«Gra­ben­käm­p­fe ko­sten nur un­nö­tig Ener­gie»

Der Verein ecobau ist Hüter der grauen Energie und bislang Lieferant wichtiger Bewertungsgrundlagen für inländische Gebäudestandards. Die künftige Mitwirkung an der Schweizer Labelfamilie soll nun verbindlich geregelt werden, fordert Vereinspräsidentin Friederike Pfromm.

Data di pubblicazione
31-03-2022


TEC21: Der Verein ecobau verlangt in einem offenen Brief an die Trägerschaft der nationalen Gebäudelabelfamilie, stärker beteiligt zu werden. Was läuft aus Ihrer Sicht falsch?

Friederike Pfromm: Wir wehren uns nicht gegen eine Harmonisierung der Gebäudestandards. Aber wir kritisieren, bei den Gesprächen nicht auf Augenhöhe einbezogen zu werden. Wir liefern zwar wichtige Grundlagen sowohl für Minergie, etwa den Zusatz Eco, als auch für den Standard Nachhaltiges Bauen Schweiz, was die Bewertung der grauen Energie betrifft. Trotzdem sind wir nicht in die Entscheidung eingebunden, was damit geschieht. Wenn wir schon substanzielle Beiträge liefern, wäre eine partnerschaftliche Zusammenarbeit angebracht.

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Werden das Wissen und die institutionelle Verankerung des Vereins, in dem einige prominente Bauämter, etwa des Bundes und grosser Kantone und Städte vertreten sind, zu wenig respektiert?

Wir suchen seit zwei Jahren das Gespräch mit den Vertragspartnern der neuen Labelfamilie. Sie haben uns vertröstet und die Teilnahme in einer erweiterten Gruppe in Aussicht gestellt. Doch eine Einladung gab es seither nicht. Wir fordern deshalb eine institutionalisierte Zusammenarbeit mit der Dachorganisation oder zumindest mit den Vertragsparteien wie Minergie oder dem Netzwerk Nachhaltiges Bauen Schweiz.


Wurden Ihnen Gründe genannt, warum eine solche Zusammenarbeit nicht opportun ist?

Ein erster Eindruck ist: Man möchte die Sache nicht verkomplizieren. Nach dem Motto: Je weniger mitreden, umso einfacher wird es. Aber die Zukunft des Bauens ist komplex und darf nicht unterschätzt werden. Die graue Energie ist das zentrale Thema, das die Baubranche im Zusammenhang mit der Klimakrise beschäftigt. Unser Verein bewirtschaftet dieses Zukunftsthema schlechthin und steckt viel Know-how und Ressourcen hinein. Wir wollen weiterhin mit allen zusammenarbeiten, aber auf der Sachebene verbindlicher in die Labelfamilie integriert werden.


Besteht die Gefahr, dass die graue Energie in der künftigen Labellandschaft zu wenig Gewicht erhält?

Unser Verein möchte eine ganzheitliche Sicht auf die Ökologie und die Gesundheit beim Bauen beliebt machen. Es geht uns um nachhaltige Konstruktionen, um die Kreislaufwirtschaft oder auch um das Innenraumklima und die Beleuchtung. Diese Themen erscheinen uns zukunftsträchtig. Deshalb wünschen wir uns einen besseren und verbindlicheren Dialog darüber zwischen der Energieszene und den Baufachleuten.


Muss der staatliche Vollzug beim Klimaschutz eine andere Gewichtung im Baubereich zwischen der Energieeffizienz und der grauen Energie vornehmen?

Wir glauben, der thematische Fokus im Klimaschutz bedarf einer Erweiterung. Einige Kantone tun das bereits. So listen Zürich oder Genf die bekannten Kriterien für das nachhaltige Bauen in den revidierten Energiegesetzen umfassend auf. Die meisten Kantone fokussieren dagegen noch zu sehr auf das Energiethema und die Steigerung der Effizienz.


Bisweilen ist zu hören, das Klimaabkommen von Paris sei mit einer erneuerbaren Energieversorgung des Gebäudebereichs zu erreichen…?

Das, glaube ich, reicht nicht. Ebenso wenig wie die bisherigen Bemühungen für das Energieeffizienzmodell einfach fortzusetzen. Was sich ändern muss: Die graue Energie wird verbindlich reguliert werden müssen. Um die Klimakrise zu bewältigen, müssen wir zudem eine Breitenwirkung in der Baubranche erzielen. Der zur Regulierung des Energiebedarfs beliebte Top-down-Ansatz benötigt deshalb mehr Engagement von unten. Darum ist das jetzige Vorgehen mit einer Selektion der Labelpartner nicht gut. Wir können uns keine Grabenkämpfe leisten. Diese kosten nur unnötig Energie.


Sie sprechen an, dass der Verein ecobau nicht nur mit der öffentlichen Hand verbunden ist, sondern auch mit der Baustoffindustrie eng zusammenarbeitet…?

Ja, wir zertifizieren Bauprodukte. Genau diese Vermittlerrolle zwischen Politik und Privatwirtschaft möchten wir in die Labelfamilie einbringen. Das Anliegen haben wir dem Bundesamt für Energie bereits vorgebracht. Aber auch verwaltungsintern bedarf es eines Brückenschlags für das nachhaltige Bauen: Die Energieämter und die Baubehörden der Gemeinden und Kantone sollten besser zusammenarbeiten und lernen, sich gegenseitig besser zu verstehen.


Müssen die Kantone und der Bund also die Energiepolitik und die Klimapolitik stärker koordinieren?

Ganz genau. Inhalt und Vorgehen sind nicht in beiden Vollzugsthemen identisch. Bisher sprach man über Energie und forderte, weniger davon zu verschwenden. Der Schwerpunkt lag auf der Technik. Obwohl das Energiethema noch nicht durch ist, wenn man den grossen Sanierungsbedarf im Gebäudebestand betrachtet, verschiebt sich nun das Gewicht. Der Fokus richtet sich mit der grauen Energie auf Konstruktionstypen und die Materialisierung; das sind Kernaufgaben für Baufachleute. Die Klimadebatte bedarf einer umfassenderen Sicht beim Bauen. Die künftige Labelfamilie muss dies stärker berücksichtigen.

Friederike Pfromm ist Architektin TU, war Stadtbaumeisterin in Luzern und arbeitet als leitende Expertin bei Basler & Hofmann. Sie ist Präsidentin des Vereins ecobau. Zu den Mitgliedern gehören unter anderen das Bundesamt für Bauten und Logistik, die kantonalen Hochbauämter von Aargau, Bern, St. Gallen, Waadt und Zürich sowie Baufachämter aus Lausanne und der Stadt Zürich.

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