«Bau­kul­tur ist ni­cht nur das Ge­bau­te»

Biodiversität, urbane Verdichtung, Infrastrukturbauten, Inklusion, Schwammstadt – in komplexen Projekten ist der Beitrag der Landschaftsarchitektur zentral. Patrick Schoeck, seit 2024 Geschäftsführer des Bundes Schweizer Landschaftsarchitekten und Landschaftsarchitektinnen BSLA, und sein Vorgänger Peter Wullschleger im Gespräch.

Data di pubblicazione
15-04-2024


Herr Wullschleger, Sie waren 28 Jahre lang Geschäftsführer des BSLA. In dieser Zeit hat sich die Landschaftsarchitektur als baukulturelle Disziplin etabliert, die oft auch bei Architektur- und Städtebau-Wettbewerben im Projektteam vertreten ist. Wie hat sich das Selbstverständnis der Landschaftsarchitektinnen und Landschaftsarchitekten verändert? 

Peter Wullschleger: Früher haben wir uns als Gartenarchitekten verstanden und haben schöne, klar eingegrenzte Grünanlagen entworfen. Heute bewegt sich fast niemand mehr in diesem engen Rahmen. Einerseits fehlt zunehmend die Klientel für anspruchsvolle Privatgärten, andererseits haben gesamtgesellschaftlich relevante Themen an Bedeutung gewonnen. Heute denken wir in Begriffen wie Freiraum oder Landschaft. Dazu gehören Stadtplanung, Biodiversität, Klimaerwärmung, Schwammstadt und Infrastrukturprojekte, etwa Gewässerkorrekturen oder Strassenbau. Wir sind aus dem Garten entflohen. Diese Erweiterung des Berufsfelds widerspiegelt sich in der Ausbildung, und die Zahl der BSLA-Mitglieder ist von 320 auf 820 gestiegen.


Auch die Auffassung davon, was der Grünraum leisten soll, hat sich verändert. Der Irchelpark in Zürich beispielsweise wurde Anfang der 1980er-Jahre als Landschaftspark angelegt, mit Teich, Wiesen und Obstbäumen, umgeben von künstlichen Hügeln; man wähnt sich auf dem Land und könnte glatt vergessen, dass man mitten in der Stadt über einer Tiefgarage und einem Tunnel steht und von Autobahnzubringern umgeben ist. Im Gegensatz dazu legt man heute Wert darauf, dass ein städtischer Park urban wirkt. Warum eigentlich?

Wullschleger: Damals baute man Idyllen als Gegenwelten zum intensiv genutzten, lauten Stadtraum. Heute ist das nicht mehr möglich, weil gar nicht mehr so viel Platz zur Verfügung steht. Also baut man kleinere Anlagen, die näher beim Alltag der Menschen sind. Diese Grünräume sind eher initiiert als fixfertig hingepflanzt, die Entwicklung und Pflege sind tendenziell wichtiger als das fertige Bild, es geht mehr um Prozesse als um Ergebnisse. Man legt zum Beispiel einen bestimmten Vegetationstyp mit Substraten oder Initialpflanzungen an, und die Besucherinnen und Besucher sind Teil des entstehenden Freiraums. 
Obwohl manche am Anfang so aussehen mögen, handelt es sich nicht um Naturreservate, die Anlagen dürfen und sollen genutzt werden. Sie sind das Resultat eines Gestaltungsprozesses – eine neue Ästhetik, die natürlich gewöhnungsbedürftig ist. Auch die Nutzungsvorstellungen haben sich verändert: Während man früher für bestimmte Funktionen baute – hier ein Spielplatz, dort eine Frisbee-Wiese –, gibt es heute weniger Zuteilungen. Es geht um Themen wie Naturerfahrung, Nähe zu Wasser und Erde, Multifunktionalität.


Herr Schoeck, bevor Sie die Geschäftsführung des BSLA übernommen haben, waren Sie beim Schweizer Heimatschutz (SHS) tätig. Zu Ihren Dossiers gehörten das Kommissionssekretariat des Schulthess Gartenpreises und die Mitarbeit in der Steuergruppe der nationalen Landschaftsinitiative, die der BSLA unterstützt. Welche Zukunftsthemen sehen Sie in der Landschaftsarchitektur?

Patrick Schoeck: Wie Peter Wullschleger beobachte ich, dass die Planung von Grünräumen im Siedlungsgebiet immer komplexer wird: Der Boden ist nicht vermehrbar, nur die Ansprüche steigen. Wir wollen Inklusion, soziale Gerechtigkeit, Biodiversität, Kompensationsflächen, Klimagerechtigkeit – wie soll man all das zusammenbringen und dann auch noch gestalten? Um die zunehmende Komplexität und die verschiedenen Perspektiven zu einem stimmigen Ganzen zusammenzufügen, braucht es die Expertise der Landschaftsarchitektinnen und Landschaftsarchitekten.

Wullschleger: Wir Landschaftsarchitekten werden meist als Spezialisten betrachtet, als Fachplaner. Doch wir sind Generalisten, die in frühen Phasen der Planung ein breites Wissen einbringen können. 

Schoeck: Diese Kompetenz braucht es, um Kollaborationen zwischen den Disziplinen zu steuern. Viel zu lange hat man sektoriell gedacht und geplant, hier etwas Grün, dort etwas Infrastruktur, ohne Zusammenhang. Das geht jetzt einfach nicht mehr. Ein Umdenken tut not. Um Mehrfachnutzungen zu ermöglichen, wie man sie in dichten urbanen Gebieten anstrebt, braucht es eine grossräumige, interdisziplinäre Betrachtung. Will man zum Beispiel mehr Bäume, muss man auch die unterirdische Infrastruktur entsprechend planen. Ohne ausreichenden Wurzelraum können Bäume nicht wachsen, wie es Visualisierungen oft vollmundig suggerieren. 


Die Stadt Zürich hat kürzlich eine Studie veröffentlicht, die dokumentiert, wie rasch das Baumkronenvolumen in den letzten Jahren gesunken ist. Alte, grosse Bäume werden gefällt und durch Büsche oder bestenfalls junge Bäumchen ersetzt, die Jahrzehnte lang wachsen müssen, bis sie die gleiche ökologische Leistung erbringen. Der Eindruck drängt sich auf, dass bei Zielkonflikten – Baum versus unterirdische Leitungen, Baum versus Laub zusammenfegen, Baum versus Tiefgarage – immer der Baum verliert.

Schoeck: Bäume leisten still und leise unglaublich viel für die Gemeinschaft. Sie steigern das Wohlbefinden, mindern die Hitze und können Biodiversität fördern. Nur: Bäume zu pflegen kostet Geld, bestehende Bäume in Entwürfen mitzudenken braucht Hirnschmalz. Und sie sind gerade dort dringend nötig, wo der Quadratmeter Bauland mehrere Tausend Franken kostet. Heute wird viel zu einseitig auf die Kosten geachtet. Den Nutzwert von Bäumen im Siedlungsraum mit den Kosten aufzuwägen, wäre ein wichtiger Beitrag für die zukunftsfähige und resiliente Stadtentwicklung.

Wullschleger: Im Kanton Zürich wird darüber diskutiert, ob man beim Bau von Tiefgaragen grosse Aussparungen für Bäume einfordern könnte. Auch das Schwammstadt-Konzept für Volta Nord in Basel macht Hoffnung. Es gibt viele gute Ideen, der Paradigmenwechsel findet statt; aber Veränderungen lösen Abwehrreaktionen aus, und Stadtentwicklungsprozesse dauern lang. Wie bringt man die Ideen in den Raum und in die Fläche? 
Sorge macht mir vor allem der fehlende Schutz des Untergrunds und des gewachsenen Bodens: Während bei oberirdischen Bauten immer klar geregelt ist, welches Volumen verträglich und bewilligbar ist, gibt es unterirdisch kaum Einschränkungen: Man darf fast bis an die Parzellengrenze bauen – und tut es auch. Das beeinträchtigt die Biodiversität und den Wasserhaushalt, selbst bei einer Überdeckung von 1.5 m. Natürlich ist das auch eine ökonomische Diskussion. Wir müssen Zielkonflikte aushandeln und experimentieren. Wir müssen lernen. 


Sie haben die Biodiversitätskrise angesprochen. Um ihr entgegenzuwirken, sollen Siedlungen nun mehr naturnahe, biodiverse Lebensräume enthalten. Bereits heute ist die Artenvielfalt in grossen Teilen der Agglomeration höher als in landwirtschaftlich genutzten Gebieten.

Wullschleger: Ja, aber auch hier kann es zu Zielkonflikten kommen. Ein Beispiel ist der Erlenmattpark in Basel: Ein Teil davon ist Naturschutzgebiet und als Trockenstandort mit einer passenden Vegetation zu bepflanzen – also ohne Bäume, was einen städtischen Freiraum ohne Schatten ergibt. Hier stösst der Anspruch, den Verlust an Biodiversität im urbanen Kontext zu kompensieren, an Grenzen. Nicht zu vergessen: Die Hauptursache für die Biodiversitätskrise ist nicht die Bautätigkeit im urbanen Raum, sondern die intensive Landwirtschaft. Dort, auf deren riesigen Flächen, müsste man ansetzen. Doch man beugt sich dem politischen Druck der Landwirtschaftslobby, die sich gegen ökologische Flächen und Massnahmen wehrt, selbst wenn die Bauern dafür entschädigt werden. 

Schoeck: Lichtblicke, auch im Hinblick auf die Biodiversität, gibt es zum Beispiel im Bereich Wasserbau: Die Renaturierung der Aire im Kanton Genf hat viel ausgelöst, ebenso die Projekte für die Murg und die Cassarate.

Wullschleger: Solche Projekte machen sichtbar, wie wichtig eine gesamtheitliche Betrachtung des Lebensraums ist: Baukultur ist nicht nur das Gebaute, sondern auch die Landschaft, die Qualität des zusammenhängenden Ganzen. Diese Betrachtung des Gesamtraums ist eine Kernkompetenz der Landschaftsarchitektinnen und Landschaftsarchitekten.

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