«Dür­fen wir Ge­bäu­de als daue­rhaf­te CO2-Sen­ke nu­tzen?»

TEC21 11/2022 widmete sich dem klimaneutralen Bauen. Ein Leserbrief von Axel Schubert, Dozent an der FHNW, begrüsst die Behandlung des Themas und bringt weitere Überlegungen ins Spiel.

Data di pubblicazione
03-05-2022

Der Beitrag «Eine Diät für fossil erzeugte Gebäude» in TEC21 11/2022 von Guillaume Habert bringt Schwung in den Diskurs um Netto-Null im Bauen. Das ist gut so! Sein Schwung fordert Zielsetzungen jenseits der Netto-Null-Strategie, die der Bundesrat und die Bundesämter bis 2050 umsetzen wollen, aber die sich nur an der oberen Grenze des Klimaabkommens von Paris orientiert. Gerne möchte ich die Ausführungen in diesem Aufsatz aber um drei kritische Aspekte ergänzen und Fragen dazu stellen:

Erstens: Die Gesellschaft und die Baubranche haben 30 Jahre verdrängt und politisch verschlafen, die richtigen Pfade einzuschlagen. Das CO2-Budget der Schweiz, das eine Klimaerwärmung bei maximal 1.5 °C beschränkt, ist – gemäss eigenen Berechnungen – seit April 2019 aufgebraucht. Sogar gemäss dem 1.5 °C-Referenzszenario des Weltklimarats werden wir mit einem solchen «overshoot» leben. Wir halten das Netto-Null-Ziel bis 2040 für sehr ehrgeizig; doch es ist zu spät. Wenn wir heute dabei sind, Prozesse dafür aufzugleisen: Halten wir diese für ehrgeizig und innovativ? Und dürfen wir uns dabei wohl fühlen? Es erinnert ein wenig an Eva Illouz, die Ideologie als etwas kritisiert, «das uns mit Vergnügen im Innern von Widersprüchen leben lässt».

Zweitens: «Die CO2-Emissionen sind bis 2040 auf null zu senken.» Diese Aussage legt ein Brutto-Null-Ziel nahe. Das wird nicht möglich sein aufgrund der Emissionen aus der Landwirtschaft, aber wohl auch beim Bauen: Betonfundamente von Windrädern isolieren wir zum Beispiel nicht mit Stroh. Auch der Zielhorizont 2040 wird nur mit Netto-Null erreichbar sein. Richtig ist zwar, dass wir uns so weit möglich der Brutto-Null annähern müssen. Doch hat die Gesellschaft heute die Frage zu diskutieren, welche Kompensationen akzeptabel sind. Und welche finanziellen Mittel dafür reserviert werden sollen. Soll zudem jedes Gebäude für sich als Null-Emissionsbau wirken? Oder soll das Bauen eher zur Kompensation von CO2-Emissionen beitragen? Kann das Bauen – unter Verwendung von biogenen Rohstoffen – überhaupt einen dauerhaften Beitrag zu negativen Emissionen leisten? Besitzen wir nicht noch bessere Möglichkeiten, als unser Problem mit den Treibhausgasen ausgerechnet «wegzubauen»?

Drittens: Sollen und dürfen wir Gebäude als dauerhafte CO2-Senke nutzen? Das Nullemissionsprinzip beim Bauen funktioniert nur dann, wenn am Lebensende von Gebäuden oder Bauteilen der darin chemisch gebundene Kohlenstoff dauerhaft der Atmosphäre entzogen bleibt. Wie kann das gelingen? Wie stellen wir sicher, dass die verbauten Strohballen für die nächsten 20 Generationen Stroh bleiben? Und nicht verbrannt werden, respektive kein CO2 daraus jemals in die Atmosphäre gelangt? Als Verpflichtung muss das heute regulatorisch gesichert sein, sonst sind Bauten als Senke nichts mehr als eine gigantische Hypothek für kommende Generationen.

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