Die Zu­ta­ten im Ge­bäu­de

Rückbau-Fallstudien in WIen

Um allfällige Potenziale zum Sortieren und Recycling der Abbruchmaterialien abzuschätzen, braucht es eine detaillierte Analyse des verbauten Materialmixes. Die Fallstudien österreichischer Forscher zeigen, wie wichtig weitere Erkundungen vor Ort sind.

Der Gebäudepark einer Stadt akkumuliert grosse Mengen unterschiedlicher Materialien. Aus der Optik einer Kreislaufwirtschaft handelt es sich um ein riesiges Lager an Sekundärrohstoffen. In Wien ist dieses Materialienlager Gegenstand eines laufenden Forschungsprojekts; die Daten aus vier von neun geplanten Fallstudien liegen nun vor. Darunter befinden sich zwei Wohnhäuser mit Baujahr 1859 respektive 1970, eine über 80 Jahre alte Industriehalle sowie ein mehrfach erweiterter Spitalkomplex, die nach der Analyse tatsächlich abgebrochen worden sind.

Die Fallstudien unterscheiden sich in Materialdichte und -intensität. Letztere liegt in einer Band­breite von 270 bis 470 kg/m³ Bruttorauminhalt. Die Differenzen beruhen auf geometrischen Faktoren wie kompakte Bauweise, Raumhöhen, Wandstärken aussen und innen sowie Grösse der Wohneinheiten. Die Gebäudeanalyse soll Informationen über die Konzentration und die Qualität der verbauten Materialien liefern sowie die unterschiedlichen Materialien lokalisieren. Die Resultate bilden wesentliche Grundlagen zur Bewertung eines selektiven Abbruchs und zur Organisation von Recyclingprozessen.

Darüber hinaus sind auch allgemeinere Fragen zu beantworten: Lässt sich aus den Fallbeispielen eine systematische Methode zur stofflichen Erhebung eines Gebäudeparks generieren? Können die spezifischen Materialwerte (kg/m³ BRI) dazu dienen, das gesamte Materiallager in Wiens Gebäuden abzuschätzen und ein flächendeckendes Ressourcenkataster zu erstellen? Und kann die Abschätzung der zu erwartenden Abfallmengen anhand einer Kombination von Daten über Abbruchaktivitäten mit den erhobenen spezifischen Materialwerten in Gebäuden erfolgen 

Erschwert wird eine Verallgemeinerung der Resultate aus den bisherigen Fallstudien unter anderem durch individuelle Aspekte in der Stadtplanung, der Architektur und der Verwendung von Materialien; auch die Bereiche Regionen, Städte und Gebäude führen jeweils zu einer eigenen Stoffcharakteristik. Ältere ­Forschungsarbeiten, die ebenfalls einzelne Gebäude durchleuchtet haben, bestätigen, wie anforderungsreich eine Hochrechnung auf den Massstab Stadt sein kann. 

Mineralische Baustoffe mit Höchstanteil

Den unterschiedlichen Gebäudetypen und dem spe­zifischen Anteil einzelner Materialien zum Trotz: In allen untersuchten Fallstudien liegt der Anteil mine­ralischer Baustoffe an der Gesamtmasse zwischen 94 % und 98 %. Dagegen sticht der hohe Holzanteil historischer Wohnbauten heraus: Die Decken bestehen oft aus sogenannten Dübelbäumen, mit Holzdübeln verbundene massive Holzbalken.

Die Haupt­materialien bilden also Ziegel, Beton, Sand, Kies sowie teilweise Metalle (Stahl) und Holz. Die übrigen Materia­lien sind jedoch nicht vernachlässigbar: Je nach Gebäudegrösse können die absoluten Mengen ebenfalls bedeutend sein. 

Aber nicht nur die Anteile interessieren, sondern auch die Orte, in denen die Materialien verbaut worden sind: Viel Stahl wurde in Deckenkonstruktionen oder als ­Träger zur Abstützung gemauerter Decken in grös­seren Ziegelbauten aufgefunden. Zusätzliche Anteile ­finden sich typischerweise in Heizungs- und Sanitär­installationen sowie in Einbauten in den Ober- und Untergeschossen. Aluminiumanteile stecken derweil in Fenstern, Türen oder in Befestigungselementen für ­Fassaden; teilweise können Dächer mit Aluminiumblech gedeckt sein. 

Die Rezyklierbarkeit von Materialien hängt jedoch wesentlich davon ab, in welchem Verbund sie vorliegen: Gebäude aus Stahlbeton weisen naturgemäss erhöhte Anteile an Stahl zur Bewehrung in Betonbauteilen auf. Diese sind zwar verbaut, aber mit hydraulischen Crushern trennbar. Kupfer steckt hauptsächlich in elektrischen Leitungen und Sanitärinstallationen. Das Metall wäre aber einfacher zu recyclen, wenn es in massiven Rohren verbaut ist, als in Kunststoffkabeln. 

Umbauten meistens vernachlässigt

Die spezifische Materialzusammensetzung von Ge­bäuden kann unterschiedlich generiert werden: Ent­weder stammen sie aus einer Abschätzung der Mate­rialien, die für den Neubau benötigt wurden, oder aus einer Analyse der abgebrochenen Abfallmengen. Die vorliegenden Fallbeispiele sind nach einem eigenständigen methodischen Ansatz ausgewertet worden: Die verfügbaren Unterlagen (Bestandspläne, Gutachten etc.) wurden mit einer Begehung und selektiver Beprobung vor Abbruch der Gebäude ergänzt (vgl. Kasten unten: «Aufwendige Beprobung»).

Während der Abbrucharbeiten wurden zudem Informationen über die Praxis bei Planung, ­Koordination und Durchführung solcher Arbeiten gesammelt. Die Ergebnisse wurden ausserdem mit den von den Abbruchunternehmen zur Verfügung gestellten Daten verglichen.

Die Untersuchung der Gebäude am Ende der Nutzungsphase erscheint am sinnvollsten, um eine möglichst genaue Charakteristik erstellen zu können. Unter anderem zeigte sich bei der Erhebung der Zentral- und Verteilungsleitungen, dass elektrische und sanitäre Installationen häufig erneuert oder verändert werden. Ähnliche, in den letzten 10 bis 20 Jahren durchgeführte Gebäudestudien vernachlässigen solche technischen Anpas­sungen, was die Komplexität der Materialzu­sammensetzung meist erhöht. Wird alternativ dazu nur die Baurestmasse nachträglich analysiert, erschwert dies eine repräsentative Beprobung von Materialien mit nur geringen Anteilen und Mengen. 

Nicht verlässliche Abbruchdokumente

Der Vergleich der generierten Fallstudiendaten mit den offiziellen Entsorgungsnachweisen der Abbruch­unternehmen zeigt: Letztere sind teilweise nicht verlässlich und lassen keine Bestimmung der Materialzusammensetzung zu. Und im Vergleich zu Analysen der Abfallströme hat die neu entwickelte Methode den Vorteil, dass Materialien detailliert erfassbar sind, bevor sie möglicherweise vermischt werden. Zwar können Hauptmaterialien anhand der Abbruchunterlagen bestimmt werden. Informationen über Materialien mit geringem Anteil sind dagegen nicht zu quantifizieren.

Bei den ausgewerteten Fallstudien stimmen die Werte bei den Hauptfraktionen Ziegel, Mörtel, Beton und Holz mit den Abbruchdokumenten oft gut überein. Die Differenzen beim Stahlanteil resultieren aus abweichenden Annahmen für die Mindestbewehrung der Betonteile respektive Verunreinigungen und Anhaftungen in der gesammelten Stahlschrottfraktion. Stark unterscheiden sich die Mengen von Asbestzement, was auf eine Vermischung der Fraktionen inklusive gesonderter Entsorgung hinweisen kann.

Die Unterschiede der Gipsmenge lassen sich teilweise dadurch erklären, dass Gipsrecycling in Österreich nicht etabliert ist und Gipsabbruch weitgehend in die Feinfraktion des mineralischen Bauschutts gelangt oder den Baustellenabfällen mit Mineralwolle und Kunststoffen zugeordnet wird. Zusätzliches Bodenaushubmaterial fällt oft dort an, wo ein Neubau dem Rückbau folgt. Die Masse ist jeweils schwer abschätzbar.

Weitere Fallstudien folgen

Die Datensätze sind vor allem bei Materialien mit geringem Anteil inkonsistent. Bemerkenswert ist auch, dass wertvolle Materialien wie Kupfer oder Aluminium offensichtlich nachlässig dokumentiert werden. Bei einem Fallbeispiel fiel auf, dass Aluminium gemäss Abbruchnachweis in Form von Kabel entsorgt wurde, aber bei der Begehung vor Ort nicht verifiziert werden konnte. Ebenso fehlte ein Nachweis von Kupfer. Bei der Besichtigung der Abbrucharbeiten wurde hingegen festgestellt, dass gerade diese Fraktion sorgfältig separiert worden ist.

Schwierig auszuwerten sind die Vergleichsdaten auch, weil Abfallfraktionen in der ­Dokumentation verschlüsselt und nicht substanziell ausgewiesen werden. Zudem werden oft Abbruchmaterialien als Füllmaterial vor Ort verwendet, weshalb sie in keiner Statistik auftauchen. 

Eine wichtige Erkenntnis aus den ersten vier Fallstudien ist: Begehung und selektive Beprobung eignen sich gut, um Materialien aus Einbauten und Installationen zu bewerten und spezifische Materialwerte für unterschiedliche Bauteile und Gebäudetypen zu generieren. Daher werden in dieser Forschungsarbeit weitere Analysen folgen, um die Datenlage bei Gebäuden unterschiedlicher Bauperiode und Nutzung kontinuierlich zu verbessern. Unter anderem sollen Bauteilkataloge zur Bestimmung der Materialzusammensetzung von grösseren Stichproben herangezogen werden.


Aufwendige Beprobung 

Mit einer selektiven Beprobung von repräsentativen Bauteilen und typischen Einbauten lassen sich Materialien mit geringem Anteil an der Bausubstanz bestimmen, beispielsweise Metalle aus Installationen, Kunststoffe oder Holz. Fussböden, Zwischenwände, Deckenabhängungen, Fenster, Türen, Türzargen werden demontiert, gewogen und vermessen, und Aufbau und Materialzusammensetzung erhoben. Ausserdem werden horizontale Steigleitungen für Strom, Wasser, Abwasser und Heizung gezählt. Alternative Informa­tionsquellen zu Installationen sind nur selten vor­handen, weshalb Materialien wie Kupfer, Aluminium oder Stahl nicht anhand von Plangrundlagen quantifizierbar sind. Sind Bereiche von Gebäuden in ihrer Bauart re­spektive Ausstattung ähnlich, wie Wohneinheiten oder Geschosse, werden verbaute Materialien einmal ermittelt und die Anteile über Fläche oder Anzahl auf die Gesamtheit hochgerechnet. Da bei der Datenaufnahme vor Ort meist nicht alle Bauteile und Einbauten de­montiert und vermessen werden können, sind vereinzelt auch Schätzungen durchzuführen. Die Begehung mit selektiver Beprobung ist jedoch mit hohem Aufwand verbunden; sie benötigten im arbeitsintensivsten Fall etwa 200 Personenstunden.

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