Ei­ne Um­ar­mung für die CSS

Die Erweiterung des bestehenden CSS-Hauptsitzes in Luzern klingt nach einer Alltagsaufgabe. Komplizierter wird es, wenn zwischen Bestand und dem Grundstück für die Erweiterung ein Altbau steht, der im Vorfeld für jahrelange Streitigkeiten gesorgt hat und den es nun zu integrieren gilt.

Publikationsdatum
12-07-2024

Genau nachzuzeichnen, unter welchen Vorverfahren es zu diesem Wettbewerb gekommen ist, würde das Volumen dieses Artikels sprengen. Es sei nur angemerkt, dass der Erhalt des Gewerbegebäudes «Tribschen» lange auf Messers Schneide stand. Das 1933 von Carl Mossdorf entworfene Pionierbauwerk ist in die Jahre gekommen und seine ursprüngliche Form, die einst den fünf Punkten Corbusiers entsprach, ist durch viele Umbauten nicht mehr erhalten. Der Bau bedarf also einer umfassenden Sanierung und formalen Rückbesinnung auf die Ursprungsform.

Dass es letzten Endes überhaupt dazu kommt, ist der Luzerner Architekturszene zu verdanken, die – wie Jurymitglied Bernhard Furrer erklärt – viel für den Erhalt von denkmalpflegerisch signifikanten Bauwerken tut. So zum Beispiel für den grossen Saal des Hotels Schweizerhof, die Zentralbibliothek im Vögeligärtli und künftig hoffentlich auch für das Neubad. Diese Offenheit führte letztlich zur wettbewerblichen Vorgabe, dass der Zeitzeuge der frühen Moderne «im Sinne einer städtebaulich und architektonisch qualitätsvollen Gesamtlösung» zu integrieren und zu erhalten sei. 

Das war wohl auch die schwierigste Aufgabe für die Teilnehmenden und das primäre Ausschlusskriterium der ersten anonymen Runde des zwei­stufigen Wettbewerbs auf Einladung.

Erste Runde: Städtebau

Vier der fünf im ersten Durchgang ausgeschiedenen Projekte umschlies­sen das Gewerbegebäude so stark, dass es nicht mehr erkennbar ist, oder verpassen den Anschluss an den Neubau. Die ARGE MSA Meletta ­Strebel Architekten / Gut Deubel­beiss Architekten schiebt es sogar an den östlichen Rand des Bearbeitungs­perimeters – ein Genius Loci ad absur­dum. Allerdings wirft der Ausschluss des letzterwähnten Beitrags die Frage auf, inwieweit eine, wenn auch abstandhaltende, Ummantelung des historischen Gebäudes von drei Seiten nicht eher der Idee der städtebaulichen Entwicklung von 1933 entspricht. Gemäss der Analyse von Lussi + Partner Architekten war für das Tribschenquartier nämlich eine heterogene, aber zusammenhängende Struktur vorgesehen. So wäre die momentane Freistellung lediglich dem zeitlichen Ablauf geschuldet.

Das 2017 ausgearbeitete Gutachten von Bernhard Furrer betrachtet die Situation differenzierter und ordnet die Solitärstellung des Baus als ein wichtiges städtebauliches Merkmal ein. Einzig die Nordseite des Gewerbegebäudes entwarfen die damaligen Architekten geschlossen, mit dem Ziel, einen späteren Anbau zu ermöglichen. Um den Ansprüchen an einen effizienten Arbeitsablauf der CSS gerecht zu werden, gibt es nur zwei Möglichkeiten: Das Bestandsgebäude T21 aufzustocken oder auf dem Grundstück östlich des Gewerbebaus zu erweitern und in Fortsetzung der Rosslimatte zu verbinden. Ersteres ist wohl nicht mit dem Bebauungsplan und wirtschaftlichen Erwägungen vereinbar, Letzteres ergibt sich aus der beschriebenen städtebaulichen Einordnung. 

Zwischenkritik

Die fünf anderen, nun nicht mehr anonymen Teams überarbeiteten nach individueller Kritik ihre Entwürfe. Alle hatten bereits im Vorfeld einen geeigneten Umgang mit dem Gewerbebau gefunden und betten das bestehende Volumen mehr oder weniger frei ins Areal ein. Wie erwähnt, argumentieren Lussi + Partner Architekten ihre Platzierung der Neubauten als historisch intendiert. Gemäss dieser Analyse rücken sie mit ihrem Entwurf vergleichsweise dicht an den historischen Altbau und integrieren diesen in ein den ursprünglichen Absichten folgendes Ensemble. Auch wenn die Ausarbeitung Lob bei der Jury findet und der städtebauliche Ansatz als ge­schichts­­schreibend gesehen wird, bringt die Abweichung vom Nutzungskonzept der CSS das Projekt zum Kippen.

Alle anderen Beiträge sehen die Freistellung als Prämisse, rücken mehr vom Altbau ab und schaffen verschiedenartige additive Verbindungen zu den Neubauten.

Die Idee von Caruso St John Architects ist ungewöhnlich: Die Planenden verbinden Alt- und Neubauten, indem sie Passerellen von allen ­Seiten in das Gewerbegebäude schiessen und darüber hinwegführen. Das Ganze erinnert an eine im Spinnennetz verhedderte Fliege und schürt Mitleid für das gefangene «Opfer». Bekannt ist die Form vor allem aus der Industriearchitektur, wo Verbindungen zwischen Pro­duktions­schritten an verschiedenen Orten geschaffen werden müssen, wie beispielsweise bei der Van-­Nelle-Fabrik in Rotterdam. Dieser Zweck drängt sich hier nicht vordergründig auf, wird aber von der Jury als Innovation gefeiert. Ausschlusskriterium war das fehlende Verständnis an der Kritik nach der ersten Stufe, die unter anderem die unzureichende Barrierefreiheit der Passerellen bemängelte. 

Huber Waser Mühlebach Architekten opfern acht Wohnungen mit Schutzraum und ein Treppenhaus, um eine städtebauliche Lösung zu präsentieren, die im Modell bestechend einfach wirkt: die Verlängerung des Riegels entlang der Rosslimatte bis zur Ecke Anton-­Julius-­Eggstein-Gasse. Die Erweiterung touchiert dabei das Gewerbegebäude an der nordöstlichen Ecke. Die Architekten nutzen diese Berührung gleich als Übergang. In seiner Solitärstellung im Stadtraum wirkt der Bestand aber bestätigt. Das Abdrehen des Neubaus führt zu einer spitzwinkligen Lücke an der Nordseite, die architektonisch ungelöst wirkt – eine «zufällige […] Kollision», so die Jury. Die Leichtigkeit der städtebaulichen Erscheinung hat zudem Konsequenzen für die Erfüllung anderer Anforderungen. Die hervorgerufenen Kompromisse führen zu einem nicht abgerundeten Ergebnis und damit zum Ausschluss des Beitrags. 

Zweite Runde: Willkommen in der Kuschelecke

«Gleichsam einer Umarmung» lassen sowohl das Siegerteam um Diener & Diener Architekten als auch Gigon Guyer Architekten den Neubau hinter dem Gewerbegebäude hindurchfliessen und erschaffen damit ein Bühnenbild für den historischen Altbau. Letztere unterstützen dieses Bild mit einer gleichförmigen Fassade für den gesamten Neubau. Der Entwurf wirkt flies­send und ohne Konkurrenzabsichten gegenüber dem historischen Gebäude, und das, obwohl er über dessen gesamte Nordseite andockt. 

Unelegant wirkt die Positionierung der Gebäudedurchbrüche, was im Grundriss des Erdgeschosses sofort sichtbar wird. Der appendixartige Westflügel des Neubaus sorgt für eine schlauchförmige Verbindung zwischen Tribschenstrasse und Rosslimatte. Hier hätte sich eine Öffnung zum westlichen Hof neben dem Gewerbegebäude angeboten und so für städtischen Freiraum mit Qualitäten über die reine Verbindung hinaus gesorgt. 

Der Gewinnerentwurf von Diener & Diener macht dagegen fast alles richtig: eine das Gewerbe­ge­bäude allseitig respektierende Distanz, die formale Integration und Gleichstellung der Ensembles, wohl­proportionierte, elegante Platz­­räu­me, sinnige und effiziente Verbindungen zwischen den Gebäuden und eine Grundrissorganisation, die den gewünschten Abläufen der Nutzerin entspricht sowie Flexibilität für die zukünftige Entwicklung lässt. Lediglich die formale und farbliche Ähnlichkeit des T21-Anbaus mit dem Gewerbegebäude führt zu einer unverständlichen Angleichung. Der Entwurf zeigt ein wirtschaftliches, technisch konsequentes, gut nutzbares und nachhaltiges sowie LEED Platinum zertifiziertes Gesamtwerk und ist damit klar der Sieger. 

Ob hier der neue Leuchtturm des Tribschenquartiers entsteht, ist wahrscheinlich nicht die richtige Frage. Wichtiger ist, der Geschichte der Stadt gerecht zu werden, städtebauliche Absichten zu vervollständigen und architektonische Schätze als solche zu erkennen und wertzuschätzen. Freuen wir uns, dass das lange Bangen um eine Ikone der Moderne nun ein gutes Ende findet.

Erweiterung CSS-Hauptsitz (TS 2), Luzern
Zweistufiger Studienauftrag auf Einladung

 

Projekte der Zweiten Stufe

 

Siegerprojekt: «Lambris»
Diener & Diener Architekten, Basel; Büro für Bauökonomie, Luzern; Schnetzer Puskas Ingenieure, Basel; Waldhauser + Hermann, Münchenstein; Pro Engineering, Basel; Schmutz + Partner, Basel; Gartenmann Engineering, Luzern; Bryum, Basel; KSI Brandschutz, Kasburg Siemon Ingenieure KIG, Basel; Be Netz, Luzern; Emmer Pfenninger Partner, Münchenstein

 

Team 2: «Équilibre»
Huber Waser Mühlebach Architektur, Luzern; TGS Bauökonomen, Luzern, besshess, Luzern; brücker + ernst, Luzern

 

Team 3: «Modern Times»
Lussi + Partner, Luzern; Schärli Archi­tekten, Luzern; Dr. Lüchinger + Meyer Bauingenieure, Luzern; PB Ingenieure für Energie- und Gebäudetechnik, Sarnen; Jules Häfliger, Luzern; koepflipartner landschaftsarchitekten, Luzern; Grüner, Zürich; Dr. Peter Omachen, Luzern

 

Team 4: «La Baleine»
Annette Gigon/Mike Guyer Architekten, Zürich; Ghisleni Partner, Zürich; Büeler Fischli Bauingenieure, Ibach; JOP Josef Ottiger + Partner, Rothenburg; Elektro-Ingenieure Meyer + Partner, Stäfa; Bischoff Landschaftsarchitektur, Baden; Lemon Consult, Basel 

 

Team 5: «Synkope»
Caruso St John Architects, Zürich; WT Partner, Zürich; Ferrari Gartmann, Chur; Kalt + Halbeisen Ingenieurbüro, Zürich; enerpeak, Dübendorf 

 

Fachjury

 

Daniel Niggli, Architekt, Zürich; 
Doris Wälchli, Architektin, Lausanne; Ludovica Molo, Architektin, Lugano; Patrik Bisang, Architekt, Luzern; 
Pascal Hunkeler, Stadt Luzern; 
Prof. Dr. Bernhard Furrer, Architekt, Denkmalpfleger, Bern (Ersatz) 

 

Sachjury

 

Philomena Colatrella, CEO CSS; Daniel Zimmermann, Konzernleitungsmitglied CSS; Thomas Gehrig, Leiter Immobilien CSS; Christoph Scherer, Architekt, CSS

 

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