Projektallianzen: Kulturwandel jetzt
Am 5. November lud der SIA in den Berner Kursaal an eine Tagung zum neuen Merkblatt SIA 2065 «Planen und Bauen in Projektallianzen». Das gut besetzte Referenten- und Teilnehmerfeld war sich einig: Der Kulturwandel hin zu partnerschaftlicher Zusammenarbeit ist unumgänglich.
«Gerade bei komplexeren Vorhaben mit zahlreichen Schnittstellen in einem Umfeld, das sich rasch verändert, ist es zielführend, neue Wege zu gehen. Mit dem Merkblatt SIA 2065 liegt nun die Anleitung bereit, Projektallianzen auf dem Schweizer Markt mit Schweizer Recht einzugehen», mit diesen Worten begrüsste die SIA-Präsidentin Susanne Zenker die Gäste der Tagung.
Gemeinsam mit dem Schweizerischen Baumeisterverband (SBV), der Schweizerischen Vereinigung Beratender Ingenieurunternehmungen (suisse.ing) und der Universität Freiburg will der SIA Projektallianzen fördern. SBV-Präsident Gian-Luca Lardi forderte an der Tagung denn auch ein Zurück zur Vertrauenskultur und beantwortete die Frage, ob die Mitgliederunternehmen bereit seien für diese Art der Zusammenarbeit: «Es braucht bestimmt Weiterbildung, doch dann werden die Mitarbeitenden dankbar sein, eine partnerschaftlichere Arbeitskultur zu haben, als dies heute der Fall ist.» Das dürfte auch für den Fachkräftemangel zuträglich sein.
Bekenntnis der Politik und der grossen Bauherrschaften
Durch den Tag führten Cristina Schaffner, Direktorin von Bauenschweiz und Rolf Meier, ehemaliger Kantonsingenieur Aargau und Mitglied der Arbeitsgruppe Merkblatt SIA 2065. Sie begrüssten Bundesrat Albert Rösti, Vorsteher des Eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK). Der oberste Verantwortliche der Schweizer Infrastruktur betonte in seinem Referat die Wichtigkeit des Weiterbauens an der Infrastruktur. Für diese Aufgabe sind in den nächsten Jahrzehnten dutzende Milliarden Franken Bundesgelder reserviert.
Rösti dankte dem SIA und seinen Partnern für die Publikation dieses wichtigen Merkblattes und gab einen Ausblick: «Projektallianzen werden bei Grossprojekten mit einer gewissen Komplexität Einsatz finden.» Das Bundesamt für Strassen (ASTRA), habe bereits Pilotprojekte definiert und sei motiviert, in dieses neue Zusammenarbeitsmodell zu investieren und Erfahrungen zu sammeln. Dies in der Hoffnung, in seinen Projekten künftig weniger Konflikte auszutragen und schneller handeln zu können. Ebenfalls meldeten Vertreter der SBB-Infrastruktur geplante Pilotprojekte.
Pierre Broye, Direktor des Bundesamtes für Bauten und Logistik (BBL) und Vorsitzender der Koordinationskonferenz der Bau- und Liegenschaftsorgane der öffentlichen Bauherren (KBOB), stellte im Anschluss die gemeinsamen Interessen der öffentlichen Bauherrschaften und der Bauwirtschaft ins Zentrum: Die gemeinsame Risikoanalyse ist für ihn der Schlüsselfaktor des Erfolgs dieser Zusammenarbeitsform. Das frühzeitige Offenlegen der unterschiedlichen Perspektiven schärfe Projekte von Grund auf und helfe für eine reibungsarme Abwicklung. «Es gibt nichts Gutes, ausser man tut es!», zitierte er Erich Kästner und forderte seine Kollegen, die öffentlichen Bauherrschaften auf, Pilotprojekte zu starten.
Der Projektallianzvertrag und die Versicherbarkeit
Heinz Ehrbar, Präsident der Kommission SIA 118 und Leiter der Arbeitsgruppe Merkblatt SIA 2065 sprach über die Voraussetzung für eine erfolgreiche Umsetzung der Ideen aus dem Merkblatt. Erfolgreiche Anwendungen bräuchten Mut, Konsequenz und Kompetenz. Mit Pilotprojekten, die anhand der Vorgaben aus dem Merkblatt durchgeführt würden und einer gesunden Fehlerkultur, würde sich der Weg für Projektallianzen in eine breitere Praxis in den nächsten Jahren ebnen.
Auch verwies er auf die massgebende Rolle von Martin Beyeler, Professor für Bau- und Vergaberecht an der Universität Freiburg. Dieser wiedergab einen «Werkstattbericht» aus der Subarbeitsgruppe zur Erarbeitung eines Projektallianzvertrags, der im Frühjahr 2025 publiziert werden soll. Die zentralen Themen von Beyelers Ausführungen waren das Vorgehen bei Mängeln, die Untervertragspartner und deren Haftung, sowie die Vergütung und der Solidarrückbehalt. Wichtig sei in jedem Fall, betonte Beyeler, dass es keinen eigentlichen Mustervertrag geben werde, sondern eine Vertragsvorlage, die immer auf das konkrete Projekt zugeschnitten werden müsse.
Sebastian Schimurda, CEO und Michael Janke, General Councel des Versicherungsbrokers AIC Swiss AG, waren vom SIA beauftragt worden, mit Schweizer Versicherern Lösungen für die Versicherbarkeit von Projektallianzen zu erarbeiten. Die Konstellation nach dem Allianzmodell, die den gegenseitigen Haftungsverzicht der Partner vorsieht, widerspricht im Grundsatz der bisherigen Logik der Versicherer.
Mit einiger Überzeugungsarbeit konnte eine Bauplatzversicherung «Ground Up+ entwickelt werden, die eine Entkoppelung der Schadensbeseitigung durch die Allianz nach dem Merkblatt SIA 2065 und der Schadenbearbeitung durch den Versicherer vorsieht. Dies entspricht der «No Blame»-Haltung einer Allianz. Zudem muss im Fall eines Schadens nicht mit einem Baustopp auf die Prüfung durch die Versicherer gewartet werden.
Ein neutraler Sachverständiger beurteilt die Situation und die Allianz bereinigt den Schaden. Der Bericht des Sachverständigen ist für beide Seiten verbindlich, sodass der Versicherer auf dieser Basis die Prüfung der Deckung vornehmen kann. Die Versicherungslösung wird ebenfalls im Frühjahr 2025 verfügbar sein.
Im Ausland funktionierts
Der Nachmittag der Tagung war Allianzprojekten im Ausland gewidmet: Jani Saarinen aus Finnland stellte das grösste finnische Allianzprojekt, das Laakso Hospital in Helsinki vor. Martin Sundermeier, Professor an Technischen Universität Berlin, liess die Gäste an den Erfahrungen teilhaben, die sie in Deutschland mit Projektallianzen gemacht hatten.
Gunnar Rekersdrees berichtete aus Berlin vom Neubauvorhaben der Labor- und Forschungsgebäude für die deutsche Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung und Per Lindén vom Varberg Tunnel in Schweden. Die vielfältigen geografischen und kulturellen Differenzen der Länder und ihren Bauwirtschaften macht einen direkten Vergleich schwierig.
Interessant ist jedoch der Strauss an Details, die Anekdoten aus der Praxis und die Gemeinsamkeiten: Eine konkrete Motivation trifft auf eine kompetente öffentliche Bauherrschaft, die gewillt ist, eine Pionierrolle einzunehmen und effizienter zu werden. Planende und Unternehmer sind mehr als bereit, in Projektallianzen zu arbeiten und eignen sich rasch die entsprechenden Fähigkeiten an. Die Kultur der «Open Books», also der Offenlegung der jeweiligen Kosten und des gegenseitigen Vertrauens sind Grundpfeiler für das Gelingen.
Nicht jede Projektallianz läuft von Anfang an rund. Doch wer seriös arbeitet, erzielt mit dem Modell Resultate, die in anderen Organisationsmodellen nur schwer vorstellbar wären. Es bleibt zu hoffen, dass in einigen Jahren Schweizer Vertreterinnen und Vertreter ins Ausland eingeladen werden, um über die Erfolge der Schweizer Projektallianzen berichten zu können.