Par­zel­le­nur­ba­nis­mus im UNESCO-Pe­ri­me­ter

Neubau Kunstmuseum, Bern; Zweistufiger Projektwettbewerb im selektiven Verfahren

Der Gründerbau des Kunstmuseums Bern gilt als Vorzeigebeispiel der Museumsarchitektur. Namhafte Architekturbüros haben sich bereits an Erweiterungen versucht, die sich aber trotz hochwertiger Architektur langfristig als unzureichend erwiesen. Nun haben Schmidlin Architekten den Wettbewerb für den nächsten Entwicklungsschritt gewonnen.

Date de publication
21-11-2024

Dank des Engagements des Malers Albert Anker, der auch als Grossrat tätig war, konnte an der Hodlerstrasse in Bern zwischen 1876 und 1878 die erste Gemäldegalerie der Schweiz errichtet werden. Die Sammlung wuchs schnell, weshalb der vom Architekten und Stadtbaumeister Eugen Stettler errichtete Bau 20 Jahre nach seiner Eröffnung mit ersten Platzproblemen zu kämpfen hatte. In der Folge entwarf Karl Indermühle für den Gründerbau einen Anbau, der nach Indermühles Tod durch Otto R. Salvisberg 1936 vollendet wurde. Im Gegensatz zum Kunstmuseum wurde das gegenüberliegende Naturhistorische Museum des Architekten Albert Lanz aus dem Jahr 1881, das ebenfalls an seine Kapazitätsgrenzen gestossen war, 1936 auf die heutige Museumsinsel im Kir­chenfeld­quartier verlegt. Der alte Bau wurde nach dem Umzug durch einen Neubau ersetzt.

Der zurückhaltende Anbau an der Ostseite des Kunstmuseums galt als ideale Museums­architektur und präsentierte sich zur Hodlerstrasse hin als eingeschossiger Bau mit markantem Gesims und einem Sgraffito von Cuno Amiet an der Fassade.

40 Jahre später brauchte das Kunstmuseum erneut mehr Ausstellungsfläche und damit eine zweite Er­weiterung. Da die nördliche Stadtflanke 1958 mit der Erweiterung der Polizeikaserne geschlossen worden war, fehlte der Platz für ein drittes Gebäude, weshalb der Anbau von Indermühle / Salvisberg abgebrochen werden sollte. Den Zuschlag für dessen Ersatz erhielt das Architektenkollektiv Atelier 5. Der damals museumstechnisch bahnbrechende Neubau überzeugte auf architektonischer Ebene durch seine differenzierte, aber zurückhaltende Gestalt sowie die untergeordnete Haltung gegenüber den ausgestellten Kunstwerken (vgl. Artikel «Verkannte Radikalität»). Doch bereits nach zehn Betriebsjahren musste der 1983 eröffnete Bau wegen gravierender Baumängel saniert werden. 1999 folgte eine umfassende Sanierung des Stettlerbaus. Laut Museumsdirektorin Nina Zimmer funktionieren die 145 Jahre alten Ausstellungsräume bis heute einwandfrei, was die Bezeichnung «Vorzeigebau» bekräftigt.

20-jährige Planungsodyssee

Im Sommer 2004 wurde bekannt, dass die letzten schulischen Nut­zungen des ebenfalls von Eugen Stettler erbauten Progymna­siums aus­ziehen würden. Der Kunstmäzen Hans­jörg Wyss plante, im sogenannten «Progr» ein Museum für Ge­gen­warts­kunst zu errichten. Das Projekt scheiterte jedoch an städtischen Auflagen, woraufhin die Verantwortlichen des Kunst­­museums eine Machbarkeitsstudie für einen Erweiterungsbau in Auftrag gaben und einen Wettbewerb auslobten. Das Siegerprojekt «an gebaut» von Bache­lard Wagener Architekten erwies sich aufgrund des Denkmalschutzes als nicht realisierbar. Der Stiftungsrat beauftragte daher Nicolas Ba­serga und Christian Mozzetti, das zweitplatzierte, als zu teuer deklarierte Projekt «Scala» zu überarbeiten. Doch obschon die Finan­zierung ­gesichert und das Baugesuch bewilligt war, führten unzureichend gemachte Abklärungen im Vorfeld zu einer Verdoppelung des ver­an­schlag­­ten Kostenrahmens, was auch dieses Projekt zum Scheitern brachte. Nach diesem Miss­erfolg sollte das bestehende Kunstmuseum modernisiert werden, indem die bestehenden Aus­stel­lungs­­flächen mittels räum­licher und organisatorischer Umstrukturierungen optimiert werden sollten. Kostenpunkt: 10 Mio. Franken. Die Pläne wurden 2013 vorgestellt und die Baubewilligung erteilt. Allerdings sollte gleichzeitig die gemeinsame Dachstiftung mit dem Zentrum Paul Klee gegründet werden, weshalb das Projekt zurückgestellt wurde.

Die neue Dachstiftung hielt an den Modernisierungsplänen fest, erweiterte diese aber um die dringend notwendige Sanierung. Der mittlerweile auf 40 Mio. Franken angewachsene Auftrag wurde frei­händig an einen dem Kunstmuseum nahestehenden Architekten vergeben. Da das Museum zwar privatrechtlich organisiert ist, aber grösstenteils mit Steuergeldern finanziert wird, legte die SIA-Sektion Bern Beschwerde ein, woraufhin das Kunstmuseum das Projekt zurückzog. Die Notsanierung soll den Museumsbetrieb bis voraussichtlich 2030 sicherstellen.

Anlauf zum Rundumschlag

Nach den vorangegangenen Rückschlägen liess das Kunstmuseum Bern 2018 eine neue Machbarkeitsstudie erarbeiten, begleitet von einem Expertengremium und im öffentlichen Dialog. Daraus entstand das Grundkonzept «Zukunft Kunstmuseum Bern», das entscheidende Parameter festlegte: Der Projekt­perimeter wird erweitert, da das angrenzende Gebäude nach dem Bau des neuen Polizeizentrums in Niederwangen frei wird. Der Bau von Atelier 5 ist zu ersetzen und die maximale Gebäudehöhe des Neubaus soll sich am «Progr» orientieren. 2022 wurde der internationale Architekturwettbewerb als zweistufiges Verfahren mit vorgängiger Prä­qualifikation lanciert. Aus 148 Bewerbungen qualifizierten sich 39 Teams, davon entwickelten elf ihre Ideen in der zweiten Stufe weiter. Zur optionalen Bereinigungs­stufe wurden drei Teams eingeladen. Gewonnen hat das Büro Schmidlin Architekten mit dem Entwurf «Eiger». Dieser sieht einen kompakten Solitär mit minimalem Fussabdruck vor, der durch die zurückversetzte Lage Richtung «Aarehang» einen Freiraum zwischen dem Gründerbau von Eugen Stettler und der Hodlerstrasse 6 schafft. Die Fassade des aus der Ferne abstrakt wirkenden Baukörpers ist für ein Wettbewerbs­projekt auffallend präzise ausgearbeitet: Die Fassade besteht aus einem Spiel aus geschnittenen und gebrochenen Schichten in dem seit dem Stadtbrand von 1405 vorgeschriebenen Sandstein. Nach der traditionellen Rustika im Erdgeschoss ist die Fassade mit einer nach oben zunehmenden Glättung konzipiert.

Im Innern sind die Raumgrössen kuratorisch optimal bemessen. Pro Stockwerk gibt es einen Raum, der bis auf die Öffnungen in allen Geschossen identisch ist. Die Untergeschosse verbinden alle drei Gebäude und bieten eine beeindruckende Infrastruktur. Der Vorschlag scheint in betrieblicher und mu­seumstechnischer Hinsicht sehr durchdacht. Die städtebauliche Konzeption wirft dagegen Fragen auf: So soll die Hodlerstrasse ausserhalb der Hauptverkehrszeiten autofrei sein, die Parkplätze sollen langfristig aufgehoben und die Ausfahrt des Metro-­Parkings verlegt werden, während der Strassenraum im Rahmen der Aufwertung des Bären- und Waisenhausplatzes neu gestaltet wird. Wie historisch in Bern üblich, wird die Strasse wieder zu einem Platz. Damit ist der Museumsvorplatz des Projekts «Eiger» eine Verdoppelung des städtischen Raums. Weiter musste der kleine Fussabdruck mit einer entsprechenden Fassadenhöhe kompensiert werden, um das geforderte Raumprogramm zu erfüllen. Die Gebäudehöhe entspricht zwar den Vorgaben, ist jedoch aus stadtmorphologischer Sicht zu hoch: Die Hodlerstrasse ist die einzige Strasse an der nördlichen Stadtkante mit zur Aare orientierten Gebäuden und liegt etwa ein Geschoss tiefer als die parallel verlaufende Speichergasse. Der Strassenzug befindet sich daher nicht mehr auf dem oberen Stadtplateau. Der «Progr» ist dagegen der Speichergasse zugewandt. Im Projekt «Eiger» – wie auch in anderen Wettbewerbsbeiträgen – wird in Bezug auf den «Progr» die Gebäudehöhe fälschlicherweise als maximale Fassadenhöhe verstanden. Die Argumenta­tion, dass alle Spezialbauten an den Stadtflanken verortet sind und sich auszeichnen, ist korrekt. Doch dabei wird die Gebäudehöhe meist über eine besondere Dachform erreicht, nicht durch überhohe Fassaden. Der Projektvorschlag «Eiger» tilgt den Flächenanspruch des nicht zwingend notwendigen Stadtraums mit einer im Stadtbild unüblichen 
Fassadenhöhe.

Anders sieht es beim drittplatzierten Projektvorschlag «Ginger + Fred» von EM2N aus: Er beweist, dass die Frei­stellung des Stettlerbaus und die Bildung eines Ensembles aus drei Museumsgebäuden auch ohne Vorplatz gelingt. Das Raumprogramm bringt das Team in einem Volumen unter, das sich in die tiefer­liegende Dachlandschaft einfügt.

Ob die planerische Leidensgeschichte des Kunstmuseums ­weitergeht oder mit dem Projekt «Eiger» eine dauerhaft zufriedenstellende Lösung gefunden wurde, bleibt abzuwarten. Noch ist der Kredit des vom Kanton zu tragenden Anteils von 95 Mio. der pro­gnos­­tizierten 147 Mio. Franken nicht genehmigt. Zudem wird sich zeigen, ob die Fassade nach der Überarbeitung den von der Jury geforderten vertieften Bezug zur Umgebung herstellen kann.

Jurybericht und Pläne zum Wettbewerb finden Sie auf competitions.espazium.ch

Rangierte Projekte

1. Rang / 1. Preis: «Eiger»
Schmidlin Architekten, Zürich/Engadin; MOFA urban landscape studio, Zürich; Lorenz Kocher, Chur

2. Rang / 2. Preis: «Blow your soul» 
ARGE Park Architekten / Philip Ursprung / Jaeger Baumanagement, Zürich; Krebs und Herde Landschaftsarchitekten, Winter­thur; Dr. Neven Kostic, Zürich

3. Rang / 3. Preis: «Ginger + Fred»
EM2N Architekten, Zürich; LAND, Lugano; DSP Inge­nieure, Uster

4. Rang / 4. Preis: «Torso»
ARGE AFF Architects, Lausanne / Bruno Fioretti Marquez, Berlin; POLA Landschaftsarchitekten, Berlin, Schnetzer Puskas Ingenieure, Berlin

5. Rang / 5. Preis: «Palimpsest»
Caruso St. John Architects, Zürich; ghiggi paesaggi Landschaft & Städtebau, Zürich; Ferrari Gartmann, Chur

Verfahrensbegleitung

Fuhr Buser Partner ­BauOekonomie, Bern

Fachjury

Elisabeth Boesch, Architek­tin, Zürich; Jean-Daniel Gross, Stadt Bern, Präsidialdirektion, Fachstelle für Denkmalpflege; Thomas Hasler, Architekt, Frauenfeld (Vorsitz); Anna Jessen, Architektin, Basel; Boris Podrecca, Architekt, Wien/Stuttgart/Venedig; Sibylle Aubort Raderschall, Landschaftsarchitektin, Meilen; Annabelle Selldorf, Architektin, New York; Peter Zumthor, Architekt, Haldenstein; Tina Gregoric, Architektin, Ljubljana (Ersatz)

Sachjury

Alfons Bichsel, Kanton Bern, Grossrat; Jonathan Gimmel, Dachstiftung Kunstmuseum Bern – Zentrum Paul Klee, Präsident; Alec von Graffenried, Stadt Bern, Stadt­präsident; Marieke Kruit, Gemeinderätin Stadt Bern, Direktorin für Tiefbau, Verkehr und Stadtgrün; Benjamin Marti, Kanton Bern, Grossrat; Hansjörg Wyss, Chairman Wyss Foundation; Nina Zimmer, Kunstmuseum Bern – Zen­trum Paul Klee, Direktorin; Alex Wassmer, Dachstiftung Kunstmuseum Bern – ­Zentrum Paul Klee, Vize­präsident (Ersatz)

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