Walter Zschokke. Texte
Über drei Jahrzehnte hinweg beobachtete, analysierte und kommentierte Walter Zschokke das Architekturgeschehen in Österreich und in der Schweiz. So präzise wie Zschokkes Texte präsentiert sich auch der jüngst erschienene Sammelband zu seinem Schaffen.
Das mit Leinen bezogene Hardcover lässt sich inklusive Buchrücken komplett aufschlagen. Der rückseitig befestigte Buchblock liegt als Stapel fadengebundener Seiten wie ein gesammeltes Schriftwerk in einer Manuskriptschachtel. Hauptbestandteil der Publikation bilden die Architekturbetrachtungen von Walter Zschokke, gerahmt durch Fotoessays von Margherita Spiluttini, mit der Zschokke eng zusammenarbeitet. Die Fotostrecken bilden nicht etwa Bauten zu den Texten ab, sondern Ausschnitte aus Zschokkes Archiv, sorgfältig zusammengestellte Stillleben einer gewissenhaften Autorentätigkeit. Archivschachteln, Ordner und Hängeregister zeigen den Nachlass, der sich in der Obhut des Architekturzentrums Wien befindet.
Leidenschaft für den Ingenieurbau
Der Verzicht auf illustrierende Architekturfotografien mag für den einen oder anderen Leser trocken wirken, lenkt jedoch konsequent den Fokus auf die Texte. Hilfreich für das Verständnis von Zschokkes Tätigkeit sind Prolog und Epilog von Otto Kapfinger und Toni Häfliger, beide Wegbegleiter Zschokkes.
Die insgesamt 34 Artikel von Zschokke sind eine Auswahl aus hunderten, teilweise bisher unveröffentlichten Texten. Hauptsächlich handelt es sich um Schriften aus der Wochenendbeilage «Spectrum» der österreichischen Tageszeitung «Die Presse», für die Zschokke zwischen 1988 und 2008 schrieb. Die Texte folgen chronologisch aufeinander. Die serifenbetonten Überschriften sind eine Reverenz an die Schreibmaschine, auf der Zschokke seine frühen Texte ins Reine schrieb. Dem Artikel vorangestellt sind jeweils die Textart (Manuskript, Typoskript, Druckversion) sowie Datum und Ort der Erscheinung. Am Ende folgen häufig Miniaturabbildungen des Manuskripts oder der Publikation.
Beim Lesen wird die grosse Themenvielfalt Zschokkes deutlich, die Texte sind von sorgfältiger Recherche und sprachlicher Genauigkeit geprägt. Zschokke schreibt über Architekturwettbewerbe, die 1960er-Jahre, den Entwurf von Sesseln oder die Geschichte des Fensters. Besondere Leidenschaft und Detailliebe merkt man dem Artikel «Gotthardautobahn und Landschaftsgestaltung» an, in dem er die geschichtliche Entwicklung der Autobahn darlegt, den Leser virtuell an ihr entlangführt und die ästhetische Wirkung der Gotthardautobahn reflektiert.
Sein Ingenieurwissen erwarb Zschokke nach seinem Architekturstudium 19671973 durch ein einjähriges Bauingenieurstudium (beides an der ETH Zürich) und später (19831986) durch seine Dissertation zur «Gestaltung von Ingenieurbauwerken der dreissiger und vierziger Jahre am Beispiel der Sustenpassstrasse». Auch in anderen in der Publikation abgedruckten Texten wie den Artikeln zur Wiener Höhenstrasse, der Entwicklung des Bauingenieurwesens oder der Gotthardbahn-Bergstrecke kommt dieses Interesse zum Tragen.
Fruchtbarer Austausch
Beim genauen Lesen fällt auf, dass Zschokke einen bestimmten Textaufbau favorisiert. Er beginnt gern mit einer These («Der Bau von Autobahnen ist seit einiger Zeit nicht mehr unbestritten»)1, folgt dann mit dem sorgfältig recherchierten geschichtlichen Hintergrund zum Thema und schliesst seine Ausführungen häufig mit einem Appell («Mängel im Wettbewerbswesen sind kein Argument, dessen Bedeutung als Instrument zur Verbesserung architektonischer Kultur abzulehnen. Sie können auf vielfältige Art behoben werden»).
Zschokkes Arbeit ist im Kontext der damaligen Zeit zu sehen: Ab 1965 entwickelte sich in der Schweiz eine regional wirkende, international vernetzte Fachpublizistik. Um das gta-Institut der ETH und um die Zeitschriften «archithese» und «Werk, Bauen + Wohnen» bildete sich ein Netzwerk von fachlich versierten Autoren, mit denen Zschokke in Kontakt stand. Prägend war der Kontakt zu Adolf Max Vogt, an dessen Lehrstuhl für Geschichte und Theorie der Architektur er 19771985 Assistent war. Nach Vogts Emeritierung 1985 zog Zschokke nach Wien und fand dort in Ernst Hiesmayr einen weiteren wichtigen Kontakt. Zschokke arbeitete bei Hermann Czech und lernte hier Walter Hans Michl kennen, mit dem er wenige Jahre später sein eigenes Büro eröffnete. Während seiner dreissigjährigen Schaffenszeit arbeitete er als Architekturkritiker, Publizist, Austellungsmacher, Juror und Gutachter.
Sprache als Bild
Zschokkes Texte sind sorgfältig recherchiert und formuliert. Er spricht sich «wider das Architekturgewäsch» und gegen das Boulevardisieren der Sprache in den Fachmedien aus. Trotzdem bezieht er inhaltlich klar Stellung. Seine Sprache ist nicht frei von Humor und Ironie, und er kreiert plastische Formulierungen wie «verhäuselte Landschaften» oder den «subjektive[n] Glückszustand der Entwerfer». Zschokke schafft eine dichte, eindringliche Sprache. Je mehr man liest, umso mehr Bilder entstehen, und am Ende bleibt das Gefühl, trotz der Textlastigkeit ein reich bebildertes Buch gelesen zu haben.
Anmerkung
1 Alle Zitate stammen aus der besprochenen Publikation.