«Es gilt, zum zen­tra­len Ans­prech­part­ner für die Bau­wirts­chaft zu wer­den»

Alain Oulevey und Urs Rieder haben seit Dezember 2022 die ­interimistische Co-Leitung des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins (SIA) inne. Im Gespräch beleuchten sie die nächsten ­Meilensteine des Vereins und berichten von den ersten Monaten im Amt.

Date de publication
07-06-2023

SIA: Herr Oulevey und Herr Rieder, als Peter Dransfeld als SIA-Präsident zurückgetreten ist, haben Sie die interimistische Co-Leitung des Vereins übernommen. Was ist im letzten halben Jahr geschehen?

Urs Rieder: Viel! Wenn ich die Zeit Revue passieren lasse, fühlt es sich eher wie zwei Jahre an. Wir haben einige sehr aufwendige Geschäfte bearbeitet. So ist die Einsetzung einer Sonder­kommission zur Klärung der Er­­eignisse rund um Peter Dransfelds Rücktritt vorbereitet worden. Weiter haben wir uns intensiv mit der Honorarermittlung befasst, über die die Delegiertenversammlung zu befinden hatte. Als Präsident des Fachrats «Klima und Energie» beschäftigten mich ausserdem der Absenkpfad der Treibhausgasemissionen, verschiedene politische Vorlagen und schliesslich die Kampagne fürs Klimaschutzgesetz.

Alain Oulevey: Ich habe viele neue Menschen kennenlernen dürfen, vor allem anlässlich zahlreicher Hauptversammlungen unserer Sektionen. Das ist schön. Und ich übernahm die Vertretung des SIA in der Stammgruppe Planung und im Vorstand von Bauen Schweiz – eine herausfordernde Aufgabe. Es gilt, zum zentralen Ansprechpartner für die Bauwirtschaft zu werden, wenn es um Fragen zu unseren Kernthemen wie Klima und Energie, Baukultur oder Beschaffungswesen geht.

Einen bunten Blumenstrauss an Aufgaben haben Sie im Dezember übernommen. Wie haben Sie sich so spontan auf die neue Rolle als Co-Präsidenten ad interim eingestellt?

Oulevey: Zeitlich gesehen ist die neue Rolle sehr fordernd. Sie nimmt mich wahrlich ein – aber auch im positiven Sinn. Ich schätze die Gespräche und die Beschäftigung mit komplexen strategischen Fragen, die unsere Branche bewegen. Der Wechsel meiner beiden Hüte fällt mir aber noch immer schwer: Das Um­denken zwischen strategischen Diskussionen und operativen Fragen, die mich als Geschäftsführer eines Ingenieurbüros beschäftigen, ist eine riesige Herausforderung. Meine Geschäfts­partner verdienen grossen Dank für ihr Verständnis.

Rieder: Ich habe mich auf den 60. Geburtstag selbst beschenkt und die Vizedirektion an der Hoch­schule Luzern abgegeben, um den Neubau des Campus Horw zu leiten und etwas mehr Zeit für mich zu haben. Diese steht mir nun für den SIA zur Verfügung.

Ende April haben Sie durch die Delegiertenversammlung geleitet und zuvor durch die Konferenz der Sektionen und Berufsgruppen. Wie haben Sie das erlebt?

Rieder: Es fühlte sich gut an. Die Delegierten haben angeregt diskutiert und die Zeit in den Pausen und am Vorabend bei ausgelassener Stimmung genossen. Das persönliche Zusammentreffen schafft eine hervorragende Basis für das gemeinsame Angehen unserer inhaltlich herausfordernden Geschäfte.

Oulevey: Die Versammlungsleitung als Tandem hat sich aus meiner Sicht sehr bewährt. Das werde ich einbringen, wenn wir uns im Vorstand Gedanken zum künftigen Präsidium machen.

Der SIA soll ein Co-Präsidium erhalten?

Rieder: Das kann ich mir gut vorstellen. Der SIA hat den Anspruch, dass das Präsidium mit einem Fuss im Berufsleben steht, als Basis für ein glaubwürdiges und leidenschaftliches Engagement für unsere Branche. Die Aufgaben wären für mich alleine neben meiner beruflichen Einbindung aber schlicht nicht zu be­wältigen – ich bewundere unsere Vorgänger dafür. 

Oulevey: Auch ich erlebe unser Co-Präsidium als bereichernd. Als Vertreter der Romandie auch aus sprachlichen Überlegungen heraus. Dem SIA ist die Integration aller Landesteile wichtig. Mit der Sitzungsleitung auf Französisch und Deutsch konnten wir alle Anwesenden abholen und sie zum Mitdiskutieren motivieren. Auch bezüglich weiterer Kriterien wie Geschlecht, Berufsgruppe oder Vernetzung in der Politik wäre mit einem Co-Präsidium eine Ausgewogenheit möglich.

Haben Sie darüber hinaus Vorstellungen zum neuen Präsidium?

Rieder: Ob das eine oder zwei Personen sind, wird sich zeigen. Sie sollten glaubwürdige Expertise in mindestens einem Berufsbild unserer Berufs­gruppen mitbringen, charismatisch und kommunikativ sein sowie über Führungserfahrung verfügen.

Oulevey: Auch die Organisation rund um das Präsidium diskutieren wir zurzeit mit dem Vorstand. Verschiedene Beispiele – von unserer Landesregierung bis zu den SIA-Sektionsvorständen – können als Vorbild dienen. Jeder und jede im Vorstand soll einen Verantwortungsbereich übernehmen, so werden wir noch glaubwürdiger und treten nach aussen geschlossen auf.

Was sind Ihre Ziele fürs anstehende Vereinsjahr?

Rieder: Wir möchten den Delegierten an ihrer Versammlung im April 2024 ein neues Präsidium vorschlagen. In Personalgeschäften sollte man nie zu viel versprechen, aber wir arbeiten auf dieses Ziel hin. Wir werden die Klärungen zur Organisation vorantreiben und die Ausschreibung vorbereiten, um in den verbleibenden zehn Monaten ge­eignete Persönlichkeiten zu finden.

Oulevey: Am SIA-Forum im kommenden September wird die Spezialkommission zu Peter Dransfelds Rücktritt ihre Erkenntnisse präsentieren. Diese werden natürlich in den Ausschreibungsprozess und in die Diskussionen zur Gouvernance unseres Vereins einfliessen. Der Blick in die Vergangenheit wird eine wichtige Grundlage bilden für die Entscheidungen zur Zukunft.

Und was sind inhaltlich die Schwerpunkte im anstehenden Vereinsjahr?

Oulevey: Wir arbeiten an einer Lösung für die Honorar­ermittlung. Ausserdem stellen wir mit der Festsetzung des Fokus­themas «Klima und Energie» die Nachhaltigkeit ins Zentrum unseres Wirkens, auch beim Beschaffungswesen, der Baukultur und der Raumplanung.

Rieder: Wir haben den Anspruch, den Lebensraum nachhaltig zu gestalten, dieses Jahr und darüber hinaus. Um das Netto-Null-Ziel zu erreichen, engagieren wir uns für ein Ja zum Klimaschutzgesetz. Ausserdem setzt sich der SIA für die klare Festlegung des Absenkpfads, die Stärkung der Kreislaufwirtschaft und einen Ausbau der erneuerbaren Energien ein.

Wo steht der SIA an der nächsten Delegiertenversammlung? Was wünschen Sie sich für den Verein?

Oulevey: Ich wünsche mir, dass der SIA seinen politischen Einfluss durch ein gestärktes Netzwerk und ausgebaute Themenführerschaft erhöhen kann. Neben klimapolitischen Vorlagen und der Volksabstimmung vom 18. Juni steht insbesondere die Revision des Raumplanungsgesetzes an. Dort haben wir mit dem nun eingesetzten Fachrat Raumplanung eine wichtige strategische Unterstützung für den Vorstand geschaffen.

Rieder: Ich freue mich, dass unsere Delegierten dann ein hervorragendes Präsidium wählen werden und sich der SIA mit voller Kraft für eine konkrete Lösung für die Honorarermittlung ein­setzen kann. Zudem wollen wir bei der Umsetzung unseres Aktionsplans Energie, Klima und Ressourcen einen deutlichen Schritt weiter sein.

Alain Oulevey und Urs Rieder haben nach Peter Dransfelds Rücktritt das Co-Präsidium ad interim des SIA übernommen. 2021 wurde Oulevey in den Vorstand des SIA gewählt, seit Juni 2022 war er Vizepräsident. Der Bauingenieur mit eigenem Büro in Ecublens engagiert sich zudem in der Zentralkommission für Normen (ZN), und er ist ehemaliger Präsident der SIA-Sektion Waadt. Rieder gehört dem SIA-Vorstand seit 2013 an. Der Gebäudetechnik­ingenieur amtete seit 2022 als Vizepräsident des Vereins, zudem präsidiert er den Fachrat Energie. Er hat eine Professur an der Hochschule Luzern inne.

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