Al­pi­ne Hütten im Wan­del

In den letzten 15 Jahren wandte sich der Schweizer Alpen-Club SAC zunehmend von der direkten Auftragsvergabe ab und lobte immer mehr Wettbewerbe aus. Zusammen mit Architekten und Mitgliedern der Hüttenkommission blicken wir zurück auf vier Projekte der hochalpinen Architektur des vergangenen Jahres.

Publikationsdatum
05-02-2024

Alpine Berghütten berühren uns und brachten als «Urhütten» bereits Architekturtheoretiker zum Träumen. Bauen im Hochgebirge bedeutet in der Praxis aber auch die Auseinandersetzung mit einer extremen Umgebung: Abgeschiedenheit, erzwungene Energieautonomie, eine komplexe Wasserversorgung und Materialknappheit – ein schmaler Grat zwischen vernakulärem Bauen und Hightech.

Klima- und Nutzungswandel

Mit über 150 Hütten ist der Schweizer Alpen-Club SAC heute der grösste Hüttenbesitzer und -betreiber in der Schweiz. Seit seiner Gründung im Jahr 1863 wirkt der SAC an der Entwicklung der alpinen Umwelt und des Alpinismus mit. Diese Aufgabe habe sich jedoch stark verändert, erklärt Eik Frenzel, ein ehrenamtlicher Mitarbeiter der Hüttenkommission des SAC-Zentralverbands. Für den Architekten sind die Veränderungen in erster Linie auf den Klimawandel zurückzuführen.

Neben der Wasserknappheit1 sei der Rückzug des Permafrosts eine grosse Bedrohung für die Berghütten. «Eine Folge davon ist Steinschlag, der so manche Passage gefährdet. Die Hüttenwarte und Hüttenwartinnen sichern die wichtigsten Routen, denn davon sind die Besucherzahlen abhängig.» Auch die Nutzung der Berge habe sich verändert, so der Architekt. Dank besserer Ausrüstung seien die Bergsteiger heute in der Lage, Strecken schneller zurückzulegen. Und während früher nur vereinzelte Menschen der widrigen Umgebung trotzten, werde das Hochgebirge heute von verschiedenen Bevölkerungsgruppen frequentiert.

Ein Trend, den der SAC beobachtet, ist die Verschiebung von Übernachtungen zu mehr Tagesgästen.2 Die unterschiedlichen Nutzungszeiten belasten die Hütten und wirken sich auf die Grundrisse aus. Der grosse Schlafsaal, der früher unter dem Dach lag, wird beispielsweise nach und nach durch kleinere Zimmer ersetzt, die weniger Schlafplätze bieten und den unterschiedlichen Weckzeiten der Nutzenden entsprechen.

Die Entwicklung bedeute aber nicht, dass die Hütte zum Hotel werde. Für Laurianne Vaudan, Hüttenwartin der 2011 renovierten Tourche-Hütte im Wallis, bleibt sie ein Ort, an dem die Erfahrung von Zusammenleben und Genügsamkeit gemacht werden kann. In der Realität bleibt das Gleichgewicht prekär: Die Ansprüche der Gäste steigen zunehmend und die meisten Versorgungsgüter müssen per Hubschrauber geliefert werden.

Der Preis für Qualität

Vor dem Hintergrund dieser komplexen Herausforderungen sehen wir uns vier Wettbewerbe genauer an, die der SAC im vergangenen Jahr organisiert hat. Insgesamt nahmen 25 Teams an den Wettbewerben für die Vélan-Hütte, die Trift- und Mutthornhütte sowie die Weissmieshütten teil. Die vier Wettbewerbe stehen für die Schwierigkeiten, mit denen Bauten im Hochgebirge heute konfrontiert sind. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse könnten sich für die kommenden 13 Verfahren als wegweisend erweisen.3

Früher haben Mitglieder bei der Renovation der Hütten mitgewirkt, heute bevorzugt der Verband die Durchführung von Architekturwettbewerben. Der Bauleitfaden für SAC-Hütten ziele darauf ab, die architektonische Qualität zu gewährleisten und die Sektionen über die Wettbewerbsorganisation zu informieren, erklärt Hanspeter Bürgi, Partner von Bürgi Schärer Architekten, Professor an der Berner Fachhochschule und derzeitiger Präsident der SAC-Hüttenkommission. Die Bedingungen entsprechen den Empfehlungen der SIA-Ordnungen, mit dem Unterschied, dass die Preisgelder aufgrund der begrenzten Mittel des SAC niedriger sind.4 Das scheint dem Interesse an einer Teilnahme keinen Abbruch zu tun: Für den offenen Wettbewerb der Steinbockhütte im Kanton Wallis haben sich beispielsweise zum Zeitpunkt des Gesprächs 69 Teams aus der ganzen Schweiz angemeldet.

Als privater Bauherr sei der SAC nicht verpflichtet, Wettbewerbe zu organisieren. Dies sei aber nicht nur eine ethische Entscheidung, sondern führe im Gegensatz zu freihändigen Mandaten auch zu mehr Legitimität, erklärt Ulrich Delang, Architekt und Leiter des Bereichs «Hütten» beim SAC, und ergänzt: «Die Interventionen beschränken sich darauf, bestehende Hütten zu renovieren und umzubauen oder sie an einem sichereren Ort wieder aufzubauen.»

Die steigenden Baupreise – in einigen Kantonen ist das Bauen bis zu 25 % teurer geworden – werden in Zukunft auch die Strategien des SAC stark beeinflussen: Laut Delang kostet ein Schlafplatz im Durchschnitt 70 000 Franken – Kosten, die schon bis anhin nicht über den Übernachtungspreis gedeckt werden konnten.

Cabane du Vélan: Eine Ikone wird verwandelt

Das Siegerprojekt für den Umbau und die Erweiterung der berühmten Vélan-Hütte ist für manche eine «geniale Lösung», für andere eher fragwürdig. Die verstreuten Volumen der letzten 30 Jahre sollen abgerissen und ihre Nutzung in das Hauptgebäude integriert werden. Das Gewinnerteam will den Originalzustand von 1993 wiederherstellen, indem es zwischen Erdgeschoss und dem ersten Stock eine zusätzliche Etage einfügt. Dafür soll das Holz-Metall-Skelett der Hütte durchtrennt und mithilfe von Hydraulikzylindern angehoben werden. Eine kühne, teure und auf den ersten Blick nicht realisierbare Lösung. Ein genialer Schachzug oder die Verschandelung einer Berghütte?

Trifthütte: Verbirgt sich hinter Pragmatismus die Zukunft?

Der Wettbewerb für den Wiederaufbau der Trifthütte, die 2021 von einer Lawine zerstört wurde, war die Gelegenheit, das Programm der Hütte von Grund auf neu zu definieren. Eine verpasste Gelegenheit, denn als Sieger ging ein pragmatisches Projekt hervor. Der Entwurf «Trift» greift für die Hütte, die auf einem Felsgrat unterhalb des heutigen Standorts neu errichtet werden soll, ein prototypisches Bild auf: solid, komfortabel und orthogonal. Eine Berghütte aus Stein, Holz und Schindeln, die Topografie, das Klima und Naturgefahren berücksichtigt. Die konkurrierenden Teams schlugen interessantere Lösungen vor, wie die Wiederverwendung von Baumaterialien der alten Hütte beim Projekt «Triftheck» von Freiluft Architekten oder ein sorgfältig entworfenes Volumen mit einer Fassade aus Blechschuppen und PV-Panels im Entwurf «Turmalin» von Graber Pulver Architekten. Am Ende machte dann doch die präzise und sparsame Lösung das Rennen.

Mutthornhütte: Nachhaltige alpine Architektursprache

Durch den Rückgang des Permafrosts ist die Mutthornhütte besonders gefährdet: 2021 nahmen die Felsbewegungen und Erdrutsche so stark zu, dass die Sektion die Hütte aus Sicherheitsgründen schliessen musste. Etwa 1 km unterhalb des bestehenden Gebäudes soll deshalb auf 2780 m ü. M. ein Ersatzneubau entstehen. Beim Wettbewerb setzte sich das Nachwuchsbüro ARC1706 durch, das ein neues Bild aus Metall und Solarzellen zeichnet. Das Projekt sei zwar ausgereift, doch das Material wurde vom SAC in Bezug auf die Nachhaltigkeit infrage gestellt.

Die Jury lobte das zweitrangierte Projekt von Meili, Peter & Partner einerseits für die Verwendung einer Holzstruktur mit Punktfundamenten – die eine hohe Setzungstoleranz erlauben – und andererseits für die Fassadenverkleidung aus Fichtenholz und die Wiederverwendung von Teilen der bestehenden Hütte. Den Sieg raubten jedoch das grosse Volumen des Projekts, die Auskragung von 4 m auf der Westseite, die nur mit unverhältnismässig hohem Aufwand zu realisieren wäre, und nicht zuletzt die Baukosten, die das Budget um 25 % überschritten.

Die Weissmieshütten: Eine Volkssprache im Wandel

Wie viele Hütten erfüllen auch die beiden Weissmieshütten nicht mehr die heutigen Anforderungen. Der Siegerentwurf der ARGE Sonja Huber und Carol Hutmacher ist zwar klassisch, entspricht aber dem Programm. Laut Ulrich Delang ein gutes Beispiel für Integration: Die alte, kleine Hütte wird kaum berührt und zeugt von der Geschichte, während die neue Hütte den Dialog sucht. Die Architektinnen setzen die Tradition der Hütte mit Steinsockel und in Holzbauweise fort und entwickeln die architektonische Sprache gleichzeitig weiter.

Die Hütten leben lassen

In der Geschichte des alpinen Bauens sind zwar bauliche Trends erkennbar – die malerischen, heimatschutzorientierten Hütten am Anfang des 20. Jahrhunderts, die futuristische Architektur der 1960er-Jahre oder die kompakten Bauten des frühen 21. Jahrhunderts – doch es ist nicht das Ziel der heutigen Wettbewerbe, den Prototyp der Berghütte der Zukunft zu definieren. Im Fokus stehen stattdessen kontextspezifische Lösungen. Heute ist im alpinen Kontext das Thema Suffizienz wichtig. Sowohl in Bezug auf Energie, Wasser und das Bauen als auch hinsichtlich der knappen Budgets der Sektionen. Es ist eine Herausforderung, die architektonische Qualität zu erreichen, die dem Kontext und Programm angemessen ist», sagt Bürgi.

Angesichts der Kritik von Hochparterre Wettbewerbe5am Ergebnis der Trifthütte und des Vorwurfs, dass der SAC «pragmatische Entscheidungen» treffe, stellt Bürgi klar: «Ich akzeptiere diese Kritik. Im Fall der Trifthütte und der Mutthornhütte wurde das Programm nicht aufmerksam genug gelesen. Die Tür für Innovationen und die Entwicklung angepasster Typologien blieb aber offen. Trotz der Einschränkungen Lösungen zu finden, kann eine produktive Übung sein. Und vielleicht werden Wettbewerbe, an denen sich mehr Teams beteiligen, auch mehr anregende Antworten bieten.»

Eine enthusiastische Phase, die wir derzeit durchlaufen: Es eröffnet sich ein enormes, noch nicht ausgeschöpftes Experimentierfeld. Wie bringt man Klima, Landschaft, Resilienz und Architektur in Einklang? Auch wenn die Ergebnisse der vergangenen Wettbewerbe eine gewisse Ernüchterung mit sich brachten – vielleicht sind diese als Beitrag zu einer übergeordneten Debatte zu betrachten.

Auch die heroischsten experimentellen Bauten waren nicht immer erfolgreich: so etwa die berühmte Biwak-Hütte, die 1938 von der Architektin Charlotte Perriand und dem Ingenieur André Tournon entwickelt wurde. Sie konnte von Wandernden in vier Tagen zusammengebaut werden und bestand aus ultraleichten Aluminiumrohren und Sperrholzplatten. Und auch wenn ihr die starke Windbelastung letztlich zum Verhängnis wurde, so ist sie in mancher Hinsicht die Vorläuferin vieler technischer Entwicklungen des heutigen Bergsteigens. Nüchternheit und ethische Prozesse werden wohl die besten Wege sein, um diesen Pioniergeist wiederzuerlangen.

Dieser Artikel entstand auf der Grundlage von Interviews mit Hanspeter Bürgi, Ulrich Delang und Eik Frenzel, Architekten und Mitglieder der Hüttenkommission. Er wurde auch durch mehrere Wandersaisons in den Alpen genährt.

Anmerkungen

 

1 Einige Hütten mussten aufgrund von Wassermangel sogar ihr Saisonende vorverlegen, etwa das Refuge de la Selle in den Écrins (F) oder die Britannia-Hütte VS.

 

2 Jacques Mourey, Christophe Clivaz und Philippe Bourdeau, «Analyser l'évolution des pratiques sportives en montagne peu aménagée à partir des données de fréquentation des cabanes. Applications aux Alpes valaisannes», Journal of Alpine Research/Revue de géographie alpine 111-1, 2023.

 

3 Die Wettbewerbe für die Gelmerhütte, Dammahütte und Sustlihütte wurden kürzlich entschieden; die Wettbewerbe für die Steinbockhütte, die Etzlihütte, Sewenhütte, Susanfe-Hütte, Oberaletschhütte und Bergseehütte sind noch im Gange. Ulrich Delang erklärte zudem, dass vier neue Hüttenwettbewerbe in Vorbereitung sind.

 

4 Bei den vier hier untersuchten Wettbewerben beträgt die Gesamtdotierung der Entschädigungen in der Regel 30 000 Franken inklusive Mehrwertsteuer: Jedes zur Bewertung angenommene Projekt wird mit einem Pauschalbetrag von 5000 Franken entschädigt.

 

5 Ivo Bösch, «Komfortable Bescheidenheit», Hochparterre Wettbewerbe 3/2023.

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