker, Bauphy­siker und Kostenplaner beizuziehen.

Erfahrungsgemäss bestimmt der Entwurf die Machbarkeit und Wirtschaftlichkeit des Baus, denn in den weiteren Planungsphasen sind die Parameter nur noch marginal beeinflussbar. Für ein erfolgreiches Projekt gilt es bei der Tragwerkskonzeption einige Themenfelder zu beachten, die gegenüber den bishe­rigen Gebäudetypologien im Holzbau an Bedeutung gewinnen.

Lastabtragung und Decken

Für den vertikalen Lastabtrag sind über­einander liegende, tragende Elemente un­abdingbar, um Versätze zu vermeiden. Die Abfangung geschossweise versetzter Trag­elemente bedeutet materialunabhängig grössere Konstruktionsstärken und damit höhere Kosten. Sind unre­gelmässige, vertikale Tragsysteme erwünscht, weil es zum Beispiel andere Nutzungen im Erdgeschoss gibt, ist meist die Ausführung der Abfanggeschosse in Stahlbeton sinnvoll oder geschosshohe Wandscheiben oder Abfangfachwerke, die die Lasten umlenken.

Variantenstudien und Vergleichsmatrizen der Autoren sowie realisierte Projekte zeigen, dass reine Holzlösungen bei Geschossdecken weniger bedeutend sind. Dies hängt mit den geltenden Brandschutzvorschriften zusammen, die bei Standardkonzepten mit Löschanlagen sichtbare, linear tragende Holzbauteile im Hochhaus ermöglichen.

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Flächige, bestehende Holzbauteile oder solche in baulichen Konzepten ohne Löschanlage sind dagegen als gekapselte Konstruk­tionen umzusetzen, was durch die Verkleidungsschichten zu unwirtschaftlichen Lösungen führt. Deshalb werden meist Geschossdecken aus Holz-Beton-Verbund­systemen (HBV) mit linearen ­Rippen oder HBV-Decken mit flächigen Holz­ele­men­ten gewählt.

Bei Letzteren ist der Tragwerksnachweis für den Brandfall nur mit der Überbetonschicht zu führen. Diese Systeme erfüllen die Anforderungen an Brand- und Schallschutz auch bei geringen Deckenstärken. Zudem zeichnen sie sich durch den hohen Vorfertigungsgrad sowie die kurze Montagezeit aus, und die Überbetonschicht ist als Abdichtung während der Bauphase nutzbar.

Stützen und Stützenraster

Interessant ist es, den Stützenraster auf den Transport der Deckenelemente abzustimmen: die Elementbreite bis 3.5 m, die Länge bis zu 8 m oder mehr. Dadurch lässt sich der Unterzug im Deckenelement integrieren, oder dieses kann als zweiachsig tragendes System ausgebildet werden.

Stützen aus Fichte, Tanne, Buche, Esche oder Eiche schaffen Kon­struktions- oder Gestaltungsfreiheit. Fich­te, Tanne und Buche werden sich aus Kostengründen auf dem Markt durchsetzen. Herstellungstechnologien bei Laubholz werden aus klimapolitischen Gründen gefördert. Sie sind aber auch ingenieurtechnisch, gestalterisch und nutzungsbedingt vorteilhaft.

Neben angepassten Stützendimen­sio­nen lassen sich über die Etagen auch unterschiedliche Holzqualitäten einsetzen. Um die Variation der Dimensionen klein zu halten, werden je nach Gebäudehöhe und Stützenraster in den unteren Geschossen meist hochfeste Stützen eingesetzt.

Der Tragwerksingenieur hat eine eindrückliche Auswahl von normalen bis hochfesten Holzprodukten. Nebst der Tragfähigkeit muss das Setzungsverhalten – insbesondere das der differentiellen Setzung zwischen unterschiedlichen Tragelementen wie der Holzkonstruk­tion und dem Beton – beachtet werden.

Robustheit und Stand heute

Herausfordernd bei Hochhäusern ist, die Robustheit1 des Tragsystems zu untersuchen und konzeptionelle Massnahmen vorzusehen. Bei Ausfall eines Trag­elements, etwa infolge einer Explosion, sollte nicht das ganze Tragsystem versagen. Die europäischen Normen sehen dafür bei der Bemessung von Stahl­beton­tragwerken die Ausbildung von inneren, äusseren und vertikalen Zugangsankern vor. Die im Eurocode definierten Ansätze lassen sich sinngemäss auf den Holzbau übertragen.

Forschungsarbeiten und Erfahrungen beim Geschossbau mit seinen erprobten und robusten Holzbausystemen sind eine gute Basis für den Hochhausbau. Weitere Erfahrungen in der Holzbranche und die Integration von Spezialisten mit Erfahrung im Hochhausbau sind wünschenswert. Diese Kombination wird es ermöglichen, erfolgreich Hochhäuser in Holz- oder Holzhybridbauweise zu erstellen.

Die bei vielen Bauprojekten übliche Trennung zwischen Architektur und Entwurf und der späte Einbezug von Ingenieur- und Herstellerwissen ist beim Hochhausbau mit Holz Vergangenheit. Heute ist die frühe Zusammenarbeit von Architekten und Ingenieuren im Holzbau und besonders im Holzhochhausbau Praxis.

Anmerkung

1 Tragwerksnormen SIA: Robustheit ist die Fähigkeit des Tragwerks, Schäden auf ein zur Ursache verhältnismässiges Ausmass zu begrenzen.

Dieser Artikel ist erschienen im Sonderheft «Stadt aus Holz – Höher bauen, aufstocken, Erdbebensicherheit». Weitere Artikel zum Thema Holz finden Sie in unserem digitalen Dossier.

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