Wahre und gute Gründe
Umbau und Erweiterung Mehrfamilienhaus Triemlistrasse, Zürich
Die neuen An- und Aufbauten verwandelten die Erscheinung eines typischen Mehrfamilienhauses aus den 1940er-Jahren grundlegend. Die Gründe für dessen Gestaltung sind vielfältig.
Das von Annina Meier und Baseli Candrian umgebaute Mehrfamilienhaus liegt im Zürcher Triemliquartier direkt am Läufebach. Dieser war ein Schlüsselelement für den Entscheid zum Umbau. Denn die Behörden hatten einen neuen Bauabstand definiert und ein Neubau hätte viel weiter als der bestehende Bau vom Gewässer zurückweichen müssen. Die grundsätzliche Absicht, möglichst nachhaltig zu bauen, sprach ebenfalls für einen Umbau. Ein willkommener Nebeneffekt dabei war, dass weniger Parkplätze ausgewiesen werden mussten.
Doch das Bauen im Bestand ist komplex. Die Vorgaben durch die BZO erwiesen sich als ungünstig, denn das Projekt musste auf das tiefer liegende Geländeniveau vor der Eingabe in den 1940er-Jahren bezogen werden, was die Höhe des Dachaufbaus beschränkte. Zudem lag das bestehende Hochparterre dadurch so hoch über dem Terrain, dass der ehemalige Keller nun als Vollgeschoss zählte. Darum wurde eine der Erdgeschosswohnungen mit einem Raum im Tiefparterre geplant.
Der alte Dachboden wurde entfernt und ein neuer Aufbau, ein seitlicher Anbau mit Loggia, ein pavillonartiger Erker zum Garten und ein Küchenerker über dem Eingang hinzugefügt. Zusätzlich wurde ein Balkon für die Wohnungen auf der Seite zum Läufebach ergänzt. Das war nur möglich, weil die Architekten mit dem Amt für Abfall, Wasser, Energie und Luft (AWEL) ausgehandelt hatten, den Weg zum ehemaligen Eingang auf der Rückseite des Hauses aufzulösen. Denn das AWEL war interessiert, die Bachbetten neu zu gestalten.
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Das Haus hat nun einen strassenseitigen Eingang und die neuen Gebäudeelemente erhielten eine leichte Metallfassade. Deren Blech erscheint je nach Licht wie ein Vorhang und harmoniert mit dem reinen Weiss der verputzten Flächen. Beides wandelt sich je nach Lichteinfall und Tageszeit. Mit den neuen Erker- und Anbauvolumen proportionierten die Architekten die Gesamtkomposition, die sich nicht alleine durch die Aufteilung der Innenräume ergeben hat. Überdimensionierte Einlaufkästen, Betonkonsolen und Wasserspeier führen das Gestaltungsthema fort.
«Für gestalterische Entscheide gibt es jeweils einen wahren und einen guten Grund. Der gute Grund für alle Rationalisten ist die Funktion. Der wahre Grund ist aber für die Ästheten», meint Baseli Candrian. Dazu zählt auch die Säule beim Eingang. Sie ist eine Art Absturzsicherung, aber vor allem auch ein Gestaltungselement. Der Architekt sieht darin einen Willkommensgruss.
Auch die Photovoltaik prägt den Ausdruck des Baus. Sie ist zwar von der Strasse nicht direkt sichtbar, aber die markante Dachschräge Richtung Süden ist vollständig mit PV belegt und zeichnet sich seitlich als relativ mächtiges, hohes Element ab. Die bestehenden Fensteröffnungen wurden behalten, nur deren Brüstungen teils bis zum Boden geöffnet, sodass mehr Licht ins Innere fällt. Die Oberflächengestaltung verbindet den unterschiedlichen Ausdruck der neuen und alten Räume. Die Fassade hingegen wirkt neu und homogen – fast wie ein Neubau.
Die lichte Raumhöhe im Bestand beträgt 2.40 m, im seitlichen Anbau ist sie jeweils etwa 30 cm höher. Dadurch ergibt sich auf jeder Ebene ein Niveausprung zwischen Bestand und Anbau, der mit ein paar Treppenstufen überbrückt wird. In den Wohnungen prägen diagonale Durchblicke die Räumlichkeiten. Vom Eingangskorridor aus gelangt man über einen Durchgang zwischen Bad- und Toilette in die Küche. In den Obergeschossen hat man vom rückwärtigen Eckzimmer einen fantastischen Blick auf einen eindrücklichen Baum vor dem Fenster zum Nachbarhaus. Unter dem Dach zeichnet sich eine grosszügige Höhe ab.
Allerdings spürt man die Konsequenzen des Vollgeschosses im Souterrain: Die oberste Etage zählt nun als Dachgeschoss, darum darf der Kniestock nur 90 cm hoch sein, was die Zimmervolumen einschränkt. Eine Treppe im Wohnraum führt auf eine Terrasse. Von hier aus blickt man über die noch lockere Bebauung und den dazwischenliegenden Grünraum hinweg bis zum Hönggerberg. Auch dieses Quartier wird bald anders aussehen.
Der Umbau hat zwar gegenüber einem Neubau durch das Weglassen einer Tiefgarage finanzielle Einsparungen erreicht. Doch die Baukosten der Wohnfläche waren aufgrund der hohen gesetzlichen Auflagen etwa gleich hoch. Zum Beispiel musste die alte Decke aus Holzbalken und Beton nach feuerpolizeilichen Vorgaben zusätzlich mit Gipsplatten gesichert werden.
Auch ist das Baugesetz für Umbauten dieses Häusertyps mit eigentlich guten Strukturen nicht optimiert. So konnten die Architekten ein grosses Bestandszimmer nicht unterteilen, weil die zwei Zimmer dann 0.25 m2 zu klein gewesen wären. Ganz allgemein müsse man Klarheit finden im Umgang mit Bauten aus den 1940er- und 1950er-Jahren, meint Baseli Candrian. Die Gesetze werden streng angewandt, wie etwa beim Vollgeschoss im Tiefparterre. Das macht Umbauten für Bauherrschaften nicht sehr interessant.
Die Probleme wurden von den Behörden teils erkannt und werden voraussichtlich in einer nächsten Revision behoben. In Zürich gibt es einen grossen Bestand dieses Gebäudetyps. Das Mehrfamilienhaus zeigt eine mögliche Transformation – und weist gleichzeitig auf Hindernisse hin, die in Zukunft gelöst werden müssen.
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Bauherrschaft
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Facts & Figures
Fertigstellung: 2024
Grundfläche (SIA 416) : 620 m2 Bestand; 1'035 m2 Endzustand
Volumen (SIA 416) : 1'700 m3 Bestand , 3'105 m3 Endzustand