Der Architekturberuf im Wandel
Die Sektion Zürich des SIA und der BSA haben Ende Oktober 2019 in Zürich einen Anlass zur Revision der Ordnung «SIA 102» abgehalten. Im vollen Saal wurde diskutiert – weit über die Revision der Ordnung und die Kalkulationshilfen hinaus: Es ging um Veränderungen im Berufsbild der Architekten.
Natürlich herrscht striktes Rauchverbot im Saal der Cigarrenfabrik. Doch war in den Diskussionen zwischen den Zeilen in manchen Minuten auch Rauch auszumachen. Der Anlass «Stand der Dinge, Architekturberuf, Kompetenzen, Anforderungen Heute und Morgen» thematisierte die Revision der Ordnung SIA 102, die Kalkulationshilfen, aber vor allem auch den Wandel im Berufsbild der Architektinnen und Architekten, das sich immer weiter von seinen Kernkompetenzen entferne.
Zentral war die Frage, ob zukünftig die Honorarberechnungen ohne Kalkulationshilfe des SIA eine Chance oder ein Risiko darstellen. Sacha Menz (SAM Architekten), meinte, dass man für die Honorarberechung pragmatisch zwei Fragen beantworten müsse: Wieviel Zeit eine Aufgabe brauche, und was sie koste. Die Kosten könne jeder kalkulieren, das lernen Studierende heute an der ETH. Dass die Architekten darüberhinaus in Zukunft vermehrt verhandeln müssen, findet Sacha Menz angebracht.
Eva Lanter vom Architekturbüro Batiments wendete daraufhin ein, dass auch junge Architekten das Kalkulationstool bräuchten, denn ohne Erfahrung sei es besonders schwierig, Offerten zu erstellen. In diesem Zusammenhang wurde Stefan Cadosch vom SIA zitiert, der unerfahrenen Architekten in Zukunft als Alternative zur Kalkulationshilfe die SIA-Kurse nahelegte.
Auch öffentliche Bauherrschaften haben sich bisher auf die Kalkulationshilfe abgestützt. Die meisten werden diese voraussichtlich auch zukünftig weiter nutzen. Doch braucht dies das gegenseitige Einverständnis von Bauherrschaft und Planern – das heisst, die Bedingungen müssen jedesmal verhandelt werden.
Ein Blick über die Grenzen
Astrid Staufer (Staufer & Hasler Architekten; Professur TU Wien) erzählte von ihren Erfahrungen in Österreich. Neben zahlreichen Vorlagen gibt es dort immer noch die von der Architektenkammer jährlich indexierte Honorarordnung aus dem Jahre 2004, die die Architekturbüros bis heute verwenden. Doch die Honoraransätze polorisieren in Österreich: Die Stundentarife grosser Büros liegen bei bis zu 110 Euro, jene kleiner Büros um die 60 Euro.
Erstere führen oft die Wettbewerbe aus, die kleine Büros gewonnen haben. Nach dem Wettbewerb werde eine zweite Verhandlungsrunde geführt, bei der die Büros mit den niederigeren rangierten Projekten nochmals für die folgenden Bauphasen mitbieten können. Das könne den Qualitätsentscheid des Wettbewerbs relativieren.
Infolge dessen seien vor allem mittlere Büros mit 20-30 Mitarbeitenden in Österreich fast verschwunden. In der Schweiz seien jedoch diese Büros für die hochstehende Architekturqualität verantwortlich. Die Wettbewerbskultur in unserem Land beruhe auch darauf, dass die Architektin in der Jury mit dem Auslober für die an den Wettbwerb anschliessenden Bauphasen einen Stundenansatz aushandeln könne.
Die Architekten stärken
Aber auch in der Schweiz werde bezüglich der auf den Wettbwerb folgenden Bauphasen der Druck immer grösser und der Leistungskatalog immer umfangreicher. Damit einher gehe eine Isolationstendenz und eine Überanpassung der einzelnen Büros, um diesen hohen Anforderungen gerecht zu werden. Dagegen solle sich die Architektengemeinschaft wehren.
Im Vorfeld müssten aber auch Architekten als Jurymitglieder ihren Handlungsspielraum besser ausschöpfen, so ein Statment aus dem Publikum. Das könne bedeuten, dass eine Jury zurück trete, wenn ein Bauherr sich nicht an faire Spielregeln beispielsweise bei den Anforderungsfaktoren für die Honorierung, oder bei der Programmgestaltung halte.
In der Folge diskutierten Podiumsteilnehmer und Publikum die sich verändernden Rahmenbedingungen im Berufsbild der Architekten. Einerseits vertrauen Bauherrschaften und Investoren immer mehr in digitale Planungshilfen, um Kosten und Zeit zu sparen – dafür komme aber eine tiefgreifende Diskussion über Bauqualität zu kurz.
Immer häufiger wissen zudem bei grösseren Bauvorhaben Marketingspezialisten, was eine potentielle Nutzergruppe braucht und wie sie wohnen will – angesprochen wurde die Thematik der Mikroapartments in Städten.
Astrid Staufer ermahnte, dass deshalb oft «retrospektiv» gebaut würde, denn diese Programmvorgaben beziehen sich ausschliesslich auf aktuelle und nicht auf langfristige Bedürfnisse und Möglichkeiten. Bis vor einigen Jahren aber sei es die Aufgabe von Architekten gewesen, Projekte zu planen, die von der Gegenwart in die Zukunft gedacht waren.
Zurück zum Metier
Generell wurde festgestellt, dass die Abkopplung der Architektinnen und Architekten von den «Wurzeln eines Projekts» damit verbunden sei, dass sie immer häufiger nur für die dritte Phase, also ab dem Vorprojekt, zuständig seinen. Ein Grossteil des Diskurses über Ästhetik oder Funktionen der öffentlichen Räume fände aber in den Phasen davor statt.
Demzufolge machen die vorgefassten Programme Architekten zu «Programmakrobaten», die sich nur noch darum kümmern, Vorgaben der Grauen Energie, der Betriebsenergie oder der maximalen Nutzfläche zu erfüllen. Vorteilhafter für ein gutes Gelingen wäre es, ein Programm direkt mit der Bauherrschaft zusammen zu entwickeln.
Gemäss Sacha Menz hängt diese Tendenz auch von einem generellen Vertrauensverlust in die Fähigkeiten der Architekten ab: Dieser müsse wieder aufgebaut werden. Der Moment sei gut, denn viele der in den 1980er-Jahren erstellten Bauten seien qualitativ unbefriedigend. Menz zitierte Professor em. Werner Oechslin von der ETH: «Der Architektenberuf ist ein Metier» – er liege zwischen Handwerk und Intellekt.
Auffällig war, dass vor allem Vertreter etablierter Büros anwesend waren. Sehr junge Architektinnen und Architekten fehlten weitgehend an dem Anlass.