Der Verzicht auf den Abriss führt zum Umgang mit dem Bestand
FEB-Preis 2022
Schilder mit dem Aufdruck «Wir bauen für Sie» sieht man oft an Baustellen. Tafeln mit «Wir bewahren für Sie» gibt es kaum. Was schade ist, sind doch bestehende Bauten immer auch gebaute Werte. Die Fachgruppe für die Erhaltung von Bauwerken FEB des SIA vergibt daher einen Preis für den vorbildlichen Umgang mit dem Bestand.
Der seit 2005 alljährlich vergebene FEB-Preis erfreut sich regen Zuspruchs. 68 studentische Arbeiten von schweizerischen und liechtensteinischen Hochschulen buhlten 2022 um einen Preis oder eine Anerkennung. Gemessen an der vorhandenen Bausubstanz oder an der Zahl der Studierenden dürfte die Anzahl dieser Arbeiten gerne noch grösser ausfallen, bedeutet ein Umgang mit dem Bestand doch immer auch eine Anerkennung und Wertschätzung früherer Werke. Diese Einstellung zeigte sich auch in den ausgezeichneten Arbeiten.
Rechnen statt abreissen
Allein wegen der hohen Anzahl von Strassenbrücken entstehen durch deren Instandsetzung beträchtliche Kosten. Insofern beschäftigt sich Remo Dudler (FH OST) mit einem topaktuellen und auch zukünftig wiederkehrenden Thema. Für eine Strassenbrücke von 1965 im Aargau schätzte er die Restlebensdauer rechnerisch ab. Als Grundlage dienten ihm unter anderem Messungen, Betonüberdeckungen der Bewehrung, am Bauwerk aktualisierte Materialkennwerte und die Aufnahme von bereits vorhandenen Schäden wie Rissen oder Betonabplatzungen.
Mit diesen Daten berechnete er die Statik des Istzustands der Baute. In einem weiteren Schritt simulierte er aufgrund vorhandener Chloridprofile die zu erwartenden Korrosionsschäden in der Fahrbahnplatte. Nach 130 Jahren wäre der Biegenachweis nicht mehr erfüllt. Daher schlägt er geeignete Erhaltungsmassnahmen für die Brücke vor. Solche rechnerischen Simulationen bilden ein wichtiges Beurteilungswerkzeug, um die optimalen Mittel und Zeitpunkte für Instandsetzungsmassnahmen wählen zu können und die Einsatzdauer eines Bauwerks möglichst auszudehnen.
Tanzen statt aufbereiten
Wo früher nur erzhaltige Steine auf den Förderbändern tanzten, bewegen sich zukünftig vielleicht ganze Tanzensembles. Die ehemalige Erzaufbereitungsanlage des Gonzenbergwerks von 1940 in Sargans könnte sich zu einer überregionalen Tanzausbildungsstätte wandeln, wenn es nach den Plänen von Darja Allenspach und Madleina Fischer von der ETH Zürich geht.
Hierfür nahmen sie sich des geschützten Stahlskelettbaus mit Backsteinausfachungen an. Das Gros der Bausubstanz des hohen, schmalen Gebäudes bleibt dabei erhalten. Im Erdgeschoss entstehen öffentliche Einrichtungen, etwa ein Restaurant, darüber kommen Wohnstätten und Klassenräume für die Studierenden. Sie werden als eigenständige, gedämmte Kuben in die Baute eingefügt. Die oberste Ebene nimmt vier hintereinandergeschaltete, grosszügige Räume auf, die Tanzaufführungen und Konferenzen dienen. Hier bleibt das Tragwerk mit seinen Polonceau-Trägern sichtbar. Allerdings dünnen die Projektverfasserinnen die Struktur aus und entfernen etwa störende Träger. Ein neues, ausgeklügeltes Tragsystem, das aussen am Gebäude angebracht ist, leitet die Lasten in den Untergrund.
Start-up folgt Zement
Licht, Holz und Pflanzen – das sind die Hauptbausteine, mit denen Daniel Gass das ehemalige Zementwerk in Liesberg seiner neuen Nutzung als Arbeits- und Wohnstätte eines Start-up-Unternehmens zuführt. Transparente Polycarbonatplatten ersetzen die Welleternitfassade und bringen Tageslicht in den 150 Meter langen Bau. Die eigentlichen Räume werden in Holzbauweise in das Gebäude eingefügt, wobei der Verfasser vorhandene Einbauten wie Silos berücksichtigt und die Halle dadurch abwechslungsreich erlebbar macht.
Ein mehrgeschossiger Erschliessungssteg für die möbelartigen, hölzernen Einbauten erinnert an eine ehemalige Förderanlage der Fabrik. Das Erdgeschoss macht zukünftig seinem Namen alle Ehre – der Betonboden wird abgebaut, und zur Entgiftung des kontaminierten Bodens sieht Daniel Gass (FHNW) eine Bepflanzung vor. Ein Neubau auf der anderen Seite des Flusses Birs ergänzt den Bestand: Hier entsteht ein Wasserstoffspeicher, um den Strom aus der Photovoltaikanlage auf der ehemaligen Abfalldeponie speichern zu können.
Einst Heu, jetzt Wohnen
Den Bestand neu nutzen und dabei Wert auf Nachhaltigkeit der Ausbauten legen, diesem Thema widmet sich Thomas Papritz von der ZHAW. Für den Dorfkern von Stadel (Winterthur) baut er zwei ehemalige Ökonomiegebäude um und platziert einen Neubau daneben. Dabei verwendet er Holz, vor allem für die Fassaden, und Stahl, vorwiegend für Tragstrukturen, was eine spätere Anpassung beziehungsweise Wiederverwendung erleichtert. Durch konstruktive Kniffe erreicht er eine feingliedrige, bewusst einfach wirkende Gestaltung seiner Gebäude. Seinem Entwurf liegt dabei eine fundierte Analyse der ortsbaulichen Qualitäten, der Siedlungsstruktur und der Baugeschichte zugrunde.
Vom Schuh zum Austausch
Ziel war es, aus einem unbenutzten historischen Gebäude einen Treffpunkt zum Austausch über zukünftiges Bauen in der Kulturregion zu machen. Florian Heeb von der Universität Liechtenstein wählt hierfür äusserst passend das Schuhmacherhaus von 1930 im liechtensteinischen Eschen. Durch eine genaue Erfassung und Katalogisierung des Bestands schafft er eine lehrreiche Gesamtschau der vorhandenen architektonischen Elemente. Durch eine Neuorganisation der Erschliessung am Übergang vom ältesten Teil des Hauses zum ebenfalls bereits historischen Anbau gelingt es, nicht nur den Vorplatz mit dem Garten zu verbinden, sondern auch das Gebäude an der Schnittstelle von Industrie und Feldern neu zu begreifen.
Miteinander kochen
Ein Rezept für einen Umbau der Zürcher Stadtküche am Sihlquai arbeiten Severin Jann, Blanka Dominika Major und Valentin Ribi (ETH Zürich) aus. Lieferte die frühere Stadtküche Tausende Mahlzeiten an städtische Einrichtungen, könnte das Gebäude zukünftig als öffentlich zugänglicher Raum dienen, in dem gemeinschaftlich organisierte Prozesse des Kochens und des Miteinanders wieder Platz finden – eine Werkstatt rund ums Kochen.
Dabei bewahren die Verfassenden das Tragwerk, entfernen aber Strukturen, sodass zwei Vollgeschosse und das Untergeschoss zur Verfügung stehen. Im UG werden vor allem die logistischen Abläufe stattfinden, die oberen Geschosse nehmen die Küche, Aufenthaltsräume und Notunterkünfte auf. Das Ganze wird von einem neuen Turmaufbau gekrönt, der die neue «Kochstatt» für die Stadt sichtbar machen soll. Schöne Visualisierungen und ein Film zur Arbeit machen «gluschtig» auf das Projekt.
Agieren statt parkieren
Der Transformation der Postgarage in Brig – einer Einstellhalle für Postautos – zu einem Gebäudekomplex mit diversen Ateliers, Coworking-Spaces und Ausstellungsflächen verschreiben sich Robin Gugger und Léa Guillotin (EPFL). Aus der Tiefgaragenrampe entsteht ein Patio, wodurch Tageslicht ins Untergeschoss gelangt. Frühere Reparaturwerkstätten und die Waschanlage werden zu Künstlerateliers, und im Erdgeschoss nimmt ein Einbau ein Auditorium, Sanitäranlagen und eine Küche auf. Das Gesamtkonzept beruht auf Umbauten, die komplett innerhalb des Bestands stattfinden. Hierfür müssen die Verfassenden allerdings das Gebäude mit einer Aussendämmung versehen.
FEB-Preis 2023
Die Fachgruppe für die Erhaltung von Bauwerken (FEB) zeichnet studentische Arbeiten aus, die den Umgang mit bestehenden Bauwerken sowie deren Erhaltung vorbildlich behandeln. Eingaben für den FEB-Preis 2023 können bis Mittwoch, den 12. Februar 2023 eingereicht werden.
Infos dazu gibt es hier.