«Der Aus­bau der Na­tio­nal­stras­sen wird Staus nicht ver­rin­gern»

Die Abstimmung über die Erweiterung von sechs Abschnitten der schweizerischen Nationalstrassen für 5.8 Milliarden Franken (inklusive Lärmschutz und Behandlung des Strassenabwassers) wird kontrovers diskutiert. Doch kann der Ausbau der Nationalstrassen tatsächlich das gewünschte Ziel – weniger Staus – erreichen? Aus der Forschung wissen wir: Dies wird nicht der Fall sein. 

Im Folgenden möchten wir als Professorinnen und Professoren sowie Forscherinnen und Forscher im Bereich Verkehr und Mobilität an Schweizer Hochschulen darlegen, warum dies so ist.

Es gibt verschiedene politische Argumente, die für oder gegen den geplanten Ausbau von Autobahnen sprechen. Einige der in dieser Debatte vorgebrachten Argumente halten der Überprüfung durch wissenschaftliche Erkenntnisse nicht stand. Daher veröffentlichen wir diesen Brief, damit Bürgerinnen und Bürger sich eine fundierte Meinung bilden und informiert abstimmen können.

Wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen, dass die Schaffung eines neuen Verkehrsangebots (Erhöhung der Transportkapazität durch Spurausbau oder neue Strassen) zu einer Erhöhung der Nachfrage führt. Dieses Phänomen des «induzierten Verkehrs», das für alle Verkehrsmittel gilt, wurde weltweit und auch in der Schweiz immer wieder nachgewiesen. Kurzfristig kann der Ausbau der Infrastruktur die Staus zwar entlasten. Die Menschen passen jedoch ihr Verkehrsverhalten an die verfügbare Infrastruktur an, indem sie ihre Gewohnheiten ändern, an weiter entfernte Wohnorte ziehen oder weiter entfernte Ziele aufsuchen. In der Summe führt dies zu einer zusätzlichen Nachfrage. 

Der Anstieg des Verkehrs wird nach einigen Jahren nicht nur an den gleichen Stellen wieder zu Staus führen, sondern die gestiegene Nachfrage wird an andere Punkte im untergeordneten Netz verlagert. Es wird nicht lange dauern, bis weitere «Engpässe« entstehen, insbesondere an den Stadtzufahrten.

 ➔ Die Erhöhung der Strassenkapazität wird, trotz des Ziels, den Verkehr zu reduzieren, dazu führen, dass mehr Menschen mit dem Auto unterwegs sind. Der Ausbau der Strassen steht somit im Widerspruch zur von Bund, Kantonen und Gemeinden angestrebten Verlagerung hin zu nachhaltigen Formen des Verkehrs (Beispiele hierfür sind Klimastrategien, Agglomerationspolitik, Investitionen in den öffentlichen Verkehr und in die Veloinfrastruktur). Die Auswirkungen des Ausbaus von Fahrspuren sind erheblich – Verlust von landwirtschaftlichem Boden, Lärm, Luftverschmutzung und Treibhausgasemissionen. Dieser Ausbau widerspricht anderen nationalen politischen Zielsetzungen und kollektiven Interessen.

Das Auto bringt zwar viele Vorteile in Bezug auf die Erreichbarkeit, deckt aber nur einen kleinen Teil der Kosten. Der Autoverkehr bürdet der Gesellschaft beträchtliche Kosten auf. Ein aktueller Bericht des Bundes zeigt, dass der private motorisierte Verkehr jährlich beinahe 19 Milliarden Franken an externen Kosten verursacht (d. h. Auswirkungen auf die Umwelt, Gesundheit usw.). Dies entspricht rund 15 Rappen pro gefahrenem Personenkilometer. 

Als Fachpersonen im Bereich Verkehr und Mobilität sehen wir es als unsere Pflicht an, dieses grundsätzliche und breit abgestützte Wissen zu teilen: Spurerweiterungen auf Nationalstrassen lösen das Stauproblem nicht, sondern verschlimmern es mittel- und langfristig. Engpässe im Verkehrssystem sind ein wichtiges Thema, das andere planerische und politische Antworten erfordert.

Unterzeichnet von

 

Prof. Michel Bierlaire, EPFL
Prof. Francesco Corman, ETH Zürich
Prof. Yves Delacrétaz, HEIG-VD
Prof. Alexander Erath, FHNW
Prof. Olivier Gallay, UNIL
Prof. Eva Heinen, ETH Zürich
Prof. Vincent Kaufmann, EPFL
Dr. Anastasios Kouvelas, ETH Zürich 
Prof. Virginie Lurkin, UNIL
Dr. Lisa Moussaoui, UNIGE
Prof. Timo Ohnmacht, HSLU
Prof. Patrick Rérat, UNIL
Dr. Tiphaine Robert, UNIL
Prof. Thomas Sauter-Servaes, ZHAW
Prof. Dorothea Schaffner, FHNW
Prof. Laurent Tissot, UNINE
Prof. Kenan Zhang, EPFL

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