Sind un­sere Ans­prüche zu hoch?

Neubau Schulanlage Sirius und Werkhof Hochstrasse, Zürich-Fluntern

In Zürich-Fluntern plant die Stadt an der Siriuswiese eine neue Primarschule mit Sporthalle und Werkhof. Das siegreiche Projekt von Esch Sintzel Architekten und Proplaning kann den historischen Baumbestand erhalten und reduziert den nötigen Abriss auf ein Minimum. Doch das geforderte Raumprogramm und der begrenzte Perimeter zwingen einen Grossteil des Volumens unter die Erde.

Date de publication
21-12-2023

Einstufiger Projektwettbewerb im selektiven Verfahren

Der Schulraumbedarf in Zürich ist ungebrochen gross und mit der Einführung der Tagesschule noch gewachsen, davon zeugen zahlreiche Neubauten, Erweiterungen und auch die Wett­bewerbsausschreibungen der Stadt.

Am Zürichberg gelegen, war die Gemeinde Fluntern lange durch Streusiedlungen, Wein- und Ackerbau geprägt. Mit dem Ausbau der Strassen entstanden frei stehende bürgerliche Wohnbauten mit privaten Gärten. Seit 1893 ist Fluntern Teil der Stadt Zürich, der Grünraum charakterisiert das Quartier bis heute. Auch jüngere Projekte, die ein gewisses Mass an Verdichtung schaffen, nehmen diese Typologie auf. Die Siriuswiese ist zusammen mit dem angrenzenden Perimeter im kommunalen Richtplan für einen Neubau ausgewiesen und liegt im Geviert zwischen Hoch-, Gladbach- und Siriusstrasse. Die unmittelbar angrenzende Bebauung entlang der Gladbachstrasse ist mitsamt den Gärten inventarisiert. Entlang der Siriusstrasse stehen die quartier­typischen, viergeschossigen Wohnbauten. An die grüne Wiese schlies­sen zwei Tennisplätze an, gegenüber befindet sich eine viergeschossige Überbauung aus den 1980er-Jahren. Im Nordwesten liegt ein eingeschossiger Kindergartenpavillon von 1906. Zwei einfache Wohngebäude und ein Werkhof, die nicht inventarisiert sind und wahrscheinlich aus den 1930er-­Jahren stammen, schliessen die Bebauung um die Siriuswiese und können für den geplanten Neubau abgebrochen werden. Das dahinterliegende Wohnensemble zur Vogelsangstrasse ist geschützt.

Der Werkhof solle «mit Rücksicht auf das Quartier» unter die Erde verlegt werden, die beiden Tennisplätze mit Clubhaus seien bei etwaiger Überbauung zu ersetzen. Das Programm für das neue Primarschulhaus umfasst zwölf Klassenzimmer, vier Kindergärten, eine Mensa, eine Tagesbetreuung sowie eine Doppelsporthalle. Ein fünfgeschossiger Neubau wäre gemäss Auslobung hier möglich.

Raumprogramm und Klimaschutzziele

Parallel zum Wettbewerbsverfahren wurde der Perimeter für den Neubau in eine «Zone öffentlicher Bauten» umgewandelt – der Siriuswiese kam der neue Status «Freihaltezone» zu. Als «Quartierpark mit imposantem Baumbestand, Spielgeräten sowie Tennisplätzen» bilde sie eine stadträumlich wertvolle Zäsur, so der Jurybericht. Um den Grünraum zu erhalten, wurde das Baufeld entsprechend beschnitten. Ausgehend von den Rahmen­bedingungen, mussten die Teilnehmenden einen Grossteil des geforderten Volumens unterirdisch anordnen. Gleichzeitig waren ökologisch vorbildliche Projekte gesucht, um zum Klimaschutzziel Netto-Null einen Beitrag zu leisten. Treibhausgasemissionen und Energiebedarf bei der Erstellung sowie im Betrieb sollten auf ein ­Minimum reduziert werden.
Die Unmöglichkeit, diesem Anspruch angesichts des geforderten Raumprogramms gerecht zu werden, hat auch die Jury unter Vorsitz von Benjamin Theiler, Amt für Hochbauten, kritisch reflektiert. Sie fragte sich, «ob sich in Bezug auf die räumlichen Ansprüche moderner Unterrichtsformate zukünftig die Suffizienz-Frage vermehrt stellen wird». Schlussendlich lag die höhere Gewichtung auf der Erfüllung des Raumprogramms sowie dem Erhalt und der Aufwertung der Siriuswiese beziehungsweise der Fragmente des historischen Ortsbilds.
Es handelt sich um ein grosses Programm, das einen neuen Massstab ins Quartier bringen wird, wenngleich Sporthalle und Werkhof unter der Erde zu liegen kommen.

Schule als Quartierbaustein

Die mit dem ersten Preis ausgezeichnete Arbeit «Kevin» von Esch Sintzel Architekten und Proplaning mit Kolb Landschaftsarchitektur platziert das Schulgebäude im Nordwesten des Perimeters. Damit nimmt der Entwurf auch Rücksicht auf den alten Baumbestand und dessen Wurzelbereiche am Rand der Sirius­wiese. Durch die Setzung wird der Quartierpark mit den im Südwesten anschliessenden Tennis- und Sportflächen städtebaulich gefasst und optisch erweitert. Schule, Kindergarten und die weiteren Nutzungen sind im Neubau geschickt komponiert. Die Ausbildung von «Eckzimmern», die sich in der Fassade ­abzeichnen und die dabei entstehenden Einschnürungen in der Gebäudemitte nehmen dem fünfgeschossigen Bau seine Masse. Die durch Fensterbänder und Brüstungszonen gegliederten Fassaden mit ihren Sonnenschutz­elementen beleben das Volumen und verleihen ihm Leichtigkeit. Erschlossen wird der Bau von der Hochstrasse, die Tennisplätze sind neu ebenfalls an diese gerückt. Mit der Öffnung der Hoch- zur Gladbachstrasse entsteht eine neue Wegverbindung im Quartier, eine Schulstrasse für die Kinder, die zwischen Gebäude und Freiflächen vermittelt. Zur geschützten Wohnbebauung liegen ein Schulgarten und ein Wald, die gleichzeitig als Puffer zwischen Schule und Wohnen dienen.

Die städtebauliche Setzung überzeugt, ebenso die Organisation des Schulhauses selbst. Die räumliche Aufteilung des öffentlichen Erdgeschosses mit Kindergarten, Musikzimmern, Räumen für den Tennisclub und Zugang zur unterirdischen Anlage von Sporthalle und Werkhof ist überraschend selbstverständlich. Im ersten Obergeschoss liegen neben weiteren Räumen für den Kindergarten Küche und Mensa mit anschliessender Aula, darüber die Klassengeschosse, die als Lernlandschaft konzipiert sind. Die Erschliessungszonen sind gleichzeitig Aufenthalts- und Arbeitsbereich und bieten ein hohes Mass an Flexibilität. Der Werkhof ist unter dem Schulgebäude angeordnet, die Sporthalle schiebt sich unter die Tennisplätze und die Sportfelder.

Unter- oder oberirdisch: Das Volumen bleibt

Das zweitrangierte Projekt «Stella» von Blättler Dafflon Architekten mit Balliana Schubert Landschafts­architekten versucht durch eine ­Reduktion des Raumprogramms Volumen zu sparen und damit den Fussabdruck des Neubaus sowie die unterirdischen Flächen zu minimieren. Dadurch würden sich jedoch grosse Zwänge für die Anordnung des Raumprogramms und wenig Spielraum für Anpassungen ergeben, so die Jury.

Das von Adrian Streich Architekten mit Ganz Landschaftsarchitekt*innen verfasste Projekt «Gulliver» nutzt den bestehenden Werkhof als Kindergarten um. Das neue Schul­haus plante das Team anstelle des Kindergartenpavillons und der Tennisplätze – rückten damit nahe an den Baumbestand. Städtebaulich ist dieser Ansatz überzeugend, jedoch wird der Baumbestand bedrängt und die Erdarbeiten sind aufwendig. Dies auch durch die schöne Idee, den Werkhof zu erhalten: Die Turnhalle ist unter dem Schulgebäude platziert, der neue Werkhof unter seinem Vorgänger, womit eine Unterbauung notwendig würde.

Zwei Projekte verzichteten darauf, die Sporthalle unter die Erde zu legen. Etwa das nicht rangierte Projekt «Lebensräume» der Planergemeinschaft Durisch Nolli Caretta. Der Tiefbau für den neuen Werkhof ist minimal, die Schule ist in Leichtbauweise über diesem Sockel errichtet. Das Herzstück der Anlage bildet die Sporthalle, die sich auf ihren Schmalseiten zum Quartier und zur Siriuswiese vollständig öffnen lässt. Jedoch sprengte das oberirdische Volumen aus Sicht der Jury den Massstab des Quartiers.

In der Zwickmühle

Der Wettbewerb widerspiegelt das Dilemma, in dem wir stecken. Unsere Ansprüche an das Bauen und die entsprechenden Reglemente gehen vom Neubau als Standard aus. Das zeigt sich auch in der Wettbewerbs­ausschreibung und den Anforderungen, die sich in Teilen gegenseitig ausschliessen: etwa das geforderte Raumprogramm auf einem gegebenen Perimeter, das den Bau von mehreren Untergeschossen unumgänglich macht, bei gleichzeitiger Einforderung von ökologischer Nachhaltigkeit.

Wenn wir diesen Anspruch ernst nehmen, dann sollten Neubauten, die ein solches Mass an unter­irdischem Volumen fordern, zur Ausnahme werden. In der Konsequenz müssten einerseits die Auslobenden die Nutzungen und Raumprogramme und andererseits die Ämter die entsprechenden rechtlichen Vorgaben an die jeweilige Situation und deren Möglichkeiten anpassen. Das Ausloten der Potenziale von Vorhandenem sollte an erster Stelle stehen und das Wettbewerbsprogramm entsprechend offener formuliert werden. Für eine solche Herangehensweise wäre der offene Projektwettbewerb eine gute Alternative – allein schon, um vielfältigere Antworten auf diese Fragen zu erhalten.

Dies war den Verantwortlichen dieses Wettbewerbs bewusst. Sie prüften nicht nur die Optionen in Hinblick auf eine Vereinfachung oder Reduktion des Programms, wie etwa die Verlegung des Werkhofs, sondern diskutierten auch den Weg des offenen Verfahrens. Jedoch entschied man sich aufgrund der räumlichen, verkehrsplanerischen und statischen Anforderungen dagegen.Das ist zwar nachvollziehbar, doch man vergibt die Chance, alternative Lösungen zu diskutieren. Dass dies durchaus fruchtbar sein kann, zeigt der Wettbewerb der Stadt Zürich für die Schulanlage «Höckler» in Wollishofen (vgl. TEC21 11/2022). Die leider nicht prämierte Arbeit «Co­bra» von DU Studio führt die Idee der Schule als Stadt- und Quartierbaustein konsequent aus und schafft einen multifunktionalen Hybriden, der Raum für Aneignung und Unterricht gleichermassen bereitstellt.

In Zürich-Fluntern hätte man die Diskussion um Raumprogramm und Ansprüche der Nutzenden nochmals führen müssen. Sind etwa die in einigen Wettbewerbsbeiträgen vorgeschlagenen und gut überlegten Reduktionen im Raumprogramm nicht doch möglich? Letztlich ist es an uns: Wir sollten unsere Ansprüche hinterfragen und ja, wir müssen uns «einschränken» – nicht nur in den Programmen. Auch unser Verständnis von Komfort, von Funktionalität, vom zur Verfügung stehenden Angebot müssen wir kritisch überdenken. Und genau darin liegt ein grosses Potenzial.

Dieser Artikel ist erschienen in TEC21 40/2023 «17 Ziele für die Baubranche».

-> Jurybericht auf competitions.espazium.ch.

Rangierte Projekte

1. Rang, 1. Preis: «Kevin»
ARGE Esch Sintzel Architekten, Zürich; Proplaning, Zürich; Kolb Landschaftsarchitektur, Zürich; Dr. Lüchinger + Meyer Bauingenieure, Zürich; Rombo, Zürich
2. Rang, 2. Preis: «Stella»
Blättler Dafflon Architekten, Zürich; Balliana Schubert Landschaftsarchitekten, Zürich; Dr. Lüchinger + Meyer Bauingenieure, Zürich; EBP Schweiz, Zürich
3. Rang, 3. Preis: «Gulliver»
Adrian Streich Architekten, Zürich; Ganz Landschaftsarchitekt*innen, Zürich; Schnetzer Puskas Ingenieure, Zürich


Fachjury

Benjamin Theiler, Amt für Hochbauten (Vorsitz); Christine Enzmann, Amt für Städtebau; Barbara Neff, Architektin, Zürich; Bruno Krucker, Architekt, Zürich; Andreas Sonderegger, Architekt, Zürich; Jan Stadelmann, Landschaftsarchitekt, Zürich; Fabian Kaufmann, Architekt, Luzern

Sachjury

Filippo Leutenegger, Schul- und Sportdepartement; Jennifer Dreyer, Immobilien Stadt Zürich; Benjamin Leimgruber, Immobilien Stadt Zürich; Roger Curchod, Kreisschulbehörde Zürichberg; Marcel Bräm, Tiefbauamt Zürich; Lorenzo Käser, Quartierverein Fluntern

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