«Ein Plädoyer für die horizontale Stadt»
Diskussionsbeitrag von Horst Eisterer, Zürich
Leserkommentar zu TEC21 26/2024.
«Der Beitrag des hervorragenden Architekten Peter Märkli in TEC21 26/2024 enthält grundlegende und wichtige Erkenntnisse für die Weiterentwicklung der Städte mit neuen Anforderungen und Herausforderungen. Ein Beispiel: ‹Die Setzung der Häuser› mache ‹eine Aussage darüber, wie die Menschen sich als Gemeinschaft begreifen›. Allerdings müssten auch die Menschen – nicht nur Architekten und Behörden - darauf Einfluss nehmen können. Mindestens braucht es ein Gespür dafür, was Menschen mögen und was ihnen guttut.
Ziel dieses Beitrags ist, die angestossene Diskussion fortzusetzen. Kritik und Widerlegung sind erwünscht.
➔ Die TEC21-Ausgabe 26/2024 zur Verdichtung im Kanton Zug, auf die sich der Leserbrief bezieht, finden Sie hier.
Den Trend in Zürich, schon beinahe nach Belieben in die Breite und Höhe zu bauen und Hotspots zu bilden, halten wir für wenig gemeinschaftsfördernd und demokratisch fragwürdig – städtebauliche Piraterie? Es ist immer abzuwägen, in welchem Mass die Bauordnung Ordnung schaffen und das willkürliche Emporschiessen von Hochhäusern verhindern soll.
Damit im Zusammenhang wird auch die städtebaulich sehr wichtige Frage angesprochen, ob und in welchem Masse Verdichtung nach hohen Gebäuden verlangt. Wir sind auch der Meinung, dass es im Sinn des Raumplanungsgesetzes weitere Verdichtung braucht, aber auch neue und vielleicht unkonventionelle Lösungen auch baurechtlicher Art, um insbesondere den enormen Mangel an Wohnungen für geringe Einkommen und den Mittelstand zu stillen.
Mit der aufwendigsten und teuersten aller Bauweisen, dem Hochhausbau, ist das kaum möglich. Das Votieren für Hochhäuser bedient das so plausible wie irreführende Vorurteil, man müsse, um mit Bauland sparsam umzugehen, und um eine hohe Dichte zu erreichen, mittels Hochhäusern sicherstellen, dass ausreichend Freiflächen entstehen.
Die Zusammenhänge zwischen Dichte, Geschossstapelung und Freiflächengewinnen sind leider zu wenig bekannt. Letztere nehmen nämlich mit jedem zusätzlichen Geschoss überproportional ab und werden ab fünf bis sechs Geschossen unbedeutend. Diesen mathematischen Zusammenhang hat schon Heinrich Serini (1913) beschrieben. Trotzdem wird immer wieder behauptet, durch das Bauen in die Höhe liessen sich in relevantem Masse Freiflächen gewinnen.
Selbstverständlich kann mit der fortgesetzten Anhäufung von Geschossen immer mehr Geschossfläche angeboten und die Ausnützungsziffer (als Mass der Verdichtung) erhöht werden – und damit auch die Rendite. Dabei verkleinert sich aber die Freifläche pro BewohnerIn.
Bei bedenkenloser Höhenentwicklung resp. Verdichtung wird gerne die Frage übersehen, wieviel Freifläche der Bewohnerschaft in Quadratmeter pro Person zur Verfügung steht. Durch zu kleine Freiflächen kann Dichtestress entstehen, der unserer Kultur, unserer Lebensweise und Vorstellung von Lebensqualität nicht entspricht.
Denn wir brauchen im Aussenraum ausreichend Frei- und Grünflächen zur Erholung und Begegnung, besonders die Kinder, wie es Kinderärzte fordern. Bei Hochhäusern sind die Freiflächen oft durch Unterflurbauten so beeinträchtigt, dass Bäume, die für das Stadtklima enorm wichtig sind, nicht gedeihen können.
Es gibt verschiedene Arten der Dichte. An dieser Stelle beziehen wir uns auf die Ausnützungsziffer, das Verhältnis zwischen der Wohnfläche und der anrechenbaren Landfläche. Die Zusammenhänge zwischen den Freiflächen, der Dichte (Ausnützungsziffer) und der Geschosszahl lassen sich – allerdings nur sehr generell und ohne Rücksicht auf spezifische Situationen – mathematisch darstellen und abschätzen (siehe Download unten).
Allein diese Feststellungen müssten ausreichen, insbesondere dem Wohnhochhausbau kritisch zu begegnen, wobei wir in städtebaulich und morphologisch stringent begründeten Ausnahmen Hochhäuser befürworten Diese müssen funktional wie formal Rücksicht auf ihr Umfeld nehmen, d.h. die Massstabssprünge als bezugnehmend wahrgenommen werden können.
(Neben den geplanten sehr breiten und 137 Meter hohen Hochhäusern beim Hardturm in Zürich wäre selbst das Grossmünster ein Zwergbau, von den Wohnsiedlungen daneben nicht zu reden.) Ist so noch ein sinnlich wahrnehmbarer Zusammenhang, eine «Proportion» erkennbar?
Städtebau darf nicht allein dem Markt und den Interessen der Anleger überlassen werden. Wir halten auch das Gewähren der Baubehörde von massiv höherer Verdichtung in Abweichung von den Bau- und Zonenplänen (höhere Ausnützngsziffer) im Tausch gegen andere Leistungen im Rahmen von Gestaltungsplänen für problematisch, zu Lasten eines einheitlichen, homogenen und demokratisch empfundenen Stadtgewebes.
Hochhäuser können an städtebaulich gut begründeten Orten durchaus berechtigt sein. Eine Strassenkreuzung oder eine ungünstige Arealgeometrie reichen aber für eine städtebauliche Begründung nicht aus. Dem Druck, solchen Hotspots mit Überverdichtung nachzugeben, sollte eine Baubehörde im Sinne des Gemeinwohls und unserer demokratischen Rechtsordnung widerstehen.
Es tut Not, Stadtbaukunst zu wollen und sie über Einzelinteressen zu stellen. Nur so können lebendige, sozial wie funktional durchmischte, umweltgerechte und Raumgeborgenheit vermittelnde Städte entstehen. (Eine alte und wieder neu aufgelegte Forderung: Stadt der kurzen Wege (Verhältnis Wohnende : Arbeitsplätze etwa 2:1.)
Die Fragestellung, ob sechsgeschossige Häuser schöner als achtgeschossige sind, halten wir mit Herrn Märkli für geschmäcklerisch und nicht für zielführend. Allerdings haben die Gebäudehöhen und die Gebäudeabstände einen erheblichen Einfluss auf die Qualitäten des Stadtraums. Dies zeigt sich in den schönsten Städten, ihren massstäblichen Beziehungen der raumbildenden Fassaden in Parzellenstruktur zu den Aussenräumen, mit Raumgeborgenheit in den Strassen, Plätzen, Gassen und Höfen.
Neben diesen Überlegungen und Feststellungen sprechen auch die Klimakrise und der hohe ökologische Fussabdruck gegen den Bau von Hochhäusern, für dichtes, in der Regel etwa sechsgeschossiges Bauen – humanverträglich und ohne exzessive Übertreibungen. Forschungsergebnisse und die Erfahrungen mit weltweit schönsten und dichten Städten ohne Hochhäuser bestätigen dies.
Überdies weisen prominente Städtebauer wie Humanwissenschaftler auf diese, die soziale Segregation fördernde Hochhausbauweise hin. Auch die Kosten sind, wie erwähnt, erheblich höher (Statik, Gebäudetechnik, Transportanlagen, Brandschutz) – im Bau, Betrieb und im Unterhalt. Das zeigen auch die sehr hohen Mietpreise im Angebot.
Umfassende Überlegungen zum Klimawandel, zur Ökologie und zu menschlichen Bedürfnissen legen den Schluss nahe: Für dichten, guten und schönen Städtebau müssen wir nicht mit aufwendigen Hightech-Gebäuden in die Höhe streben, so sehr diese Herausforderungen ehrgeizige Ingenieure und Architekten anspornen mag.
Unsere Vorfahren bauten unsere Altstadt, die Bahnhofstrasse und Gründerzeitbauten am damaligen Stadtrand. Alle diese Bautypologien lassen sich kontinuierlich verändern und an die gesellschaftlichen Bedürfnisse anpassen. Transformatorisches Bauen ist wieder wichtig geworden für die Zukunft unserer Stadt, umwelt- und menschengerecht. Eine Stadt mit Häusern und Identität.
Zur Frage neuer Lösungen: Wir müssen die alte Stadt, ohne einer Altertümelei zu verfallen neu interpretieren und den Gegebenheiten und den sich anbahnenden Herausforderungen anpassen. Ist es nicht wunderbar, dass sich die die innere Ökonomie schöner alter Städte durch geometrische Gesetzmässigkeiten begründen lassen? Dazu gehört auch das Prinzip der Blockrandbebauung: Etwa ein Siebtel der Kantenlänge eines Quadrats als Rand ist gleich gross wie die gesamte innere Fläche.
Die «horizontale Stadt» ist als ein einheitliches und dennoch vielfältiges Gewebe zu verstehen. Dieses leistet alles, was sich die Menschen wünschen: preisgünstige Wohnungen in umweltschonender Bauweise, soziale Durchmischung, ausreichend hohe Dichte mit angenehmen Aussenräumen auf der Höhe der Baumkronen – und sie ist transformierbar. Deshalb müsste auch unsere Bauordnung eine Umbauordnung werden.
Falls die Frage gestellt würde, welche Gründe den derzeitigen Hochhaustrend beflügeln: Dass Investoren an sehr hohen Dichten interessiert sind, ist nachvollziehbar. Geschossfläche heisst Ertrag. Auch Prestigegründe und ‹Corporate Identity› mögen für dominante Höhe Gründe sein.
Die Behauptung aber, zu Urbanität gehörten auch Hochhäuser, ja es brauche sie, ist rational nicht nachvollziehbar. Sie widerspricht der Realität in dichten und schönsten Städten der Welt. Bleibt noch die schöne Aussicht – sofern nicht weitere Hochhäuser diese wegstehlen.»
Horst Eisterer, Arbeitsgruppe Städtebau+Architektur Zürich, asaz-arch.ch
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