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Künstliche Hochwasser beleben den Spöl

Seit dem Bau der Staumauer am Lago di Livigno fehlen im Spöl natürliche Hochwasser. Regelmässige Spülungen erwiesen sich als geeignete Kur zur ökologischen Aufwertung des Restwasserbachs. Das Engadiner Beispiel könnte für andere Restwasserstrecken zum Vorbild werden.

Data di pubblicazione
01-10-2014
Revision
18-10-2015

Als an Ostern 2013 bei der Staumauer Punt dal Gall die Restwasserversorgung versagte, der Spöl eine Zeit lang nicht mehr mit sauberem Wasser versorgt wurde und sich grosse Schlammmengen ins Bachbett ergossen, war der Schock gross. Die im Schlick verendeten Bachforellen boten keinen schönen Anblick. Und die Medien berichteten mit fetten Schlagzeilen über den Vorfall.

Kurz danach inspizierten Wissenschaftler unter der Federführung der Forschungskommission des Nationalparks, ein von der Schweizerischen Akademie der Naturwissenschaften getragenes Gremium, das Bachbett und nahmen eine erste Lagebeurteilung aus ökologischer Sicht vor. Die Gewässerökologen kamen zum Schluss, dass der Grundablass noch einige Zeit geöffnet bleiben solle. Die Wassermenge, die so in den Spöl gelangte, war höher als sonst. Später sollte ein künstliches Hochwasser das Bachbett vom Schlamm befreien: Es rauschte am 9. Juli 2013 durch den Spöl und erreichte Abflussspitzen von bis zu 40m3/s.

Verlorener Charakter

Seit der Inbetriebnahme des Kraftwerks 1970 muss der Spöl mit lediglich 12% seines ursprünglichen Wassers auskommen, und die für einen Gebirgsbach typischen natürlichen Hochwasser bleiben weitgehend aus. Die im Nationalpark gelegene Restwasserstrecke bis Ova Spin entwickelte sich weg von ihrem ursprünglichen Gebirgsbachcharakter hin zu einem Gewässer mit ausgedehnten Flachwasserbereichen und Tümpeln. Zusammen mit dem nährstoffreichen Wasser aus dem Livigno-Stausee förderte dies das Wachstum von Algen und Moosen. Ökologisch besonders problematisch war zudem, dass im Sommer tagsüber zweieinhalb mal mehr Restwasser im Spöl floss als nachts – damit die Wanderer einen rauschenden Bergbach bewundern konnten.

1990 führten die Engadiner Kraftwerke (EKW) eine Spülung des Grundablasses durch. Die Forschungskommission des Nationalparks nutzte die Gelegenheit für Begleituntersuchungen, und die Wissenschaftler erkannten die positive Wirkung solcher Spülungen auf die Gewässerökologie. Somit stellte sich die Frage, ob regelmässige künstliche Hochwasser den Spöl beleben könnten. Die EKW boten Hand, doch bei der Stromproduktion durften keine Einbussen entstehen. Man einigte sich, die Restwassermengen im Sommer von durchschnittlich 1.75 auf 1.45m3/s zu senken.

Gleichzeitig hob man die Unterschiede zwischen Tag und Nacht auf. Die jährliche Restwasserabgabe in den Spöl wurde damit um 3.4 Mio. m3 Wasser reduziert. Von diesem im See «angesparten» Wasser stehen 1.3 Mio. m3 Wasser für die künstlichen Hochwasser zur Verfügung. Die verbleibenden 2.1 Mio. m3 Wasser dürfen die EKW als Kompensation für die geringere Stromproduktion der Dotierturbinen am Fuss der Staumauer via Druckleitung in der Zentrale von Ova Spin turbinieren. 

Das erste künstliche Hochwasser fand 2000 statt. Seither werden jedes Jahr ein bis zwei Fluten mit einem Spitzenabfluss von in der Regel 20 bis 30m3/s durchgeführt. Diese dauern jeweils sechs bis neun Stunden. Die Zusammensetzung der Lebensgemeinschaften im Spöl hat sich in den letzten Jahren wieder derjenigen eines natürlichen Gebirgsbachs angenähert. Algen und Moosbewuchs nahmen ab, ebenso die allgegenwärtigen Bachflohkrebse; dafür haben typische Bergbachbewohner wie Eintags-, Stein- und Köcherfliegen zugenommen.

Und auch bei den Bachforellen setzte eine erfreuliche Entwicklung ein. Die Weibchen legen ihre Eier im Spätherbst in Vertiefungen ab, die sie mit der Schwanzflosse ins kiesige Bachbett graben. Die Zahl dieser sogenannten Laichgruben ist ein Hinweis für die Laichaktivitäten der Bachforellen. Von 2000 bis 2012 hat sich deren Anzahl fast vervierfacht. Die vorerst im Rahmen eines Versuchs durchgeführten künstlichen Hochwasser wurden 2011 definitiv eingeführt.

Erstaunlich rasche Regeneration

Nach der Panne bei der Restwasserversorgung im Frühling 2013 befürchteten viele, dass man wieder von vorn beginnen müsse. Doch wie sich nun zeigt, regeneriert sich der Spöl erstaunlich schnell. Dies belegen auch die Fischerhebungen. Eine erste Zählung einen Monat nach dem Unfall ergab, dass etwa ein Drittel der Bachforellen überlebt hatte. Gemäss der zweiten Erhebung ein Jahr danach hat sich die Zahl der Bachforellen gegenüber 2013 bereits verdoppelt. Der Forellenbestand liegt aber noch deutlich unter demjenigen vor dem Unfall. Eine Kartierung der Laichplätze der Bachforellen vom Dezember 2013 belegt zudem, dass die überlebenden Fische ihre bevorzugten Stellen zum Laichen wieder aufsuchen. 

Die künstlichen Hochwasser im Spöl sind eine ökologische Erfolgsgeschichte. Bleibt zu hoffen, dass ein dynamisches Restwasserregime künftig auch bei anderen Stauseen zur Anwendung kommt.