Blei­ben­de Wei­chen, wei­chen­der Fels

Streckenausbau im Berg

Die Profilerweiterung des SBB-Tunnels von Saint-Maurice VS erfolgte sprichwörtlich «vom Scheitel bis zur Sohle». Weil der Bahnverkehr aufrechterhalten werden musste und die topografische Situation hohe Ansprüche stellte, waren von den Ausführenden eine ausgeklügelte Logistik und extreme Zeitdisziplin gefordert.

Data di pubblicazione
06-10-2016
Revision
15-10-2016

Das obere Stockwerk des Wallis wird ab 2018 mit einer Doppelstockzugverbindung an den tiefen Genfersee angebunden. Möglich macht diesen Anschluss des Oberwallis der Ausbau der Eisenbahnlinie Lausanne–Brig. Einen wichtigen Beitrag hierzu leistet die Erweiterung des 489 m langen, 1859 in Betrieb genommenen zweigleisigen Tunnels Saint-Maurice auf das Lichtraumprofil EBV 2/S2. 

Durch den bestehenden Tunnel fahren täglich über 240 Züge. Dies entspricht in Spitzenzeiten bis zu 15 pro Stunde. Da eine sinnvolle Alternativroute nicht existiert, musste der Grossteil der Arbeiten bei laufendem Betrieb eines Gleises ausgeführt werden. Für die Vergrösserung der Röhre stand folglich nur ein halber Querschnitt zur Verfügung. Dies führte nicht nur zu einem äusserst beschränkten Arbeitsraum, sondern erhöhte auch den Bauaufwand. Galt es doch, das befahrene Gleis von der Baustelle mittels einer Schutzwand abzutrennen. 

Zur Installation dieser Trennwand und für andere diverse Arbeiten, die eine zeitweise Stilllegung der Strecke unumgänglich machten, konnte zumindest an 240 Nächten von 2013 bis 2016 während fünf Stunden der Zugverkehr im Tunnel eingestellt werden. Für Intensiv­einsätze war dies an zwei zusätzlichen Wochenenden für jeweils 53 Stunden möglich, ansonsten blieb die Strecke stets eingleisig befahrbar. 

Der erste Intensiveinsatz sah den Abbruch der 34 m langen Tagbaustrecke des Tunnels auf der Seite von Saint-Maurice vor. Beim zweiten wurde im Bereich einer Weichenanlage am Portal Saint-Maurice die Tunneldecke mit einer einzigen Sprengung entfernt. Gemessen an der Anzahl der gleichzeitig gezündeten Ladungen stellte diese Detonation mit 1492 Sprenglöchern die bedeutendste der Schweiz dar. Die Festlegung der beiden Wochenenden erfolgte über ein Jahr vor dem jeweiligen Intensiveinsatz, bedurfte es doch einer Neuorganisa­tion des gesamten Personenverkehrs durch die SBB und aufgrund der zeitlichen Beschränktheit enormer Vorbereitungsarbeiten seitens der Unternehmung.

Die bahnbetrieblichen Randbedingungen wurden noch durch zwei topografische ergänzt.

Unverrückbare Höhenlagen

Am südlichen Tunnelportal schliesst der Bahnhof Saint-Maurice an. Seine Höhenlage und eine in den ­Tunnel hineinreichende Weichenanlage, die für die Zugverteilung auf die Gleise des Bahnhofs nötig ist, gaben die Höhenkote der Schienenlage in diesem Abschnitt vor. Eine Erweiterung durch eine Sohlabtiefung war daher am Südende des Tunnels ausgeschlossen. Im nördlichen Tunnelabschnitt hingegen konnte die Firstkote des Tunnels nicht verändert werden, da das Fort Cindey, eine Befestigungsanlage aus dem Inventar nationaler Militärdenkmäler, unmittelbar über dem Stollen gelegen ist.    

Die Lösung dieses topografischen Gegensatzes lag in der Anordnung eines variablen, in Richtung Bex abfallenden Profils. Dies führte auf der Seite von Saint-Maurice zu einem Abtrag der Tunneldecke, während auf Bexer Seite die Tunnelsohle abgesenkt wurde. Die insgesamt aufwendige Art der Profilerweiterung – Arbeiten am halben Querschnitt, verschiedene Profile, Sprengarbeiten und anschliessende Wiederinbetriebnahme des Tunnels unter extremen Zeitdruck – konnte letztendlich gewählt werden, da es sich beim anstehenden Fels um einen Valanginien-Kalk handelt, ein insgesamt massives und sehr widerstandsfähiges Gestein. Die allgemeine Ausrichtung der Bänke verläuft subhorizontal mit einer leichten Neigung zum Bexer Tunnelportal hin. Hier, im nördlichen, auf 150 m Länge mit einer Bruchsteinmauerung versehenen Abschnitt der Röhre stehen auch Wasserzuflüsse an, die den Einbau einer Dichtungsschicht erforderlich machten.

Wand schützt und nützt

Zur Abtrennung des Bahnbetriebs von der Baustelle musste eine Schutzwand in Profilmitte erstellt werden, die nicht nur als Sicherheitsbarriere fungierte, sondern auch unterschiedliche Funktionen während des Bauablaufs wahrnahm. Beim Ausbruch auf der Seite der Rhone, der zuerst vollzogen wurde (Phase 1), diente die Wand als Bohlwand (Berliner Verbau) zur Abstützung des bergseitig gelegenen und weiterhin befahrenen Gleises. Vor den Bauarbeiten am bergseitigen Gleis (Phase 2) erfolgte eine Anpassung der Schutzwand an der Tunnelkalotte.

Die Anbringung einer geneigten Stütze ermöglichte die Abstützung und den Ausbruch im Firstbereich des Tunnels. Die Wand setzte sich aus Stahlprofilen mit dazwischen liegendem Drahtgeflecht zusammen. Gebohrte Löcher dienten als Fundation der Profile, oben wurden die Profile mit Swellex-Ankern und Spritzbeton befestigt. Ein akustisches und optisches Warnsystem für Züge sowie ein System zum Stoppen des Zugverkehrs bei einem Unfall ergänzten die Schutzwand in Bezug auf die Bahnsicherheit.

Bauen am halben Querschnitt

Die Vergrösserung des Profils auf der Talseite, Phase 1 genannt, setzte sich aus folgenden Arbeiten im Zeitraum vom 2. September 2013 bis 22. März 2015 zusammen:

  • Montage der Schutzwand zwischen den Gleisen bei unterbrochenem Zugverkehr
  • Schliessung des bergseitigen Gleises und Entfernen von Gleis und Schotter talseitig
  • Ausführung eines Längsträgers mit Zugankern im Bereich der Bruchsteinmauerung (bestehende Tunnel­decke)
  • Vergrösserung des Querschnitts mit auf Baggern montierten Felsbrechern (ca. 20 m3/lfm)
  • Kanalisierung der Wasserzuflüsse und Einbringen einer Abdichtung im wasserführenden Bereich (auf ca. 150 m Länge)
  • Einbringung der Abstützung, die lokal aus Bolzen und 15 cm faserverstärktem Spritzbeton besteht
  • Ausführung des Randwegs, Verlegen der Drainage, Betonieren der Sohlenplatte
  • Anpassung der Schutzwand für die Arbeiten am bergseitigen Gleis (Phase 2)
  • Einbringen von Schotter, provisorisches Verlegen des neuen Gleises und der Oberleitung
  • Inbetriebnahme des talseitigen Gleises

Die bergseitige Querschnitterweiterung während der Phase 2 wurde vom 22. März 2015 bis 5. April 2016 vorgenommen. Innerhalb dieser Phase fand auch der zweite Intensiveinsatz mit der Sprengung im Bereich der Weichenanlage statt. Neben weiteren Anpassungen der Schutzwand und deren letztendlichen Entfernung entsprachen die Arbeitsschritte denen der Phase 1. Die Logistik der Arbeiten zeitgleich während des Bahnbetriebs wurde von jener des Intensiveinsatzes im Weichenabschnitt von Saint-Maurice noch übertroffen.

Intensiveinsatz mit Sprengung

Innerhalb der 53 Stunden, die am ausgewählten Wochenende zur Verfügung standen, mussten folgende Arbeiten erfolgreich umgesetzt werden:

Zu Beginn, am Freitag, den 6. November 2015 um 22:40 Uhr, mussten die Demontage der Fahrleitung und das Einbringen der Schutzvorrichtungen für die Gleise und bahntechnischen Anlagen erfolgen. Gleichzeitig erfolgte die Bereitstellung der letzten Sprengladungen. Das Anzeichnen und Bohren der Sprenglöcher sowie teilweise das Anbringen der Ladungen konnten bereits im Vorfeld des Intensiveinsatzes abgeschlossen werden. 

Nach 3.3 Sekunden – nur so lang dauerte die Sprengung – transportierten Dumper und Muldenkipper das auf einer Länge von 76 m angefallene Gestein mit einer Kubatur von 1200 m3 über beide Seiten des Tunnels ab. 90 Glasfaseranker wurden zur Sicherung des Gewölbes gebohrt und gesetzt, bevor 196 m3 Spritzbeton mit einer Stärke von 15 cm aufgebracht wurden. Nach dem Entfernen der Schutzvorrichtungen der Gleis­anlage, der Montage der Oberleitung und verschiedenen Sicherheitskontrollen vor der Inbetriebnahme des Gleises konnte der Intensiveinsatz Sonntagnacht beendet werden.

Zwischen 5. April und 2. Mai 2016 erfolgte zum Abschluss der Arbeiten die Phase 3. Talseitig musste das Gleis noch auf sein definitives Niveau verlegt werden. Nach Fertigstellung des Randwegs und der Montage der endgültigen Fahrleitung konnten beide Gleise letztendlich in Betrieb genommen werden.

Anmerkung

Vorliegender Artikel beruht auf der Veröffentlichung «Agrandissement du tunnel CFF de Saint-Maurice» der Autoren Cathie Hansmann, Alain Dériaz, Olivier Tappy, Xavier von Mandach, erschienen in TRACÉS 09/2016; inhaltliche Koordination: Philippe Morel und Jacques Perret.

Am Bau Beteiligte
 


Bauherrschaft
SBB AG

Ingenieur
BG Ingénieurs Conseils SA

Unternehmen
Implenia

Articoli correlati