Boul­dern im Be­cken

Klettern in einem stillgelegten Hallenbad: Dieses besondere Sporterlebnis bietet sich seit vergangenem Frühjahr in der Stadt Bern. Das traditionsreiche Hallenbad «Muubeeri» im Stadtzentrum wurde nach fast 100 Jahren ausser Betrieb gesetzt. Drei Jahre lang belegt nun eine Boulderhalle als Zwischennutzung den Bau. 

Date de publication
21-01-2025

Jahrzehntelang war das Hallenbad Hirschengraben – so der offizielle Name – ein Fixpunkt in der Berner Schwimmszene. 1928 von den Berner Architekten Schneider und Hindermann erbaut und 1939 durch Hans Beyeler und Rudolf von Sinner erweitert, bestach das Bad vor allem durch seine zentrale Lage an der Maulbeerstrasse – «Muubeeri» auf Berndeutsch – drei Minuten vom Bahnhof entfernt. Der attraktive Standort, gepaart mit einer No-Bullshit-­Aus­stattung – ein 25-m-Becken, ein Lehrschwimmbecken, keine Rutsche, seit einigen Jahren auch keine Sprungtürme mehr – und einem dezenten 1970er-Jahre-Charme sorgten dafür, dass hier intensiv und nahezu rund um die Uhr geschwommen wurde. 

«Die grosse Schwimmhalle hat der aus eigener Erfahrung mit solchen Dingen vertraute Architekt Hans Beyeler durchaus von den praktischen Erfordernissen her gestaltet, unter bewusstem Verzicht auf ästhetisch wirkungsvolle, im Gebrauch aber nachteilige Dispositionen, wie es z. B. bis zum Fussboden reichende Fenster wären», berichtete die «Schweizerische Bauzeitung» 1940. Sie lobte auch die Anordnung der gewärmten Sitzstufen, die von der Liegeterrasse überhöht würden, die ihrerseits vom Blumenfenster direktes Sonnenlicht erhalte. «Diese Zone bietet mit ihrer freundlichen Ausstattung (Liegestühle, Korbsessel, Tischchen) das Gegengewicht zur sachlichen Haltung des unteren Teils, der zwar durch seine schöne Keramik ebenfalls ausgezeichnet wirkt.» Die «Berner Woche» hingegen sprach schlicht und einfach vom «schönsten und modernsten Hallenbad der Schweiz».

Die schnörkellose, doch funktionale Architektur des Bads bewährte sich über alle Renovationszyklen hinweg (die letzte umfassende Instandsetzung fand Anfang der 1990er-Jahre statt), sodass die Aufregung gross war, als das Bad 2011 aufgrund baulicher und betrieblicher Mängel schliesslich doch vor dem Aus stand. In diesem Fall handelte es sich dabei nicht wie so oft um eine Phrase: Im Sommer 2020 musste gar eine Sicherungskonstruktion über dem Lehrschwimm­becken eingebaut werden, um die Dachkonstruktion im Falle eines Einbruchs abzufangen. Dennoch stürzten 2021 Deckenteile in die Ruhezone der kleinen Schwimm­halle. Der Bereich wurde daraufhin gesperrt. 

Ein letztes Mal wurde also das Nötigste saniert, aber nur, um die Zeit zu überbrücken, bis das neue ­Hallenbad im Neufeld im September 2023 in Betrieb genommen werden konnte. Doch die Stadt Bern erkannte die Chance dieses Kultorts. Sie bewilligte eine Zwischennutzung des als schützenswert klassifizierten Gebäudes für den Zeitraum von 2024 bis Ende 2026. 

Zwei Fliegen mit einer Klappe

Am anderen Ende von Bern, schon auf dem Gemeindegebiet von Ostermundigen, kämpfte derweil die 2015 eröffnete Kletterhalle O’Bloc mit Platzproblemen. Die Betreiberinnen und Betreiber planten die Erweiterung ihrer Halle und bewarben sich spontan für die Zwischennutzung des ehemaligen Hallenbads. Ihr Konzept sah vor, in den Räumlichkeiten eine Boulderhalle mit angehängtem Bistro einzurichten. Bouldern, also das Klettern ohne Seil bis auf Absprunghöhe, verlangt weniger Material als das Sportklettern – kein Gurt, kein Seil, kein Sicherungsgerät. Durch die geringere Höhe der Wände müssen die Betreiber ausserdem weniger bauliche, sicherheitstechnische und versicherungsrechtliche Vorgaben erfüllen. Von 25 eingereichten Projekten machte das Boulderbad schliesslich das Rennen.

Überraschende Synergien

Was mit einem «Jux» begann, so Co-Projektleiterin Sarah Liebi, bewies sich in räumlicher Hinsicht als überraschend schlüssig: Zunächst planten die Betreiber, einfach die Wände des ehemaligen Schwimmerbeckens mit Klettergriffen auszustatten. Doch schnell wurde klar, dass damit viel Fläche ungenutzt bleiben würde. Sie beschlossen also, das Becken abzudecken und die Wände von diesem neuen Boden aus bis über die Geländer der ehemaligen Galerie auf eine Höhe von 4 m zu ziehen. Oben angekommen, können die Kletterinnen und Kletterer über die Wand auf die Galerie aussteigen und bequem via Treppe wieder nach unten gelangen.

Im Zentrum des ehemaligen Beckens befindet sich zudem ein Boulderblock und eine freistehende, geneigte Scheibe. Letztere ist eine klettertechnische Innovation und nur deshalb realisierbar, weil die Scheibe unter dem neuen Boden rückverankert werden konnte – möglich macht das die Tiefe des Schwimmbeckens. 
Eine weitere Entdeckung waren die ehemaligen Garderoben und Duschen im Untergeschoss. Aus Sicherheitsgründen sind sie nicht mehr öffentlich zugänglich, eine Nutzung als grosszügiger Lagerraum ist aber erlaubt. Darüber hinaus freut sich das Team vor allem über die praktischen Duschen: Hier können die Klettergriffe unkompliziert mit einem Schlauch gereinigt werden. In Ostermundigen ist dafür eine spezielle Griff­wasch­anlage im Einsatz. 

Sowohl die Sitzstufen entlang des Beckens als auch die Galerie behalten ihre ursprünglich vorgesehene Nutzung als Ruheort mit mehr oder weniger Distanz zum sportlichen Geschehen im Zen­trum des Raums. 

Ein zweites Leben im Boulderbad

Unterstützt von einem Zimmerei-Unternehmen nahmen die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von O’Bloc den Aus- und Umbau des Bads selbst in die Hand. Mit ausgebildeten Handwerkerinnen und Handwerkern im Team und einem knappen Budget lag das auf der Hand. Der Umbau begann im November 2023, das Konzept folgte drei Leitideen: Zum einen sollte die Schwimmbadatmosphäre weiterhin spürbar bleiben, zum anderen setzte das Team aus ökologischen und finanziellen Gründen so weit wie möglich auf wiederverwendetes Material. Der dritte Punkt ergibt sich aus dem Umstand der Zwischennutzung: Alle Einbauten sollten reversibel ausgeführt werden. 

Beim Thema Wiederverwendung spielte den Betreiberinnen und Betreibern die zeitgleiche Erweiterung des Hauptsitzes in die Hände: Sie konnten die Dachplatten des dortigen Aussenturms abbauen, zu Balken sägen und als Unterkonstruktion des neuen Bodens in das Schwimmbecken einbauen. Co-Projektleiter Benjamin Herren lacht, als wir kurz nach der Eröffnung im April 2024 mitten in der Unterkonstruktion im ehemaligen Schwimmbecken stehen: «Mit qualitätvoller Zimmermannsarbeit hat das hier wenig zu tun. Wir haben mit dem gearbeitet, was zur Verfügung stand und sichergestellt, dass es hält.»

Auch ein Teil der ehemaligen Platten der Aussenkletterwand konnte im Boulderbad wiederverwendet werden. 180 der rund 300 m² Wandfläche stammen aus dem Mutterhaus. Und auch einige Klettergriffe führten ein Vorleben, sogar ein prominentes: Die Griffe konnten teilweise von der Sportkletterweltmeisterschaft übernommen werden, die letztes Jahr in Bern stattfand. Die Matten am Boden, die den Aufprall bei einem Sturz oder beim kontrollierten Absprung dämpfen, stammen ebenfalls aus Ostermundigen. Sie lagen in Randbereichen der dortigen Boulderzone und wurden bei der letzten Erneuerung ausgebaut.

Ein Vielfaches an Aufwand

Das Konzept der Wiederverwendbarkeit begrenzt sich nicht nur auf die kletterspezifischen Einbauten. Auch das Mobiliar bis hin zur Kaffeemaschine suchte das Projektteam mit grossem Engagement zusammen. Das passende Material zu finden, zu transportieren und an die Gegebenheiten vor Ort anzupassen, war zeitaufwendig. Benjamin Herren schätzt, dass der Aufwand etwa zehnmal so gross war wie bei der Verwendung von neuem Material. Dafür beliefen sich die Umbaukosten auf nur 300 000 Franken. Diese und die Nebenkosten trägt O’Bloc, die Stadt verlangt im Gegenzug keine Raummiete.

Für die Stadt Bern ist die Zwischennutzung ein Glücksfall: Der Bestand an notorisch knapper Kletterfläche wurde erweitert, gleichzeitig ist ein auch für Nicht-Boulderer attraktiver Ort im Stadtzentrum entstanden. Das grosse Engagement der Betreiberinnen und Betreiber und die Wertschätzung, die sie diesem Ort entgegenbringen, ist bis ins Detail spürbar. Man wünscht sich, dass dies eine Zwischennutzung der längeren Art werden möge. 

Zwischennutzung Hallenbad Hirschengraben, Bern

 

Bauherrschaft
Stadt Bern
 

Betreiber
O’Bloc, Ostermundigen
 

Architektur (Baueingabe)
urech architekten, Bern
 

Tragkonstruktion
B+S Ingenieure, Bern
 

Holzbau
HolzGut, Köniz
 

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