«Intelligentes» Tragwerk
Gebäude sind nachhaltig, wenn sie bestimmte ökologische und soziale Anforderungen erfüllen. Ein durchdachtes Tragwerk gehört ebenso dazu: Es soll den vorhersehbaren Wandel berücksichtigen, sodass Grundrissanpassungen ohne bauliche Eingriffe an Tragelementen möglich sind.
In der Schweiz baut man was die Ausführung und die Baumaterialien anbelangt wertbeständig, solide und ausgelegt auf eine Gebäudelebensdauer von ungefähr 100 Jahren. Ein Gebäude in der Schweiz muss nicht nur einen Nutzungszweck erfüllen, sondern gleichzeitig einer sicheren Geldanlage entsprechen. In Ländern wie beispielsweise den USA oder Spanien ist dies weit weniger der Fall. Im Wohnbereich ist das dabei in der Schweiz durch die Bauweise «zementierte» idealisierte Familienbild für spätere Umnutzungen oder Anpassungen an altersgerechte Wohnformen problematisch. Die Umbaukosten entsprechen häufig den Kosten für einen Abbruch und Ersatzbau. Zahlreiche noch junge Wohnbauten der 1950er- oder 1960er-Jahre müssen heute abgerissen und durch Neubauten ersetzt werden, weil eine Anpassung der Gebäudestruktur an die aktuellen Bedürfnisse zu teuer käme. Solche bauliche Investitionen, die sich zu sehr am aktuellen Markt orientierten, sind vor dem Hintergrund des sich abzeichnenden, relativ rasch entwickelnden gesellschaftlichen Wandels schlecht angelegtes Geld und noch gravierender ein Verschleiss an grauer Energie. Nachhaltige Architektur muss künftigen Veränderungen gewachsen sein. Denn Nachhaltigkeit ist mehr als ein geringer Heizenergieverbrauch, sie definiert sich u.a. auch durch den geringen Verbrauch an grauer Energie. Besonders vorzeitige Abbrüche bestehender Gebäude und Ersatzneubauten schneiden diesbezüglich schlecht ab.
Basis für Veränderbarkeit
Die Mehrheit der Wohnhäuser in der Schweiz sind in Massivbauweise aus Stahlbeton, Back- oder Kalksandstein ausgeführt. Aussen- und Innenwände übernehmen die Tragfunktion. Bei späteren Umnutzungen ist dies problematisch, denn sobald bei einem Umbau tragende Bauteile tangiert werden, steigen die Kosten. Das Kriterium der Nachhaltigkeit beinhaltet also auch ein durchdachtes Tragwerkskonzept, das dem vorhersehbaren Wandel Rechnung trägt. Ein solches «intelligentes» Tragwerk, obwohl architektonisch und kostenspezifisch kaum wahrnehmbar, ist der Schlüssel zur Veränderbarkeit eines Gebäudes; mit ihm wird ein Mehrwert geschaffen, ohne Mehrkosten zu generieren.
Kompakt gefasste Innenwände
Ein intelligentes Tragwerk besteht vor allem darin, flexibel auf raumspezifische Nutzungsänderungen reagieren zu können. Um dies zu erreichen, sollten Bauingenieure und Bauingenieurinnen vor allem tragende Innenwände verhindern. In Wohnungen übernehmen beispielsweise nur noch Aussenwände die tragende Funktion, zusammen mit Innenwänden, die kompakt in einem Sanitärblock zusammengefasst sind. Der Block ist dabei so angeordnet, dass er unterschiedliche Raumzonen wie Wohnen/Schlafen, Geselligkeit/Geborgenheit, Arbeiten/Archivieren ermöglicht. Die Trennwände der herkömmlichen Raumunterteilungen in Wohnen, Essen, Schlafen usw. weisen dann keine Tragfunktion mehr auf. Dieser Konstruktion zunutze kommen die Schallschutzvorschriften, gemäss derer die Decken meist ein Mindestmass aufweisen müssen, das die statisch notwendige Deckenstärke übertrifft. Dieser «Zuwachs an statischer Höhe» kann ohne nennenswerte tragwerksspezifische Mehrkosten für wesentlich höhere Spannweiten genutzt werden.
Die Statik erlaubt an sich eine freie Anordnung der Raumunterteilung. Gewisse Einschränkungen ergeben sich lediglich durch die Fenstereinteilung und durch gebäudetechnische Einbauten wie Bodenheizung oder Komfortlüftung. Vorausschauend können Planende diese Elemente und deren Auswirkungen anhand verschiedener Nutzungskonzepte prüfen. Die verbleibenden Freiheitsgrade ermöglichen dann die künftigen Umnutzungen: Aus einer Familienwohnung kann so z.B. eine Kombination aus Wohnen und Arbeiten oder eine hindernisfreie Alterswohnung entstehen.