Ein Wink mit dem Vor­dach

Erweiterung und Instandsetzung Schulanlage Staudenbühl, Zürich

Das Schulhaus Staudenbühl in Zürich-Seebach ist ein bemerkenswertes Baudenkmal. Für die massive Erweiterung der Anlage setzt das Siegerteam um neff neumann architekten auf ein kompaktes Volumen in respektvollem Abstand zum Bestand und interessante Bezüge zwischen Alt und Neu.

Date de publication
22-08-2024

Einstufiger Projektwettbewerb im selektiven Verfahren

Man staunte nicht schlecht, als der Zürcher Stadtrat vor wenigen Jahren den neuen kommunalen Richtplan vorlegte: Dieser sah vor, dass die Stadtbevölkerung von 2015 bis 2040 um rund 110 000 Einwohnerinnen und Einwohner wachsen soll – also etwa um die Grösse Winterthurs. Ein der­artiges Wachstum erfordert auch eine entsprechende Infrastruktur. Allein im Schulbereich errechnete man einen Bedarf von 360 bis 420 zusätzlichen Klassenzimmern. Dazu sollten 14 Schul­häuser neu gebaut und 14 bestehende deutlich erweitert werden. 

Besonders stark wächst die Stadt momentan im Norden – wie schon während der früheren «Boom­phase» in den 1940er- und 1950er-­Jahren. Und der Schulhausbau folgt der Bevölkerungsentwicklung auf dem Fuss: An der Thurgauer­strasse in Seebach ist eine neue Anlage gerade fertig geworden, in Schwamendingen wird das Schulhaus Saatlen gleich durch drei neue Bauten ersetzt, und aus dem Radiostudio in Oerlikon wird demnächst eine Sekundarschule. Eine der geplanten Erweiterungen betrifft das Schulhaus Staudenbühl im Quartier Seebach, wofür das Amt für Hochbauten einen Projektwettbewerb für Generalplanung, Architektur und Landschaftsarchitektur durchgeführt hat. Die bestehende Anlage steht für die rasante Bevölkerungsentwicklung der Boomphase. Nun soll das Areal auch die Erweiterung für den neusten Einwohnerzuwachs aufnehmen.

Seebach war vor der zweiten Eingemeindung im Jahr 1934 ein selbstständiger Ort mit Dorfcharakter. Danach aber wurde in unglaublichem Tempo Wohnraum geschaffen; zuerst von Genossenschaften, bald auch von Privaten. Die Bevölkerungszahl des neuen Stadtquartiers verdoppelte sich zwischen 1945 und 1960 von 8706 auf 17 289.

Die «Raumnot» der ­Schulen: gestern und heute

Schon damals war von der «Raumnot» der Schulen die Rede, die Schulbehörden drängten auf den raschen Bau neuer Anlagen. Gerade das Schulhaus Staudenbühl aber zeigt, dass die politischen Mühlen auch zu jener Zeit schon langsam mahlten. 1961 fand der Projektwettbewerb statt, die neue Anlage konnte aber erst 1968 eröffnet werden. Der Architekt Rolf Keller gewann den Projektwettbewerb als erst 31-Jähriger. Er hatte einen Bau entworfen, der so gar nicht an die bekannten Schulhaustypen erinnerte, dafür aber deutliche Anklänge an die Bauten Le Corbusiers zeigte, allen voran Ronchamp. «Ein Schulhaus anders als die andern» titelten denn auch die Neuen Zürcher Nachrichten (NZN) bei der Eröffnung im Jahr 1968. Die Architektur sei eigenwillig und erinnere in manchen Aspekten frappant an afrikanische Bauten.

Keller hatte eine Art Dorf um einen zentralen Platz herum geschaffen, das auf der einen Seite die Bebauungsstruktur des Quartiers aufnahm und sich auf der anderen Seite zum Grünraum am Stadtrand öffnete. Er spielte mit verschiedenen Ausrichtungen der Bauten und den Texturen. Noch heute auffallend ist der teilweise äusserst grobe Verputz. Dieser rufe ein «lebhaftes Spiel von Licht und Schatten» hervor, schrieben die NZN. Eine Besonderheit der Anlage war auch, dass in einem Trakt Lehrerwohnungen entstanden. Das sollte es erleichtern, Lehrpersonen für die Schule zu gewinnen. In der Anlage Staudenbühl entwickelte Keller manche Elemente, die er später bei der Konzeption der Siedlung Seldwyla in Zumikon übernahm. Heute ist die Anlage inventarisiert und gilt als für Zürich einzigartiges Bauwerk. 

Nun sollen rund um dieses Baudenkmal weitere drei Kindergärten, neun Primar- und 19 Sekundarklassen sowie eine Dreifachturn­halle untergebracht werden. Das Raumprogramm des Wettbewerbs war damit fast drei Mal so gross wie dasjenige der bestehenden Anlage. Die Teilnehmenden sollten nicht nur auf den Bestand Rücksicht nehmen, sondern auch auf die inventarisierte Gartenanlage auf dem leicht abfallenden Gelände. Die später hinzugekommenen Provisorien konn­ten hingegen weichen.

Die Kosten der Erweiterung werden auf 107 Millionen Franken veranschlagt. Weitere 28 Millionen Franken sind vorgesehen für die Instandstellung der bestehenden Anlage, für die ebenfalls das Siegerteam zuständig sein soll. Da die Schule Staudenbühl als Tagesschule betrieben wird, müssen auch Verpflegungsflächen vorgesehen werden, überdies eine Bibliothek und Räume für die Musikschule. Alt und Neu sollten betrieblich und baulich eine Einheit bilden.

Drei Viertel gehen auf Distanz

42 Teams haben sich für die Teilnahme am selektiven Wettbewerb beworben, 12 wurden ausgewählt. Die Frage, wie man Kellers Schulhaus den nötigen Respekt entgegenbringt, war das Kernthema der Aufgabe. Ein Viertel der Teilnehmenden hat sich dazu entschlossen, Neu- und Altbauten zu einem Ganzen zu verweben. Die Übrigen versuchten diesen Ansatz erst gar nicht, sondern platzierten ein kräftiges Neubau­volumen in gebührender Dis­tanz zum bestehenden Schulhaus.

Zu den Teams, die das Bestehende mit dem Neuen verweben wollten, gehören die Verfassenden des Projekts «Susi und Strolch», die auf dem dritten Rang platziert wurden. Sie wollten den dörflichen Charakter der bestehenden Schule mit fünf Neubauten und vielfältigen Durchgängen und Aufenthaltsorten weiterführen. Bei diesem Projekt wäre die Sporthalle nicht im Untergrund versenkt worden. Die Jury würdigte zwar das Bemühen um möglichst viel oberirdische Nutzungen, machte aber einen zu starken Eingriff in den Freiraum aus.

Das Siegerprojekt von neff neumann architekten mit dem Landschaftsarchitekten Lorenz Eugster setzt schliesslich auf ein kompaktes Volumen mit Lichthof. Dank dem kleinen Fussabdruck ist ein maximaler Freiraum möglich. Zu den Bauten von Rolf Keller geht der Neubau auf Distanz, übernimmt aber mit einem zweigeschossigen Portikus deren Massstäblichkeit und bricht so die Höhe. Die Architektinnen und Architekten sehen ihren Neubau als eine Art Kulisse für die bestehende Schulanlage. Verknüpft werden Alt und Neu durch eine Frei­treppe zwischen dem oberen und unteren Pausenbereich. Durch das Ausdrehen des Daches des Portikus über der Treppe werden nicht nur die beiden Bereiche verbunden. Die Schrägstellung wirkt auch wie ein Wink, eine Reverenz dem Baudenkmal gegenüber – eine schöne Geste des Projekts.

Im Neubau aus Beton und Holz sind die Nutzungen stockwerkweise organisiert: Im ersten Obergeschoss sind die Räume für Ver­pflegung und die Gemeinschafts­bereiche untergebracht, im zweiten Obergeschoss die zusätzlichen Räume für die Primarschule und in den zwei darüberliegenden Etagen schliesslich die Sekundarschule. Im zurückversetzten Dachgeschoss sollen die Räume für die Musikschule Platz finden.

Turnen im Untergrund

Die Kompaktheit des Neubaus wird dadurch erkauft, dass die Dreifachturnhalle unterirdisch gebaut wird – wie bei so manch anderen Entwürfen. Ausserdem wird der Kindergarten in einen separaten Bau im südlichen Bereich des Areals verlegt. Das Architektenteam betont, dass dieser barackenartige Bau, der vielleicht aus Elementen der heutigen Provisorien gebaut wird, einer späteren Erweiterung nicht im Weg stehen soll.

Dass die nächste Erweiterung kommt, ist tatsächlich nicht ausgeschlossen, denn der Wohnungs­bau in der Nähe wird weiter vorangetrieben: Mittlerweile existiert ein Quartierplan für die lange frei gebliebenen Areale Gugel und Anwandel im Westen, die ersten Wohnbauten sollen demnächst erstellt werden. Diese Gebiete waren einer der gros­sen Streitpunkte der Bau- und Zonen­ordnung zu Beginn der 1990er-­Jahre. Aus der Wohnzone sollte eine Freihaltezone werden, was allerdings durch langjährige Rechtsverfahren vereitelt wurde. Heute ist das kein Thema mehr: Im Zeichen des momentan forcierten Wohnungsbaus in Zürich werden hier sehr bald neue Siedlungen entstehen.

Pläne und Jurybericht zum Studienauftrag finden Sie auf competitions.espazium.ch

Rangierte Projekte

1. Rang / 1. Preis: «Lunuganga»
ARGE neff neumann architekten, Zürich / arcanus, Zürich; Lorenz Eugster Landschaftsarchitektur und Städtebau, Zürich; Synaxis, Zürich; Zostera Brandschutzplanung, Zürich; Meierhans + Partner, Schwerzenbach; Wichser Akustik und Bauphysik, Zürich; Büro für Nachhaltigkeit am Bau, Zürich
2. Rang / 2. Preis: «Abaco»
ARGE Baumgartner Loewe Architekten, Zürich / Cockpit Projektmanagement, Zürich; Ort für Landschaftsarchitektur, Zürich; Ulaga Weiss, Basel
3. Rang / 3. Preis: «Susi und Strolch»
Neon Deiss Architektinnen, Zürich; Kollektiv Nordost, St. Gallen; Vollenweider Baurealisation, Schlieren; Ulaga Weiss, Basel; Kalt + Halbeisen Ingenieurbüro, Zürich; Durable Planung und Beratung, Zürich
4. Rang / 4. Preis: «Metamorphosis»
Gunz & Künzle Architekt*innen, Zürich; Uniola, Zürich; Merz Kley Partner, Altenrhein; Amstein + Walthert, Zürich
5. Rang / 5. Preis: «Scaletta»
ARGE MAK architecture, Zürich / Takt Baumanagement, Zürich; Kolb Landschaftsarchitektur, Zürich; Ingeni, Zürich

Fachjury

Ursula Müller, Amt für Hochbauten (Vorsitz); Martin Schneider, Amt für Städtebau; Annette Helle, Architektin, Zürich; Bruno Krucker, Architekt, Zürich; Peter Moor, Architekt, Zürich; Maria Viñé, Landschaftsarchitektin, Zürich

Sachjury

Vera Lang, Präsidentin Kreisschulbehörde Glattal; Marcel Handler, Schulamt Stadt Zürich; Sandra Aggeler, Immobilien Stadt Zürich; Benjamin Leimgruber, Immobilien Stadt Zürich; Albert Frölich, Quartiervertretung

Adi Kälin ist Historiker und Journalist mit fundiertem Wissen zum politischen und architektonischen Geschehen in der Stadt Zürich.

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