Simulationen im Dienst der Energieeffizienz
Dynamische Planungsmethoden sind hervorragende Werkzeuge, um Gebäude oder ganze Areale bereits während der Planungsphase auf einen virtuellen Prüfstand zu stellen. Welchen Beitrag sie an die Energieeffizienz im Gebäudesektor leisten, zeigen die Forschung und ausgewählte Projekte.
Die Bauplanungsbranche ist angesichts der Klimakrise einem absolut spannenden, aber zuweilen auch kontroversen Diskurs verfallen. Denn was bezüglich Energieeffizienz und Gebäudeenergie als nachhaltig gilt, ist gewissermassen Ansichtssache.1 Kreislaufansätze vermindern etwa die indirekten Emissionen traditioneller Lieferketten. Eine effiziente Gebäudehülle senkt den Wärme- und Kältebedarf eines Gebäudes, ist jedoch mit indirekten Emissionen verbunden. Die Nutzung erneuerbarer Energiequellen wiederum hilft, die Bilanz der direkten CO2-Emissionen zu verbessern. Eine Integralbetrachtung aller Energieflüsse und die Eigenproduktion führen zu einer optimierten Gesamtenergieeffizienz. Wo also ansetzen?
Statistisch erwiesen ist jedenfalls, dass der Energieverbrauch in Gebäuden rund 40 % des inländischen Gesamtenergieverbrauchs ausmacht. Und obwohl sich über die vergangenen 20 Jahre der Energieverbrauch für Raumwärme – mit etwa 70 % die Hauptposition in dieser Betrachtung – um etwa ein Viertel auf 200 Petajoule pro Jahr (Stand 2022) reduziert hat, werden nach wie vor über die Hälfte aller Wohngebäude mit fossilen Energiequellen beheizt.
Diese Statistik wäre angesichts der rückläufigen Trends und möglichen Massnahmen im Sinne der Nachhaltigkeit – sei es in Form einer Sanierung der Gebäudehülle oder eines Wechsels des Energieträgers beziehungsweise -systems – an sich kaum Anlass für aussergewöhnliche Aufruhr. Vielmehr zeigen immer wieder Beispiele aus der Planungspraxis, Forschungsergebnisse und wissenschaftliche Arbeiten aus dem Bereich der Gebäudeenergie, wo noch Potenziale brachliegen.
Die Überdimensionierung treibt ihr Unwesen
Die vom Bundesamt für Energie beauftragte und von der Ostschweizer Fachhochschule und der Universität Genf verfasste Studie «OptiPower»2 zeigt etwa, dass Wärme- und Kälteerzeuger in neu gebauten Mehrfamilienhäusern (MFH) und Bürogebäuden häufig überdimensioniert sind. Gegenstand der Studie waren über 600 MFH und zehn Bürogebäude. Dabei zeigten die Heizungsanlagen (Wärmepumpen) der MFH im Median eine Überdimensionierung um 40 %; in Einzelfällen gar um 90 %. Auch bei den untersuchten Verwaltungsgebäuden leisten die Wärmeerzeuger bis zu 300 % mehr, als eigentlich im Betrieb benötigt würde, und installierte Kühlleistungen übersteigen den Bedarf um bis zu einen Faktor 5.5 – einen Einzelfall (Faktor >10) sogar noch ausgenommen.
Obschon die Studie auch darauf hinweist, dass eine Überdimensionierung bei MFH nicht zwingend nachteilig ist oder in jedem Fall die Effizienz des Anlagenbetriebs verschlechtert, zeigt sich in den Ergebnissen ein bekanntes Planungsunwesen: Die Anwendung stationärer Normverfahren unter Berücksichtigung hoher Zuschläge sowie der Verzicht auf integrale Planungsansätze oder Plausibilisierungsmethoden. In der Realität bedeutet dies unter dem Strich unnötig hohe Investitions- und Betriebskosten für die Eigentümerschaft und eine eigentlich vermeidbare Energieverschwendung.
Auch in Einzelbetrachtungen lässt sich häufig feststellen, dass eine Vielzahl physikalischer Prozesse in Gebäuden oder auf Arealen nicht optimal abläuft – sogar in solchen von Unternehmen aus der Branche. So stellte beispielsweise ein Gebäudetechnikunternehmen vor einigen Jahren seinen eigenen Firmensitz für eine studentische Arbeit an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) zur Verfügung.
In ihrer Bachelor-Thesis kamen die beiden ZHAW-Studenten aufgrund einer Messdatenauswertung zur Vermutung, dass die eingestellten Regelungsparameter nicht konsequent den erneuerbaren Quellen den Vorzug gaben und deshalb unnötig viele fossile Brennstoffe verbraucht wurden. Mittels Simulationen konnten sie daraufhin sechs Massnahmen für die Energie- und Betriebsoptimierung aufzeigen.
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«Wir sprechen von einem Faktor 10 bis sogar 100» – Der finanzielle und technische Nutzen von Simulationen übersteigt deren Kosten um ein Vielfaches. Wer genau von den Vorteilen profitiert und warum solche Dienstleistungen dennoch nicht häufiger angefragt werden, erklären zwei Spezialisten der Firma Gruner im Interview.
Fazit aus diesen beiden Untersuchungen: Immer noch zu selten werden dynamische Methoden eingesetzt, um die Ergebnisse der Planungsphase einer realitätsnahen Prüfung zu unterziehen oder Bestandsbauten im Betrieb energetisch zu analysieren und optimieren.
Keiner ist schuld, aber jeder verantwortlich
Ein Beispiel für solche dynamischen Methoden sind physikalische Simulationen, namentlich Gebäudesimulationen oder energetische Simulationen der Heiz- und Kühlanlagen. Sie sind ein probates Mittel, um Bauwerke ganzheitlich über verschiedene Gewerke und unter variierenden Randbedingungen zu betrachten und in einem Modell die Wechselwirkungen verschiedener Einflussfaktoren vorherzusagen. Mithilfe von Simulationen lässt sich sicherstellen, dass ein Gebäude im Betrieb tatsächlich wie geplant funktioniert.
Im Gespräch mit Andreas Witzig, ZHAW-Professor und Vereinspräsident von Gebäudesimulation Schweiz, drängt sich die Vermutung auf, dass dynamische Planungsmethoden unabdingbar sind, um im Gebäudesektor tatsächliche Energieeffizienz zu erreichen. Selbstredend kennt auch er die Ergebnisse aus «OptiPower» und die aktuellen Herausforderungen der Branche. Eine Problematik, die er direkt anspricht, sind die Fehlanreize, die sich durch die Anwendung der stationären Normverfahren ergeben: Wenn jede Fachplanerin und jeder Fachplaner in der jeweiligen Disziplin gewerkorientiert nach dem Stand der Technik plant, dabei individuell konservative Annahmen trifft und Sicherheitsmargen veranschlagt, macht sie oder er zwar nichts falsch. Im Ergebnis kann das aber schnell zu einer Überdimensionierung oder zu ineffizienten gebäudetechnischen Anlagen führen.
Ein Verein macht sich für Simulationen stark
Der Verein Gebäudesimulation Schweiz setzt sich seit seiner Gründung im Jahr 2022 intensiv für die Förderung von physikalischen Simulationen in der Baubranche ein. Er zählt aktuell knapp 50 Mitglieder aus den Bereichen Energie- und Gebäudetechnikplanung, Forschung und Lehre sowie Softwareherstellung. Ebenso pflegt er Partnerschaften mit den wichtigsten Bau- und Energieplanungsverbänden. Er versteht sich als Expertengemeinschaft, die ihr Fachwissen aus den Themengebieten Energienachweise, Gebäudeperformance, Akustik, Komfort, Gebäudetechnik, Energienetze, Licht und Brandschutz anbietet, um Bauherrschaften, Planende und Behörden zu unterstützen.
Erfahren Sie mehr auf www.gebaeudesimulation.ch
Der Kernpunkt von Simulationen liegt darin, mithilfe von dynamischen Modellrechnungen fundierte Planungsentscheidungen zu treffen. Eine Frage, die sich naheliegenderweise stellt, ist diejenige nach dem Zusammenspiel zwischen BIM und Simulationen. Gemäss Witzig seien diese beiden Werkzeuge der digitalen Planung aber bislang zu wenig miteinander verschmolzen.
Auch besitzen viele der Simulationsanwendungen ausreichend gute Modellierungstools, womit sie unabhängig von der BIM-Planung eingesetzt werden können. Viel bedeutender sei das enorme Einsparpotenzial für Bauherrschaften und Investoren, das mit einer ganzheitlichen Analyse des Themas Energie ausgeschöpft werden kann. Mit sinnvoll über den Projektverlauf eingesetzten Simulationen lassen sich seines Erachtens Baukosten einsparen, der zeitliche Ablauf des Projekts beschleunigen und schliesslich die Betriebskosten senken.
Die drei Projekte Pilatus Arena (Kriens), Stadthaus Felsenrain (Zürich) und Primarschule Stöckacker (Bern) zeigen vor diesem Hintergrund zwar nur einen kleinen, aber interessanten Ausschnitt davon, was dynamische Simulationen zu leisten imstande sind.
Mit fachlichem Engagement zum Ziel
Im Gespräch mit den Planenden und Fachspezialisten im Zuge der Erarbeitung dieser Beiträge zeigte sich, dass dynamische Gebäudesimulationen in der Planung nach wie vor keine breite Anwendung finden – sie fristen immer noch ein Nischendasein. Das ist erstaunlich. Einerseits, weil sie mit vergleichsweise geringem planerischen und finanziellen Aufwand grosse Mehrwerte für ein Projekt und eine Bauherrschaft liefern können, andererseits, weil sich mit ihrer Anwendung ein grosser Hebel zur Reduktion des inländischen Gesamtenergieverbrauchs ansetzen liesse. Dies setzt allerdings ein starkes fachliches Engagement der Planungsbeteiligten in ihren jeweiligen Disziplinen voraus und erfordert von allen den Mut, das gewohnte Terrain der normativen Planung zu verlassen.
Wie einzelne Beispiele zeigen, nützt in diesem Fall ein gemeinsames Bekenntnis zur Anwendung von dynamischen Planungsmethoden. Daniel Minder (Geschäftsführer von Atelier M Architekten und Architekt des sanierten Stadthauses Felsenrain; beispielsweise unterzeichnet jeweils zusammen mit seinen Auftraggebern eine Vereinbarung, die verhindert, dass die Planenden bei allfälligen subjektiv wahrgenommenen, gemessenen oder mit statischen Methoden nachgerechneten Komfortabweichungen im Betrieb für die angewendeten Methoden haftbar gemacht werden können.
Gewiss führt auch die Planung unter Berücksichtigung gängiger Standards, Labels und Zertifikate zu energieeffizienten Bauten. Wie die Beispiele in diesem Beitrag aber zeigen, liegt der Schlüssel zu einem nachhaltigen Gebäudepark nicht in der dogmatischen Erfüllung eines Anforderungskatalogs, sondern in der Individual- und Detailauseinandersetzung mit dem jeweiligen Objekt und interdisziplinärer Planung. Wer dieser Maxime folgt und sich im Entscheidungsprozess Simulationen zuhilfe nimmt, dem ist am Ende der ein oder andere «Stempel» ohnehin sicher.
Anmerkungen
1 vgl. TEC21 6/2024 «Neue Standards und Vorschriften für die Gebäudeenergie»
2 OptiPower – Untersuchung der optimalen Auslegung der Leistung von Heiz- und Kühlsystemen für Wohn- und Verwaltungsgebäude (Schlussbericht)