Sind des Nachbars Kirschen süsser?
Die vom SIA eingesetzte Expertengruppe sucht nach Wegen, um die wegfallenden Kalkulationshilfen zu ersetzen. Dazu hat sie auch die Regelungen anderer Länder einbezogen. Vergleichbare Bedingungen finden sich etwa in Deutschland und Österreich – in Norwegen wendet man eine ganz andere Methodik an.
So wird in Deutschland kalkuliert
In Deutschland regeln die Honorarordnungen für Architekten und Ingenieure (HOAI) seit Mitte der 1970er-Jahre als Bundesverordnung die Vergütung von Architektur- und Ingenieurleistungen. Wie beim Zeitaufwandmodell des SIA sind hierfür die Baukosten die massgebende Grösse. Zusammen mit der nur als Hilfsmittel anerkannten Publikation «HOAI 2009 – Honorartabellenbuch mit RifT-Werten», die die oberen Grenzwerte der HOAI-Honorartafeln fortschreibt, ist sie die am weitesten verbreitete Referenzgrundlage für Planerverträge.
Mit dem Argument der Qualitätssicherung kennt die HOAI darin sogar verbindliche Mindest- und Höchstsätze für die Vergütung einer bestimmten Planungsaufgabe. Gegen diese Vorgabe hat die Europäische Kommission aber jüngst vor dem Europäischen Gerichtshof erfolgreich Klage erhoben. Aufgrund des nun vorliegenden Urteils ist die Bundesrepublik Deutschland in der Pflicht, die beanstandeten Regelungen umgehend aufzuheben.
In Österreich gibt es zwei Kalkulationsmodelle
In Österreich gibt es unterschiedliche Modelle. Das Modell «TU Graz» basiert auf den bis Anfang der 1990er-Jahre angewendeten Gebührenrichtlinien für Architekten und Ingenieure. Dieses Modell berechnet die Honorare ebenfalls in Prozentsätzen der Baukosten, wurde 2006 nach angedrohtem kartellrechtlichem Verstoss aufgehoben und zuletzt 2014 neu als Leistungs- und Vergütungsmodell mit indexierten Tabellenwerten fortgeschrieben. Daneben existiert ein Leitfaden zur Kostenabschätzung der Bundesinnung Bau. Dieser basiert teilweise auf der Bauwerksgrösse in Kubikmeter, was bezüglich Innovationsfaktoren interessant sein kann. Im Wesentlichen handelt es sich um eine Nachfolgepublikation der Honorarordnung der Baumeister (HOB), die 2005 aus rechtlichen Gründen zurückgezogen wurde.
Für die Teilleistungen Grundlagenanalyse, Mitwirkung an der Vergabe und Objektbetreuung lassen sich Art und Umfang nicht eindeutig beschreiben; der Aufwand ist daher im Sinn eines Stundenbudgets zu schätzen. In den Phasen Vorentwurf, Entwurf, Einreichplanung, Ausführungsplanung und Ausschreibung können Planende den Aufwand in Abhängigkeit der Bemessungsgrösse (Bauwerksgrösse) schätzen. Für die Positionen Begleitung der Bauausführung wird der Aufwand in Abhängigkeit der Dauer der Teilleistung geschätzt. Wohlgemerkt sind beide Modelle vertragsrechtlich nicht durchsetzbar.
Norwegen kennt überhaupt kein Modell
Norwegen hat aktuell keine Richtlinien, um Honorare zu berechnen. Hier zählt Eigenverantwortung: Seit 2013 wird in der Branche die «Best Value Method» gefördert. Dadurch werden Qualität und Kompetenzen vom Auftraggeber stärker gewichtet als der Preis. Eine Firma kann so ein tiefes Honorar offerieren und eventuell Verluste einfahren, weil sie unbedingt ein bestimmtes Projekt in ihrem Portfolio führen möchte. Oder das Honorar kann vergleichsweise hoch sein, weil die Firma in diesem Bereich eine einzigartige Erfahrung mitbringt und der Auftraggeber diese höher priorisiert als die Kosten.
Manche Firmen haben aufgrund der fortgeschrittenen Digitalisierung sehr effiziente Arbeitsweisen entwickelt und können hohe Stundenansätze durchsetzen, weil ein geringerer Stundenaufwand anfällt. So wird auch innovatives Denken belohnt – beispielsweise in Verbindung mit der Reduktion des ökologischen Fussabdrucks oder bei einer Zusammenarbeit, die die Projektplanungsdauer reduziert.
Fazit
Fast jedes Land kannte einmal eine Kalkulationshilfe für Architekten und Bauingenieure, um deren Leistungen, Kosten und Honorare zu berechnen. Doch mit der Zeit und mit immer wieder angepassten Regeln und Gesetzen mussten viele diese Formeln zurückziehen (vgl. Grafik). Es stellt sich die Frage, ob sich mit der Weiterentwicklung des Rechtsrahmens und der Technologien nicht auch die Art und Weise der Honorierung zukunftsorientierter entwickeln müsste. Die Intervention der Weko, die viele als Angriff verstanden haben, war unangenehm. Sie hat viel Unsicherheit und Zweifel ausgelöst. Doch vielleicht war genau sie der Katalysator, den der SIA brauchte, um die Leistungs- und Honorarordnungen gründlich zu revidieren.