Stählerne Himmel
St. Galler Kantonalbank Halle
Knoten und Streben aus Stahl – das sind die Gemeinsamkeiten der Dächer der St. Galler Kantonalbank Halle und des BSS-Gebäudes der ETH Zürich in Basel. Während in St. Gallen ein weltweit bekanntes System zum Einsatz kam, zog die neuartige Konstruktion in Basel ein Patent nach sich.
Hier hätte sich Alexander der Grosse – für seinen pragmatischen, ja rabiaten Umgang mit dem Gordischen Knoten bekannt – sein Schwert stumpf geschlagen: An der Decke der neuen St. Galler Kantonalbank Halle der Olma Messen wimmelt es geradezu von Knoten – allesamt kugelförmig und aus Stahl. Sie sind die Verbindungsstücke der stählernen Streben eines Raumfachwerks, das die Halle überspannt und gleichzeitig den oberen Raumabschluss bildet.
Der grosse Unterschied der Fachwerkknoten zu ihrem gordischen Vorgänger ist jedoch, dass sie keine Rätsel aufgeben, sondern nachvollziehbar aufgebaut sind. Anderenfalls hätte es bei der Montage zu Chaos kommen können – schliesslich sind nun etwa 1000 Stück an der Decke der Halle montiert.
Olma: Unten Eisenbahn, oben Stahl
Die grösste stützenfreie Halle der Ostschweiz hat beeindruckende Dimensionen. Der Raum ist 150 m × 60 m gross und für 12 000 stehende Menschen ausgelegt. Daran schliesst das Foyer mit 30 m Breite und 150 m Länge an, das von einem zukünftig stahlüberdachten Vorplatz flankiert wird. Corporate Events, Kulturveranstaltungen und natürlich Messen können so stadtnah veranstaltet werden.
Der Standort ist allerdings speziell: Das Gebäude wurde über der Autobahn A1 und der Zuglinie errichtet, die knapp unter der Bodenplatte diagonal die Halle kreuzen. Auch eine zukünftige Röhre für die Autobahn wurde bei der Fundierung berücksichtigt.
Die Halle leitet ihr Gewicht in erster Linie über zwölf Stahlbetonkonstruktionen – Elefantenfüsse genannt – in den Untergrund. Dafür war es vorteilhaft, die Halle selbst relativ leicht zu halten. Das Team um Ilg Santer Architekten konzipierte die auskragenden Wände als Hohlkasten und erreichte dadurch eine grosse statische Höhe. Wie im Brückenbau betonierte man die Wände ausgehend von den massiven Fundierungspunkten im Freivorbau. Eine Betonieretappe betrug 5.2 m. Dies ersparte Gerüstarbeiten und ungewollte Lasteinleitungen in den Boden.
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In den Hohlkästen finden die Haustechnik und Treppenhäuser Platz. Gleichzeitig dienen sie auch als Fluchtwege für die Büroräumlichkeiten der Messe, die über dem Foyer in der stählernen Dachkonstruktion des Gebäudes untergebracht sind. In die statische Höhe der unterspannten Stahlträger ist der Boden der Büros als u-förmige Holzkonstruktion eingeschoben. Glas-Stahlkonstruktionen, die an Gangways von Flugzeugen erinnern, stellen die Verbindung zu den Treppenhäusern in den Betonhohlkästen her.
Zunehmend Stahl
Zwar fällt einem im Foyer bereits die Stahlkonstruktion der Decke mit den abgehängten Büros ins Auge, doch diese bildet nur den stählernen Auftakt des Gebäudes. Seinen Höhepunkt erreicht der Stahlbau in der Halle selbst mit einem beeindruckenden Raumfachwerk – man steht gleichsam unter einem Himmelszelt aus stählernen Sternen.
Über die gesamte Decke erstreckt sich das weisse Raumfachwerk. Die Konstruktion ist nicht parallel zu den Aussenwänden ausgerichtet, sondern um 45 Grad in der Horizontalen gedreht, wodurch sich die plastische Wirkung noch erhöht. Ob Sternenzelt oder Wald aus Stahlstreben – aufgrund der lichten Höhe von 13.70 m wirkt der stählerne Himmel nicht erdrückend.
Alte, gute Idee – noch immer aktuell
Eine solche Deckenkonstruktion geht auf den deutschen Ingenieur Max Mengeringhausen zurück. Er entwickelte bereits in den 1930er-Jahren die Mengeringhausener Rohrbauweise – Mero abgekürzt –, die den heutigen Ausführungen von der Idee her zugrunde liegt. Dreidimensional angeordnete Stahlrohre treffen sich in Kugelknoten, mit denen sie verschraubt sind. Dadurch entsteht eine Konstruktion, die nach allen Seiten hin stützenlos weit spannen kann und dabei noch wenig Stahl benötigt. 85 kg Stahl pro Quadratmeter Dachfläche sind bei der Konstruktion der St. Galler Kantonalbank Halle verbaut.
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Nur zehn Unternehmungen weltweit bieten dieses System an. Hier kam ein chinesischer Bewerber zum Zug, was durchaus zu Diskussionen führte. Drei bis sechs Millionen Franken günstiger war das Angebot aus Fernost – allerdings gaben nur drei der zehn Unternehmungen überhaupt eine Offerte ab. Aus Gewährleistungsgründen kamen die Monteure ebenfalls vom chinesischen Unternehmen, wodurch Dolmetscher auf der Baustelle vonnöten waren.
Konstruktion unterstützt Betrieb
Das Stahltragwerk bietet für den Hallenbetrieb Vorteile. Die Kugelknoten haben an ihrer Unterseite Bohrungen, in die Technikelemente wie Lautsprecher, Bildschirme oder Ähnliches eingehängt werden können. Im aufgespannten, etwa 4.50 m hohen Raum zwischen den Streben findet viel Gebäude- und Sicherheitstechnik Platz. Neben Lüftungsrohren sind stählerne Stege mit einem Seilsystem eingebaut, auf denen sich die Hallen- und Veranstaltungstechniker bewegen und sichern können. Die Beleuchtung und eine Sprinkleranlage sind selbstverständlich ebenfalls integriert.
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Der Brandschutz der Halle ist objektspezifisch gelöst. Die Stahlkonstruktion ist nicht brandschutztechnisch behandelt. Die Überlegung war, dass das Dach unter keinen Umständen, auch nicht nach 90 Minuten einstürzen dürfe. Dies wäre ein zu hohes Risiko für die unter der Halle verlaufenden Verkehrswege. Brandsimulationen bestätigten die Überlegungen der Ingenieure: Bei einem Feuer könnte zwar punktuell ein Teil des Tragwerks versagen, allerdings kann die umliegende Konstruktion die Lasten übernehmen. Der versagende Teil würde tropfenförmig nach unten nachgeben, jedoch keine Gefahr für die Fundierung respektive die Bodenplatte darstellen. Die Sprinkleranlage sorgt im Brandfall für eine ausreichende Kühlung der Konstruktion und unterbindet eine Ausdehnung der Flammen.
Viele Augen werden zukünftig die beeindruckende Dachkonstruktion sehen – aber nur von innen. Von aussen deutet nichts auf das imposante Gebilde hin. Alexander dem Grossen hätte es wohl gefallen – immerhin hätte Diogenes ihn nicht auffordern können, aus der Sonne zu gehen, denn Tageslicht kommt durch das gedämmte Dach mit seiner aussenliegenden Kunststoffdichtungsbahn nicht hindurch.
BSS in Basel: Schale aus Stahl und Glas
Auch die Dachkuppel des neuen BSS-Gebäudes der ETH Zürich in Basel, das künftig Labore und Büros für Forschung an Biosystemen beherbergt, weist Knoten und Streben aus Stahl auf. Und noch eine weitere Übereinstimmung mit der Halle in St. Gallen gibt es: Die Dachkonstruktion wirkt nur von innen. Von aussen bleiben beide Stahlbauten verborgen. In St. Gallen unter der Dachhülle, in Basel versteckt sich die Glaskuppel in Form eines Schildkrötenpanzers hinter einer Brüstung – für Passanten von der Strasse her unsichtbar. Dies hat zur Folge, dass das BSS-Gebäude mit seinen langen Glasfronten von der Strasse aus nicht aufdringlich wirkt – der Verzicht auf das Zurschaustellen der Glaskuppel könnte man fast schon als «Understatement» bezeichnen – immerhin kostet das von Nickl & Partner Architekten entworfene Gebäude 225 Millionen Franken.
Vor allem, wenn die grossen, aussen liegenden Sonnenschutzstoren herabgelassen sind, hält sich das von Glasflächen dominierte Gebäude zurück. Tritt man allerdings ein und durchquert den kurzen Eingangsbereich um den Informationsstand, geht der Blick unweigerlich nach oben: Über sechs Stockwerke erstreckt sich ein lichtdurchflutetes Atrium, das von der Stahl-Glaskuppel gekrönt ist.
Die um den Freiraum des Atrium angeordneten Labore erlauben Blickkontakte zwischen den Abteilungen. Auch zwei frei platzierte Wendeltreppen sollen die Verbindung zwischen den Stockwerken erleichtern.
Die ausführliche Version dieses Artikels ist erschienen in TEC21 32–33 «Stahl zum Staunen».
St. Galler Kantonalbank Halle, St. Gallen
Bauherrschaft
Olma Messen St. Gallen
Architektur
Ilg Santer Architekten, Zürich
Gesamtleitung
Perita, Zürich
Raumfachwerk
Xugzhou Tover Space Structure, Jinshanqiao (CN)
Dachtragwerk Foyer
Hofstetter, Bernhardzell
Tragwerk (Hochbau)
Meichtry & Widmer, Zürich
Tragkonstruktion Überdeckung
Ingenieurgemeinschaft ÜRO, St. Gallen
Baukosten
175 Mio. Franken
Fertigstellung
März 2024
Dachkuppel des neuen BSS-Gebäudes der ETH Zürich, Basel
Bauherrschaft
ETH Zürich
Architektur, Generalplanung
Nickl & Partner Architekten Schweiz, Zürich; Integrale Generalplaner, Zürich
Statik
Leonhardt, Andrä und Partner, Stuttgart (D)
Dachtragwerk
formTL, Radolfzell (D)
Ausführung (Hochbau)
Arge BSS BAM c/o Implenia Schweiz
Generalunternehmung (Aushub)
Strabag
Weitere Beteiligte
Ruch Metallbau, Altdorf
Baukosten
225 Mio. Franken
Fertigstellung
Mai 2023
Auszeichnung
Iconic Award 2023 – Winner