Ni­cht der Pre­is, son­dern die Nach­hal­ti­g­keit zä­hlt!

In einem trinationalen Format tauschten sich Vertreterinnen und Vertreter aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zu den Chancen und Perspektiven des neuen Schweizer Beschaffungsrechts aus. Fazit: Der Weg in die Praxis ist lang, die Richtung stimmt aber.

Data di pubblicazione
15-11-2022

Es ist mittlerweile allseits bekannt: Seit Inkrafttreten des revidierten Bundesgesetzes über das öffentliche Beschaffungswesen (BöB) am 1. Januar 2021 erhält bei Beschaffungen im entsprechenden Geltungsbereich das «vorteilhafteste Angebot» den Zuschlag. Davor war es das «wirtschaftlich günstigste Angebot». Das revidierte Gesetz umfasst aber viel mehr als bloss diese eine Änderung eines Artikels: Es bezweckt übergeordnet «den wirtschaftlichen und den volkswirtschaftlich, ökologisch und sozial nachhaltigen Einsatz der öffentlichen Mittel». Damit wird im Gegensatz zum rund 25 Jahre in Kraft gewesenen Vorgängergesetzes neu den ökologischen und gesellschaftlichen Dimensionen der Nachhaltigkeit Rechnung getragen.

Klar schlossen auch das Vorgängergesetz und insbesondere deren nachgeordnete Erlasse nicht aus, solche Aspekte bei der Vergabe eines öffentlichen Auftrags zu berücksichtigen und angemessen zu gewichten – jedoch suchte man beispielsweise bis zur Revision das Wort «Nachhaltigkeit» im Gesetzestext vergeblich. Nun schreibt das Gesetz explizit vor, neben dem Preis und der Qualität einer Leistung unter anderem Zuschlagskriterien wie die Nachhaltigkeit zu berücksichtigen.

Eine Gruppierung, die sich stark für diesen Wandel einsetzte, ist die Allianz für ein fortschrittliches öffentliches Beschaffungswesen (AföB): Ein Zusammenschluss von Verbänden und Organisationen, deren Mitglieder intellektuelle Dienstleistungen an öffentliche Auftraggeber anbieten – darunter der Schweizerische Ingenieur- und Architektenverein (SIA), die Schweizerische Vereinigung Beratender Ingenieurunternehmungen (USIC) und der Bund Schweizer Architekten (BSA). Dank ihrer politischen Tätigkeit gelang es der AföB, viele der Anliegen ihrer Mitgliedsverbände erfolgreich in die parlamentarische Debatte zur BöB-Revision einzubringen. Nach Annahme des revidierten Gesetzes durch die Eidgenössischen Räte prophezeite sie nicht weniger als einen «Paradigmenwechsel» und die Mitgliedsverbände stimmten zu einem Kanon an.

Doch jede Ambition ist immer nur so gut wie deren Umsetzung. Oder anders gesagt: Seit der Gesetzesrevision liegt der Ball bei den einzelnen Beschaffungsstellen, den Kulturwandel tatsächlich herbeizuführen und den enormen Hebel im Dienst der Nachhaltigkeit anzusetzen. Denn abgestimmt auf die BöB-Revision wurde ebenfalls die Interkantonale Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungswesen revidiert (IVöB 2019), was zu einer zuvor nicht dagewesenen Harmonisierung des Beschaffungswesens über alle föderalistischen Stufen führt. Mit Stand Ende Oktober 2022 ist in den meisten Kantonen die IVöB 2019 bereits in Kraft oder entsprechende Beitrittsverfahren sind am Laufen.

Grenzüberschreitende Wahrnehmung

Knapp zwei Jahre nach Bestehen des neuen Gesetzes auf Bundesebene und dem fortschreitenden Beitritt der Kantone zur IVöB liegt es also auf der Hand, die Entwicklungen im verkündeten Wandel zu beobachten und erste Erfahrungen auszutauschen. Und da mit der BöB-Revision als eines der Hauptziele das aktuelle WTO-Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen (GPA 2012) übernommen wurde, bietet sich zudem ein länderübergreifender Austausch an. Folglich wählte jüngst das deutsche Netzwerk Architekturexport (NAX) und die Sektion international des SIA das revidierte Schweizer Vergaberecht als Thema für seine regelmässig stattfindenden, trinationalen (D-A-CH) Kolloquien. Unter Schweizer Schirmherrschaft des SIA bot die Veranstaltung verschiedenen Referenten eine Bühne, um die neue Vergabepraxis aus deren jeweiliger Perspektive zu beleuchten.

Bundesverwaltungsrichter Marc Steiner machte den Auftakt und führte zahlreiche Argumente ins Feld, weshalb der neue Rechtsrahmen tatsächlich einem Paradigmenwechsel gleichkommt und dieser zusammen mit den Zielen der Kreislaufwirtschaft die Klimapolitik bedeutend vorantreiben kann. Julius Scholz als Leiter Hochbau der Stadt Baden erinnerte in seinem Vortrag an die Notwendigkeit entsprechender Bestellerkompetenzen bei den Auftraggebern. Cristina Schaffner (Direktorin Bauenschweiz) verwies auf die Verbindlichkeit der Gesetzesänderung und das gleichzeitige Erfordernis, seitens Anbieter die geforderten Werte (Qualität und Nachhaltigkeit) auch anzubieten.

Ihr Referat leitete nahtlos über zum Beitrag von Laurens Abu-Talib (Geschäftsführer Politaris). Im Auftrag von Bauenschweiz sammelt er systematisch Daten von Beschaffungen der öffentlichen Hand, um sie vor dem Hintergrund der BöB-Revision auf Anzeichen für einen nachweislichen Kulturwandel im Beschaffungswesen zu untersuchen – der erste Bericht zu diesem Monitoring soll demnächst auf der Website von Bauenschweiz veröffentlicht werden. Laurindo Lietha (Verantwortlicher Vergabewesen SIA) stellte schliesslich die neue Ordnung für Planerwahlverfahren vor, die die frühere Ordnung für Ingenieur- und Architekturleistungsofferten ablöst und einen BöB-konformen Qualitätsstandard für die leistungsorientierten Beschaffung setzt. Ganz im Sinn eines Kolloquiums gab es zu den Beiträgen aus der Schweiz jeweils ein Feedback der Partner aus Deutschland und Österreich und zum Schluss eine interessante Diskussion.

Ernste Absichten fordern Mut

Der Austausch im Kolloquium war sehr erfrischend. Verglichen mit den Diskussionen in der Gesetzesvernehmlassung scheint nun wahrhaftig der Nachhaltigkeitsgedanke als grösste Chance wahrgenommen zu werden. Denn in der politischen Diskussion drehte sich noch vieles um den Preis; auch drei von vier Einzelanträgen der AföB nahmen direkten oder indirekten Bezug zur Preisbewertung bei Vergabeverfahren. Als einer der Erfolge wurde beispielsweise die neu zwingende Prüfung von Tiefpreisangeboten in der Branche gefeiert. Nicht ganz unberechtigt war demnach zu befürchten, der Nachhaltigkeitsgedanke diene nur als Feigenblatt, um eine Überhitzung des Preiskampfs zu verhindern. Wie sich nun aber zeigt, wird das revidierte Gesetz auch als probates Mittel wahrgenommen, um die Überhitzung unseres Planeten zumindest zu verlangsamen.

Gewiss: Revidierte Gesetze brauchen erstens Zeit, bis sie flächendeckend Auswirkung zeigen, und zweitens ein gewisses Mass an Rechtsprechung, damit sie im Sinn des Gesetzgebers ausgelegt werden. Der gesetzliche Rahmen und die eingeschlagene Richtung stimmen also, nur das Tempo und die legale Kreativität der Beschaffungsstellen dürften noch ein wenig zulegen.

Ein von Bauenschweiz initiiertes und von den Mitgliedverbänden unterstütztes Vergabemonitoring misst die Umsetzung des Kulturwandels im Vergabewesen anhand einer datenbasierten Analyse von Beschaffungsdaten auf der Ausschreibeplattform simap.ch.

 

Der erste Vergabemonitor (3. Quartal 2022) ist online verfügbar unter: www.bauenschweiz.ch/de/vergabemonitor

 

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