Die Botschafterin der Schweizer Architekten und Architektinnen wird 30
Die Schweizer Konferenz der Architekten und Architektinnen CSA feiert ihr 30-jähriges Jubiläum. Diese in der Branche eher unbekannte Organisation spielt jedoch eine wertvolle Rolle, indem sie die Interessen der drei Architektenverbände SIA, BSA und FSAI international vertritt, nämlich im Architects’ Council of Europe ACE auf europäischer Ebene sowie weltweit in der International Union of Architects UIA.
Pierre-Henri Schmutz, Sie sind Mitbegründer der Konferenz Schweizer Architektinnen und Architekten CSA und haben das Land von 1992 bis 2015 in den Anfängen des Architects’ Council of Europe ACE vertreten. Was war vor 30 Jahren die Motivation für die Gründung der CSA?
Pierre-Henri Schmutz: Nach der Ablehnung des EWR-Abkommens in einem Referendum am 6. Dezember 1992 legte die Schweiz die Verhandlungen über den Beitritt zur Europäischen Union auf Eis, ohne ihre Kandidatur formell zurückzuziehen. Schweizer Architekten und Ingenieure waren für ihre Fähigkeiten bekannt und wurden oft umworben. Deshalb interessierten wir uns dafür, wie die Bedingungen für Schweizer Architekten und Ingenieure in diesem grossen «freien Marktraum», zu dem wir keinen Zugang haben würden, aussehen könnten. Als Delegierte der Schweizer Sektion der International Union of Architects UIA seitens des Schweizerischen ingenieur- und Architektenvereins SIA, des Bunds Schweizer Architektinnen und Architekten BSA und des Verbands freierwerbender Schweizer Architekten FSAI im Schweizer Vorstand der UIA traten wir an den ACE heran, um diesen historischen Moment nicht zu verpassen. Wir ahnten, dass für den Zugang von Schweizer Architekten und Ingenieuren zur Welt eine neue Seite aufgeschlagen wurde. Wir baten die Präsidenten der Verbände BSA, FSAI, SIA und REG, die sich bereits regelmässig trafen, um Unterstützung. Es war nicht schwer, sie davon zu überzeugen, eine gemeinsame Plattform für internationale Themen zu schaffen.
Können Sie uns ein Beispiel für den Einfluss der Schweiz im ACE geben?
Pierre-Henri Schmutz: In diesem Zusammenhang sei nur erwähnt, dass bei der Erweiterung der EU von 15 auf 25 Mitglieder die Satzung und die Geschäftsordnung neu gefasst werden mussten und ich als Co-Vorsitzender des für diese Aufgabe zuständigen Ausschusses zwei Ziele verfolgte: Erstens den Zugang von Delegierten aus kleinen Ländern zu allen Funktionen des ACE einschliesslich des Exekutivbüros und des Vorsitzes zu sichern und zweitens ein de-facto-Veto zu verhindern, das mit der Grösse und damit der Stimmenzahl eines grossen Landes verbunden ist. Ich habe daher das Prinzip der doppelten Mehrheit bei Abstimmungen vorgeschlagen und angewandt, um diese beiden Prinzipien zu gewährleisten. Der ACE ist somit der «schweizerischste» europäische Verband!
Welche Rolle spielte die CSA in der europäischen Organisation auf der Ebene des Schweizer Registers?
Pierre-Henri Schmutz: Für die REG-Stiftung ist das Vermächtnis wesentlich, da ihre Umstrukturierung von 2006 bis 2014 auf formulierten Hypothesen und durchgeführten Arbeiten im ACE beruht, die sich zum einen auf die Anerkennung und zum anderen auf die Berufsausübung beziehen. Hervorgegangen aus den Fragen, die durch die Globalisierung und die Entwicklung der EU aufgeworfen wurden, und aus der 1992 gestellten Frage nach den (neuen) Bedingungen für die Berufsausübung in diesem «Raum des freien Markts», sind diese Grundsätze für die Validierung von Kenntnissen und Fähigkeiten ein Modell für Transparenz, um Fairness, Vielfalt und Integration zu gewährleisten. Sie entsprechen damit nicht nur der Art und Weise, wie Grenzen überbrückt werden, sondern bieten eine universelle Antwort. Die Präsenz der REG-Stiftung in der CSA ist daher historisch und steht im Einklang mit dem Wunsch der Schweizer Organisationen, die Anerkennung auf Kompetenzen zu gründen.
Regina Gonthier, Sie sind die Präsidentin der CSA, könnten Sie uns deren Funktionsweise erklären?
Regina Gonthier: Die CSA ist rechtlich als unabhängiger Verband organisiert, sieht sich aber nur als gemeinsames Organ der drei Mitgliedverbände SIA, BSA und FSAI. Als Dachorganisation verfolgt die CSA daher keine eigenständige Politik, sondern koordiniert lediglich die Meinungen und handelt im Sinne der Verbände. Sie ist als Präsidentenkonferenz konzipiert und arbeitet nach dem Prinzip der Parität, wobei das oberste Organ die Versammlung der Vertreter/innen der Mitgliedverbände ist – die Präsident/innen plus ein/e weitere/r Delegierte/r aus jedem Verband. Seit seiner Gründung 1992/93 war man sich darüber im Klaren, dass die Präsidentinnen und Präsidenten aus zeitlichen Gründen nicht in der Lage sein würden, die Vertretung in internationalen Gremien persönlich zu übernehmen. Diese Aufgabe wurde dem Vorstand der CSA übertragen. Die Vertretung in der UIA und im ACE wird von denselben Personen wahrgenommen – ein Modell, das sich in vielen Ländern bewährt und durchgesetzt hat. Es vereinfacht die Koordination und erhöht die Effizienz, da viele Themen in beiden Organisationen behandelt werden.
Was sind die primären Ziele der CSA?
Regina Gonthier: Die Interessen der Schweizer Architekten und Architektinnen im ACE und in der UIA zu vertreten und aktuelle berufliche Fragen auf nationaler und internationaler Ebene zu behandeln.
Zu welchen Themen haben Sie sich in der UIA und im ACE engagiert?
Regina Gonthier: Mit ihren begrenzten Mitteln und Kapazitäten konnte die CSA innerhalb der UIA nur ihre Kernthemen verfolgen: Ausbildung, Berufspraxis und Wettbewerbe – nicht ohne Unterbrechungen und mit schwankender Intensität. Diese Themen wurden in jüngster Zeit durch die Ziele für nachhaltige Entwicklung ergänzt – Stichwort Sustainable Development Goals. Im ACE verfolgte die CSA-Vertretung neben dem öffentlichen Beschaffungswesen die Themen Titelanerkennung und Marktzugang, Fragen der Reziprozität sowie Qualitätsanforderungen für Ausbildung und Dienstleistungen. Zusammen mit unserer kürzlich verstorbenen Kollegin Sibylle Bucher als Co-Vorsitzende der Arbeitsgruppe Wettbewerbe und öffentliches Beschaffungswesen im ACE (2018 bis 2021) und mir als Co-Direktorin der Kommission für internationale Wettbewerbe (ICC) in der UIA konnten wir die Wettbewerbspraxis auf europäischer und globaler Ebene beeinflussen. Man kann also rückblickend sagen, dass die 30-jährige Geschichte der CSA dem Wettbewerb Priorität eingeräumt hat, was auch auf die besonderen Fähigkeiten der Vorstandsmitglieder zurückzuführen ist.
Welche Rolle spielt die Vertretung im Ausland und welche Vorteile hat der Berufstand oder im weiteren Sinne die Gesellschaft davon?
Regina Gonthier: Die CSA spielt im Ausland die Rolle einer vielseitigen Botschafterin: Einerseits hat sie eine Repräsentationsfunktion, sie pflegt den internationalen Austausch und trägt zur internationalen Solidarität bei. Andererseits hat sie eine Signalfunktion, sie fungiert als Antenne, die meldet, was im Ausland Interessantes passiert, und welche Gesetze oder Standards auf uns zukommen werden. So profitiert sie von den Erfahrungen und Lösungen anderer Länder und kann auf nationaler Ebene Alarm schlagen, um rechtzeitig Massnahmen zu ergreifen. Ein Beispiel dafür ist die berufliche Weiterbildung, die in der Schweiz bald vorgeschrieben sein wird. Manchmal berichtet die Auslandsvertretung von inspirierenden Beispielen aus der Praxis wie z.B. Veröffentlichungen zum Thema «Architektur und Kinder» aus Irland und Finnland Mitte der 1990er-Jahre, die – neben anderen Faktoren – dazu beigetragen haben, dass sich der BSA dem Thema angenommen hat.
Können Sie einige konkrete Beispiele für die Erfolge der CSA nennen?
Regina Gonthier: Im besten Fall können die Vertreterinnen und Vertreter der CSA Einfluss nehmen, zum Beispiel auf die EU-Gesetzgebung – durch die Mitarbeit im ACE – oder auf internationale Standards – durch die Mitgliedschaft in der UIA. Die Ergebnisse sind jedoch selten sichtbar und greifbar. Der Beitrag besteht meistens darin, etwas verhindert oder eine Richtung beeinflusst zu haben. Auch wird selten etwas Spektakuläres erreicht und publik gemacht. Dennoch ist das Besetzen von Schlüsselpositionen in diesen internationalen Organisationen eine Voraussetzung, um Einfluss ausüben zu können. Ein grosser Erfolg war der UIA-Leitfaden für Wettbewerbe, der die weltweit führenden UNESCO-Regeln für Architektur- und Städtebauwettbewerbe zeitgemäss interpretiert und Best-Practice-Empfehlungen im Einklang mit der Schweizer Tradition propagiert hat. Die ICC hat auch die Vereinbarkeit der UNESCO-Regeln mit dem europäischen Vergaberecht nachgewiesen und die Europäische Kommission und das Europäische Parlament bei der Organisation ihrer eigenen Wettbewerbe beraten. Der Einfluss geht in beide Richtungen, vom Ausland in die Schweiz und umgekehrt.
Dieter Geissbühler, Sie waren an der Gründung der CSA in 1992 beteiligt und haben die Schweiz von 1993 bis 2011 aktiv in der UIA vertreten. Können Sie uns einige der grundlegenden und wichtigen Ereignisse für die CSA nennen?
Dieter Geissbühler: Neben den berufspolitischen Aktivitäten im Rahmen der EU war es vor allem die internationale Vernetzung, für die sich die Schweizer Architekten in der UIA zu engagieren begannen. An der Generalversammlung 1999 in Peking wurde die Schweiz in den Vorstand der UIA gewählt und konnte sich so direkt in die internationalen Diskussionen einbringen. Dann waren da die dringenden Fragen der Ausarbeitung des Gesetzesentwurfs für Architekten auf nationaler Ebene und auf internationaler Ebene, die UIA-UNESCO-Charta, die die Ausbildungsstandards definiert, insbesondere die Mindestdauer der Ausbildung von fünf Jahren für den Berufstitel des Architekten. Dieser letzte Punkt war insbesondere für mich als unterrichtender Architekt ein spannendes Thema. Wir konnten aber auch einen wichtigen Beitrag zur berufspolitischen Zusammenarbeit leisten, indem wir 1998 in Lausanne das 50-jährige Bestehen der UIA feierten.
Lorenz Bräker, Sie sind Präsident der Schweizer Sektion der UIA und waren von 2017 bis 2021 deren Vizepräsident. Wie würden Sie die Rolle der Schweiz innerhalb der UIA beschreiben? Hat die Tatsache, dass sich der Sitz der UN/ECOSOC in Genf befindet, einen Einfluss auf diese Rolle?
Lorenz Bräker: Abgesehen von der Tatsache, dass die UIA 1948 in der Schweiz gegründet wurde und unser Land oft als Musterbeispiel für Demokratie, Stabilität und Erfolg genannt wird, hat die Schweiz keinen besonderen Status innerhalb dieser Organisation. Das Ansehen und die Rolle in der UIA werden von den Mitgliedssektionen durch ihr Engagement und die Themen, die sie aufgreifen, aber vor allem durch die Seriosität ihrer Vertreterinnen und Vertreter erworben. Die Schweiz hatte bei der Gründung und in den Folgejahren (Jean Tschumi), in den 1970er-Jahren (Charles-Edouard Geisendorf) und erneut im letzten Jahrzehnt mit Regina Gonthier und mir führende Positionen in dieser NGO inne. Doch obwohl die UIA immer mehr Schweizer Präsenz fordert, scheitern die jeweiligen Engagements meist nicht am Mangel an geeigneten Kandidaten und Kandidatinnen, sondern an der entsprechenden Finanzierung. Dasselbe gilt für die Vertretung der UIA bei den Vereinten Nationen, die aus praktischen Gründen von Schweizern wahrgenommen werden sollte. Diese Präsenz ist besonders notwendig in einer Zeit, in der beide Organisationen nicht nur mit grundlegenden Fragen wie der Agenda 2030/2050, sondern auch mit unerlässlichen Reformen ihrer eigenen Einrichtungen konfrontiert sind.
Jürg Spreyermann, Sie sind Leiter der Schweizer Vertretung im ACE und Kassier der CSA. Können Sie beschreiben, welche Rolle die Schweiz im ACE spielt und was trotz der politischen Spannungen zwischen der EU und der Schweiz erreicht werden konnte?
Jürg Spreyermann: Auch wenn die Schweiz heute im ACE nicht mehr die gleiche Rolle spielt wie zu Zeiten von Pierre-Henri Schmutz im Exekutivkomitee mit einer direkten Verbindung zum CSA, so haben wir heute auch als einfaches Mitglied weiterhin eine wesentliche Funktion in der Übermittlung von wichtigen Informationen für unsere Verbände: Der ACE steht in direktem und permanentem Kontakt mit der Europäischen Kommission und damit mit Themen, die zwangsläufig in der politischen Agenda der Schweiz auftauchen werden. Zudem ist es sehr wohl möglich, von dieser Position aus die Führung bei Themen wie Wettbewerben oder Baukultur zu übernehmen, sofern kompetente Personen in die jeweiligen Arbeitsgruppen delegiert werden können.
Wie wird die CSA finanziert und was ist die Besonderheit des Schweizer Finanzierungsmodells?
Jürg Spreyermann: Dies ist etwas problematisch: Die CSA wird ausschliesslich von ihren drei Mitgliedsverbänden (SIA, BSA und FSAI) finanziert. Die Hälfte des CSA-Budgets, das bereits eine erhebliche Belastung für das Budget der Mitglieder darstellt, sind jedoch die Beiträge an die beiden Organisationen ACE und UIA. Es bleibt also wenig Spielraum, um die Kosten für eine minimale Präsenz der Schweizer Vertretung zu decken. Unter diesen Umständen überschreitet die Besetzung von Schlüsselpositionen in den internationalen Organisationen eindeutig die Grenzen des Milizsystems und stellt die Präsenz der Schweiz in diesen Organisationen und damit die Möglichkeit, dort Botschafterfunktionen zu übernehmen, in Frage.
Last but not least, Doris Wälchli, Sie sind seit einem Jahr im Vorstand der CSA und gehören als stellvertretendes Mitglied dem UIA Rat an. Wie beurteilen Sie die Bedingungen und Perspektiven dieses internationalen Engagements?
Doris Wälchli: Nach einem Jahr kann ich feststellen, dass die Position der Schweiz sowohl im ACE als auch in der UIA wahrgenommen und respektiert wird. Unser Einfluss ist auch als «kleines Land» beachtlich, und in Zukunft wird es darum gehen, dieses Wohlwollen der anderen Länder aufrecht zu erhalten, um die Interessen unseres Berufes weiterhin zu verteidigen und sich generell für die Qualität der bebauten Umwelt einzusetzen. Ein Beispiel dafür sind die Diskussionen über die Baukultur, ein Thema, das von der Schweiz auf die europäische Ebene gebracht wurde, insbesondere durch die Erklärung von Davos. Dieser Begriff wird heute von der EU in ihrem Programm New European Bauhaus aufgegriffen.
Der ACE hat soeben eine diesbezügliche Arbeitsgruppe gegründet, in der wir uns engagieren werden. Im gleichen Sinne initiieren wir eine gemeinsame Intervention zwischen dem ACE und der Westeuropäischen Region der UIA, um den Begriff der Baukultur auf eine internationale Ebene zu bringen. Wie in der Diplomatie ist auch das Engagement in der internationalen Berufspolitik eine langwierige – und nicht unbedingt sichtbare – Aufgabe. Nach einem Jahr wird mir klar, dass es jahrelanger Erfahrung bedarf, um die Feinheiten der Funktionsweise beider Organisationen zu erfassen und die notwendigen Verbindungen zu schaffen, um effektiv agieren zu können. Dieser internationale Austausch ist unerlässlich, um auf dem Laufenden zu bleiben und Entscheidungen bezüglich unserer Berufspraxis zu beeinflussen.
Die Gesprächspartner
Lorenz Bräker ist Architekt in Lausanne und seit 2011 Mitglied des CSA-Vorstands sowie Präsident der Schweizer Sektion der UIA.
Dieter Geissbühler ist Architekt und Professor an der Hochschule Luzern, Gründungsmitglied und Vorstandsmitglied der CSA 1992 bis 2012.
Regina Gonthier ist Architektin in Bern und Gründungsmitglied sowie seit 2006 Präsidentin der CSA, Mitglied des UIA-Rats 2021 bis 2023.
Pierre-Henri Schmutz ist Architekt in Nidau, Gründungsmitglied und Präsident der CSA zwischen 1998 bis 2006, Direktor des REG, Stiftung der Schweizerischen Berufsregister seit 2006.
Jürg Speyermann ist Architekt in Zürich und seit 2010 Mitglied des CSA-Vorstands sowie Leiter der Delegation im ACE.
Doris Wälchli ist Architektin in Lausanne und seit 2021 Mitglied der CSA.
Weiterführende Links
Schweizer Konferenz der Architektinnen und Architekten CSA: https://csa-architects.swiss
Architects' Council of Europe: https://www.ace-cae.eu
International Union of Architects: https://www.uia-architectes.org/en