Soft­po­wer als Ba­sis

‹Soft Power – Stadtmachen nach Brüsseler Art› im S AM

Mit der Ausstellung zum Architekturgeschehen in Belgien ist es dem Schweizerischen Architekturmuseum S AM gelungen, die Aufmerksamkeit auf eine Entwicklung zu lenken, die auch andernorts ihre Wirkung entfalten könnte. 

Data di pubblicazione
22-01-2025

Wenn ich an Brüssel denke, sehe ich vor meinem inneren Auge Prunkbauten, hinter denen kühne Wohnhausriegel hervorschauen. Jugendstilfassaden und die furchteinflössende Präsenz des Justizpalasts. Weite Plätze und Tramlinien, die sich im Untergrund bergan und bergab kreuzen. Ein Stadtbild, das von seinen krassen Gegensätzen lebt und dessen internationale Bewohnerschaft mit einer enormen Wohlstands-Spanne sich die Nischen aneignet. Insgesamt steht die Architektur Brüssels im Zeichen einer unerschrockenen Offenheit.

Mit dem Baumeister, dem «bouwmeester» oder «Maître Architecte» (Bouwmeester Maître Architecte BMA) gibt es seit dem Jahr 2009 eine Institution, die den ausschreibenden privaten und öffentlichen Bauherrschaften beratend zur Seite steht – im Übrigen keine Neuerfindung, sondern ein Rückgriff auf eine belgische Tradition, die 1999 in Flandern ihren Anfang nahm und ihrerseits auf die historische Funktion des «Rijksbouwmeester» zurückgeht. Neben Wettbewerben unterstützt der BMA auch Pilotprojekte und Auszeichnungen, die die Baukultur im weitesten Sinne fördern. 

Motivation als Kriterium

Der Schwerpunkt liegt aber sicherlich auf der Neubetrachtung eines Wettbewerbswesens, das sich für die gezielte stadtplanerische Weiterentwicklung bewährt. Ziel ist es, die Art der Ausschreibungen so zu verändern, dass der Qualität der Baukultur eine wichtigere Rolle zukommt. Für den Posten des BMA ernennt die Regierung einen unabhängigen Architekten. Er arbeitet zusammen mit einem Team, das in Brüssel rund 15 Mitarbeitende umfasst und in allen Phasen der Bauabwicklung tätig ist. Die Einbindung eines BMA ist erst ab einem Auftrag von 5000 m2 verpflichtend. 

Zunächst betreibt das Team Öffentlichkeitsarbeit, um auf Bauvorhaben aufmerksam zu machen. In der Regel lanciert es wöchentlich einen «Open Call» per Newsletter, um die Zugänglichkeit zu Wettbewerbsverfahren kontrolliert offen und transparent zu halten. Architektur, Städtebau und Landschaftsplanung sind gleichberechtigt eingebunden. Zum neuen Standard werden nicht anonymisierte internationale Einladungen als Hybrid aus offenen und eingeladenen Wettbewerben.

Kommt es zu einer Ausschreibung, beschleunigt das Team mit dem BMA das Verfahren, setzt qualitative Schwerpunkte und begleitet die Ausführung bis zu einem abschliessenden Factsheet, das den Ablauf transparent zusammenfasst und für Folgeprojekte zurate gezogen werden kann.   

In der ersten Phase bewerben sich Planende niederschwellig mit nur einem DIN-A4-Blatt. Sie beschreiben ihre Kompetenz, Erfahrung und Motivation. In der zweiten Phase umreissen drei bis fünf ausgewählte Büros ihren Entwurf, wobei sie für ihre Arbeit entlohnt werden.   

Immerwährender Dialog

In den letzten fünfzehn Jahren hat BMA Kristiaan Borret in Brüssel dieses Prozedere vorangetrieben. Wichtig war ein offener, veränderbarer Prozess vom Beginn der Ausschreibung bis zum Abschluss der Ausführung. So konnten Erkenntnisse oder veränderte Bedürfnisse berücksichtigt werden. Der Freiraum, der sich daraus ergibt, ist nicht nur im sozialen Raum sichtbar, sondern auch im Umgang mit den vorhandenen oder zusätzlich eingebrachten Materialien. Diese Soft Power hat sich als Stärke erwiesen. 

In der Ausstellung im S AM werden 15 herausragende Projekte gezeigt, darunter auch gescheiterte oder solche, die sich noch in Entwicklung befinden. Denn auch das gehört zur Idee: Bauten müssen nicht fertig werden, sondern sind dann am besten, wenn sie sich mit den Nutzungswünschen weiterentwickeln lassen. 

➔ Eines dieser Projekte ist der Umbau der ehemaligen Citroën-Niederlassung zum Kunst- und Architekturmuseum «KANAL-Centre Pompidou». Ein Interview mit An Fonteyne, der Architektin des Projekts, finden Sie hier.

Auch die Gestaltung der Ausstellung entstand auf der Basis eines Wettbewerbs, den der BMA durchführte. Von 61 Bewerberteams gingen drei in die zweite Phase. Der Entwurf von Asli Çiçek und Team lag dem Konzept des Kuratorenteams vom S AM um Andreas Kofler und der Gastkuratorin Roxane Le Grelle zugrunde.  

Eingangs zeigt eine Collage Fotos von 300 Orten in ihrem Zustand, bevor dort das Brüsseler BMA-Team tätig wurde. Auf einem Tisch dahinter liegen die unprätentiösen Publikationen zu den Wettbewerbsverfahren aus. Im Hauptraum sind die Projekte nach Themen wie «Circular City», «Mixed City» oder «Everyday City» zusammengefasst und anhand von Fotos, Plänen und Modellen zu erfassen, die sich teils noch in der Metamorphose befinden.

Im abschliessenden Raum lässt eine Installation mit raumhohen «tableaux vivants» die Besuchenden in die vorab gezeigten städtischen Situationen und Klanglandschaften eintauchen. 

Zum Wohl der Nutzenden

Naturgemäss birgt das hybride und prozesshafte Vorgehen viel mehr Aufwand als ein Wettbewerbsverfahren nach Schema F. Die wandelbare Qualität der Projekte, das Zusammenführen von Nutzungen, die sich aus den Bedürfnissen der Bewohnerschaft und nicht unbedingt aus den gegebenen Gebäudestrukturen ergeben, belegt, dass das langsame und inklusive Vorgehen zu Ergebnissen führt, die der Gesellschaft über längere Zeiträume dienen als klar umrissene Funktionsgebäude. Das Geheimnis liegt in der Offenheit, sowohl auf der Zeitachse als auch im Kopf der Planenden. 

Das Schweizerische Architekturmuseum zeigt vom 19. Oktober 2024 bis 16. März 2025 die Ausstellung «Soft Power – Stadtmachen nach Brüsseler Art».

 

Weitere Informationen, auch zum Begleitprogramm: sam-basel.org

 

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