«Kli­mas­chutz muss vom ers­ten Tag der Pla­nung an zen­tral sein»

Der November 2021 steht beim SIA im Zeichen des Klimas – unter anderem finden dazu drei Tagungen statt. Die Tagungsleiter Michael Kiy, Gebäudetechnik-Kongress, Marco Waldhauser, Low-Tech | No-Tech, und Adrian Altenburger, Re-Use, verraten die Themenschwerpunkte und erklären, warum Tagungen immer noch zeitgemäss sind.

Date de publication
30-09-2021

SIA: Ihre Tagungen finden unter dem Dach des SIA-Themenmonats Klima statt. Weshalb passen sie dazu?

Michael Kiy: Der Gebäudetechnik-Kongress steht unter dem Motto «Dekarbonisierung und Kompetenzen». Der Bezug zum Themenmonat steht also bereits im Titel. An der Tagung werden wir unter anderem diskutieren, wie die Gebäudetechnik helfen kann, dass die Schweiz ihre Klimaziele erreicht.

Marco Waldhauser:  Auch bei uns sagt der Name Low-Tech | No-Tech schon alles. Wir beschäftigen uns mit ressourcensparendem und energieschonendem Bauen.

Adrian Altenburger:  Die Tagung Re-Use ist eine Konsequenz der Anstrengungen des SIA zum nachhaltigen Bauen. Wie in vielen anderen Bereichen der Gesellschaft herrscht im Bau­bereich eine Wegwerfmentalität. Die Wiederverwendung von Bauteilen soll verstärkt die Qualität des Bauens in der Schweiz abbilden und leistet einen Beitrag zum Klimaschutz.

Welche Themen sind zentral?

Altenburger: Wir fokus­sieren uns auf die Wiederver­wendung bei Sanierungen und insbesondere bei Neubauten. Dazu zeigen wir exemplarisch, wo wir heute stehen, und dis­kutieren Zielkonflikte im energe­tischen, rechtlichen und be­hördlichen Bereich.

Waldhauser: Der Titel unserer Tagung lautet «Potenziale im Klimawandel». Wir thematisieren den Städtebau, fragen, welches Klima der Mensch braucht, um sich wohlzufühlen, und diskutieren, welchen Beitrag die Ressourceneffizienz zur CO2-Reduktion leistet. Dazu zeigen und besprechen wir Praxisbeispiele von realisierten Gebäuden.

Kiy: Wir haben ein sehr breites Programm – von der Kreislaufwirtschaft über die Energiespeicherung in Gebäuden bis zum effizienten Kühlen. Hervorheben möchte ich den Einbezug der Forschung, unter anderem mit Referentinnen und Referenten der ETH Zürich, Empa und Hochschule Luzern. Ausserdem stellen wir sechs Start-ups zu innovativen Themen wie Vertical Farming vor.

Sind Tagungen im Zeitalter von Webinaren und Webmeetings noch zeitgemäss?

Waldhauser: Wenn es darum geht, Neues zu entdecken, Entwicklungen voranzutreiben und Hemmnisse abzubauen, ist der Diskurs vor Ort unumgänglich. Es gibt aber Tagungen wie die
SIA-BIM-Tagung, die digital sehr gut funktionieren.

Kiy: Der Gebäudetechnik-Kongress wird digital durchgeführt! Selbstverständlich ist eine digitale Tagung anders als eine physische. Insbesondere das Networking ist nicht in der gleichen Art möglich. Wir sind aber gut vorbereitet und bieten durch die Plattform «Hopin» Mehrwert im Networking an.

Altenburger: Tagungen sind immer noch zeitgemäss. Ich freue mich auf physische Tagungen, an denen wir mit Besichtigungen vor Ort und unkompliziertem Networking einen Mehrwert bieten. Aber weil das zurzeit nicht möglich ist, bieten wir an der Re-Use-Tagung interessante Referate und Diskussionsmöglichkeiten per Livestream an.

Was haben die drei Tagungen gemeinsam?

Altenburger: Die gemeinsame Basis ist das SIA-Positionspapier «Klimaschutz, Klimaanpassung und Energie». Es ist wichtig, aus einem Positionspapier heraus Aktivitäten zu entwickeln. Die Tagungen wollen die Nachhaltigkeit am Bau verbessern.

Welche Punkte des SIA-Positionspapiers werden diskutiert?

Kiy: Am Gebäudetechnik-Kongress kommen alle Punkte indirekt zur Sprache. Hervorheben möchte ich den fünften Leitsatz: «Das zukünftige Klima wird schon heute bei der Planung berücksichtigt.» Das wird oft vergessen.

Waldhauser: Wir stellen das SIA-Positionspapier an der Low-Tech | No-Tech vor und behandeln direkt und indirekt alle darin aufgeführten Themen.

Altenburger: Wir streifen alle Punkte, konzentrieren uns aber auf den ersten und den zweiten Leitsatz: den Gebäude- und Infrastrukturpark mit Netto-Null-Emissionen und die Kreislaufwirtschaft.

Welche Themen, die an Ihren Tagungen behandelt werden, versprechen den grössten Erfolg auf dem Weg zum Ziel Netto-Null?

Altenburger: Wir neigen im Bauwesen dazu, Gebäudekomponenten herauszureissen und durch neue zu ersetzen, statt sie zu reparieren und wiederzuverwenden. Wenn es uns gelingt, Re-Use über alle Baubereichzyklen zu etablieren, wäre das ein Erfolg.

Waldhauser: Wir verfolgen einen gesamtheitlichen Ansatz: weniger Technik richtig einsetzen, ressourcenschonend bauen und betreiben. Jeder Bereich soll seinen Beitrag leisten. Klimaschutz ist eine Herausforderung, die nur bewältigt werden kann, wenn wir breit denken und zusammenarbeiten.

Kiy: Ich sehe das ähnlich. Wir müssen alle dazu beitragen, damit wir Netto-Null erreichen. Mit Spannung erwarte ich dies­bezüglich die Keynote des Architekten und Professors an der Uni­versität Stuttgart Werner Sobek zum Thema Leichtbau und Sekundärmaterialien.

Welchen Beitrag müssen Architektinnen und Ingenieure zu Netto-Null leisten?

Kiy: Das Wichtigste ist zu verstehen, dass wir jetzt handeln müssen. Alles, was wir heute bauen, ist 2050 vermutlich noch in Betrieb. Wir dürfen nicht denken: «Das hat noch Zeit bis 2050.»

Altenburger: Die Planenden müssen als Avantgarde ­vorausgehen, in Eigenverantwortung und unabhängig davon, ob es ein Gesetz gibt. Wir müssen Themen wie Re-Use in unsere Überlegungen einbeziehen und, wenn nötig, dafür sorgen, dass gesetzgeberische und normative Grund­lagen geschaffen werden. Wobei der SIA Letzteres mehr in der Hand hat als Ersteres.

Waldhauser: Der Wille zum Klimaschutz muss vorhanden sein, nicht nur bei den Architekten und Ingenieurinnen, sondern auch bei den Bauherrschaften. Klimaschutz muss vom ersten Tag der Planung an zentral sein. Nur so haben wir eine Chance, Netto-Null zu erreichen.

Sie fordern Willen und Bereitschaft zum Klimaschutz – müssten wir nicht schon weiter sein?

Waldhauser: Doch. Es ist überraschend, wie oft man beim Thema Klimaschutz im Baubereich immer noch auf wenig bis kein Verständnis stösst.

Kiy: In meinem Berufsalltag ist der Wille da, aber häufig scheitert es an den Kosten. Dabei ist es wichtig, nicht nur die Investition, sondern die Kosten über die gesamte Lebensdauer von Gebäuden zu betrachten. Da müssen wir noch viel Überzeugungsarbeit leisten. Und wir müssen Projekte anders angehen. Nicht: Zuerst kommt die Architektin, dann der Gebäudetechniker – und die reden nicht miteinander. Sie müssen gemeinsam planen, das Projekt als einen Prozess betrachten und nicht als mehrere einzelne Prozesse hintereinander.

Altenburger: Dass man nur gute, gesamtheitliche Lösungen findet, wenn die verschiedenen Disziplinen zusammenarbeiten, ist nichts Neues. Wir haben aber zu wenig gut ausgebildete, analytisch und systemisch denkende Fachleute. Daran müssen wir arbeiten. 

Themenmonat Klima

Am Gebäudetechnik-Kongress und an den Tagungen Low-Tech | No-Tech und Re-Use sowie in Lehrgängen werden Massnahmen zum Klimaschutz diskutiert. Weitere Informationen und Anmeldung: events.sia.ch/themenmonat-klima/themenmonat-klima

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