«Güns­tig be­deu­tet nicht bil­lig»

Die Schweizerische Vereinigung Beratender Ingenieurunternehmungen usic hat einen neuen Präsidenten: Auf Heinz Marti folgt Bernhard Berger, CEO der Rapp Gruppe. Wir sprachen mit ihm über faire Honorare, politisches Engagement und die Zukunft der Ingenieurberufe.

Publikationsdatum
24-04-2018
Revision
24-04-2018

Bernhard Berger, Dipl. Bauingenieur ETH SIA, arbeitet seit 1990 bei der Rapp-Gruppe, seit 2010 als deren CEO. Er ist Vorstandsmitglied der Handelskammer beider Basel und Präsident der Verkehrskommission. Seit 2010 engagiert er sich im Vorstand der usic, 2014 wurde er Vizepräsident. Am 20. April 2018 wählte ihn die Generalversammlung zum Präsidenten der usic für die Amtsperiode 2018–2020. Mit Bernhard Berger sprach Judit Solt, Chefredaktorin TEC21.

TEC21: Herr Berger, Ingenieurinnen und Ingenieure klagen über einen ruinösen Preiswettbewerb: Manche Büros offerieren Stundenansätze von 50 bis 60 Franken. Die Aufhebung der Honorarempfehlungen von KBOB und SIA ver­­schärft die Situation, ebenso wie das öffentliche Beschaffungsrecht, das auf den Preiswettbewerb statt auf den Qualitätswettbewerb fokussiert. Was tut die usic?
Bernhard Berger: Wir kon­zentrieren uns auf die Chancen, die sich bei der Revision des Bun­­des­­gesetzes über das öffentliche Beschaffungswesen eröffnen. Der SIA, die usic und weitere Ver­bände haben die Allianz für ein fortschrittliches öffentliches Beschaffungswesen (AföB) gegründet, um politische Lobbyarbeit zu leisten. Wir postulieren, dass standardisierte Leistungen aufgrund des Preises vergeben werden können, nicht standar­disierte – wie intellektuelle Dienstleistungen und insbesondere Planerleistungen – dagegen nur nach der Qualität zu beurteilen sind. In dieser Konsequenz wer­den wir die Forderung wohl nicht durchbringen, aber das Thema ist endlich auf dem Tisch.
Ein wei­terer Erfolg ist, dass die vorbereitende Kommission des Nationalrates (WAK-N) unser Anliegen der sogenannten Angebotsplausibilisierung aufgenommen hat. Neu soll im Gesetz verankert werden, dass der Auslober ein unüblich tiefes Angebot prüfen muss – nicht um den Preis infrage zu stellen, sondern um zu klären, ob der An­bie­ter die Auf­gabe richtig verstanden hat. Das eliminiert nicht alle Exzesse, den Unternehmen ist weiterhin freigestellt, Dumpingpreise anzubieten; aber es erspart dem Auslober spätere Auseinandersetzungen.
Ebenfalls als Erfolg werten wir, dass die WAK-N nicht mehr vom «wirtschaftlich günstigsten», sondern vom «vorteilhaftesten» Angebot spricht. Das klingt nach Haarspalterei, ist aber wichtig: «Wirtschaftlich günstig» wurde bisher oft mit «billig» gleichgesetzt, «vorteilhaft» fokussiert auf das Verhältnis von Preis und Leis­tung. Das ist ein Fortschritt, weil der Auslober nun gezwungen ist, Preis und Leistung gegeneinander abzuwägen. Wir hoffen, dass das so vor das Parlament kommt und dieses das weiterträgt.

TEC21: Wie halten Sie vom Vorgehender Weko, Honorare mpfehlungen zu unterbinden?
Bernhard Berger: Das hätten wir nicht ge­braucht: Die Branche ist kompetitiv, der Wettbewerb funktioniert, unser System hat sich bewährt und bot wenig Raum für Missbrauch. Doch die Weko interessiert sich weniger für die Praxis als dafür, ob es potenziell wettbewerbsverzerrende Elemente geben könnte. Seit dem Gaba-Urteil reicht der alleinige Verdacht, dass Absprachen möglich wären, für eine Untersuchung – nicht erst der Nachweis; die Beweislast ist also umgekehrt. Damit müssen wir leben. Auch in umliegenden Ländern sind Honorarordnungen unter Druck oder schon abgeschafft.

TEC21: Was sind die unmittelbaren Folgen für die Ingenieurinnen und Ingenieure?
Bernhard Berger: Wir sollten die Situation auch als Chance begreifen, um über unsere Honorarmethodik nachzudenken. Sicher ist, es wird mehr Verantwortung beim einzelnen Unternehmer liegen, eine korrekte Preiskalkulation zu machen. Das trifft vor allem kleinere Büros, die weniger stark betriebswirtschaftlich strukturiert sind; ein einfaches Hilfsmittel fällt weg, sie müssen sich genauere Rechenschaft über die eigenen Kosten ablegen. Auch für die Auftraggeber wird die Planung anspruchsvoller, weil sie keine Kalkulationsgrundlage mehr für anfallende Honorarkosten haben. Alle müssen sich entwickeln – ein harter, aber vielleicht ganz heilsamer Prozess.

TEC21: Werden die Honorare jetzt weiter sinken?
Bernhard Berger: Die Ausschläge werden zunehmen – in beide Richtungen: Die KBOB-Empfehlungen legten Maximaltarife fest, nun kann man auch höher offerieren. Es besteht aber ein gewisses Risiko, dass einzelne Behörden eigene Maximal­tarife festlegen; falls diese unvernünftig tief ausfallen, werden wir dagegen ankämpfen müssen. Wenn der Markt frei sein soll, dann bitte wirklich frei! Als Referenz im Hinterkopf werden die KBOB-Tarife einige Jahre überleben. Bis sich das auswächst, kann die Branche den Wandel positiv umsetzen.

TEC21: Wo sehen Sie konkrete Chancen?
Bernhard Berger: Man kann sich mit hoher Qualifikation und guten Ideen differenzieren. Wenn das Verhältnis von Preis und Leistung stimmt, kann man gegen tiefe Honorare für schlechte Leistungen konkurrieren. Die Abhängigkeit des Honorars von der Bausumme war be­rechtigter Kritik ausgesetzt, weil sie falsche Anreize setzte: Planerinnen und Planer sollten nicht dafür belohnt werden, dass sich ein Bauwerk unnötig ver­teuert. Den meisten ist das auch bewusst. Nun müssen sie lernen, wie man eine qualifizierte Schätzung des Aufwands vornimmt ­und einen guten Angebotspreis errechnet.
Die Auslober wiederum müssen ihre Bestellerkompetenz stärken; sie müssen erkennen lernen, ob sich hinter einer tiefen Honorarofferte ein teurer Bau verbirgt. In dieser Hebelwirkung liegt ein enormes Sparpotenzial für Auftraggeber; um es zu nutzen, lohnt es sich allemal, etwas mehr Planungshonorar zu bezahlen. ­Es geht darum, das in jeder Hinsicht beste Projekt auszuwählen. Das Wettbewerbswesen, wie es in der Architektur praktiziert wird, hat sich bewährt: Über Ideen­wett­bewerbe kommen Auslober eher ­zu innovativen Vorschlägen als über Honorarofferten.

TEC21: Nicht alle Auslober verfügen über die nötige Bestellerkompetenz, vielen fehlen schlicht die Ressourcen.
Bernhard Berger: Die Liberalisierung der Honorarfrage fordert vor allem kleine Kommunen, das stimmt. Hier müssen die Verbände Hilfestellung bieten, sodass sich nach einer Phase der Unruhe ein Best Practice einstellt. Und wir müssen dranbleiben, uns auf der politischen Ebene mehr Gehör verschaffen.

TEC21: Was wird Sie als usic-Präsident in den nächsten Jahren sonst noch beschäftigen?
Bernhard Berger: Erstens: die Digitalisierung. Die Berufsprofile, die Struktur der Unternehmen, die Prozesse – all das verändert sich stark, schnell und unaufhaltsam. Der Verband muss seine Mitglieder motivieren, sich mit dieser Ver­änderung aktiv auseinanderzusetzten, und Hilfsmittel zur Verfügung stellen.
Zweitens: die Märkte. Es bereitet mir Sorge, dass öffentlich beherrschte Gesellschaften – insbesondere aus dem Energiebereich – in etablierte, bisher mit privaten Akteuren funktionierende Märkte eindringen. Die ursprüng­liche Absicht war, dass diese Gesellschaften sich in ihrem angestammten Markt be­haupten. Stattdessen weichen sie auf andere Märkte aus – und spielen dort ihre starke finanzielle Position aus, die sie in ihrer Ver­gangenheit als staatliche Monopolisten aufgebaut haben. Das ist politisch und volkswirtschaftlich ein Sündenfall.
Drittens: die Ausbildung. Bei den Fachhochschulen stellen wir eine Nivellierung nach unten fest. Die dem Föderalismus geschuldete Dezentralisierung, ja Atomisierung der Schulen führt zu einem Mangel an Lehrkräften; die Anzahl guter Köpfe ist limitiert. Und wie sollen kleinere Schulen, die nur mit Mühe genügend Studierende für ihre Lehrgänge finden, noch Qualitätsansprüche an die-se stellen? Konzentration wäre der bessere Weg. Die ETH hat zwei Standorte, wählt ihre Studierenden nach klaren Kriterien aus, anstatt sie zu akquirieren – und ist an der Weltspitze.


Keine Honorarempfehlungen

Im Sommer 2016 fällte das Bundesgericht ein Urteil, das beträchtliche Erschütterungen in der Planungsbranche aus­löste. Mit dem Leitentscheid Gaba (Elmex) vom 28. Juni 2016 (2C_180/2014) bestätigte das Bundesgericht, dass harte horizontale Wettbewerbsabreden wie Preisabsprachen grund­sätz­lich das Kriterium der «Erheblichkeit» der Wettbewerbsbeschränkung erfüllen. Ob sie eine tatsächliche Auswirkung auf den Markt haben, muss nicht mehr nachgewiesen werden; ein Verdacht genügt, damit die Eidgenössische Wettbewerbskommission Weko ein Verfahren eröffnen kann.

Damit gerieten auch die Honorarempfehlungen der ­Koordinationskonferenz der Bau- und Liegenschaftsorgane der öffentlichen Bauherren KBOB und des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins SIA unter Druck. Die KBOB sah sich gezwungen, ihre Honorarempfehlungen für Architekten- und Ingenieurleistungen per 1. Juli 2017 ausser Kraft zu setzen: Gemäss Weko Sekretariat stellten sie sehr wahrscheinlich eine unzulässige Wettbewerbsabrede dar, es drohte die Eröffnung einer Untersuchung wegen Verletzung des Kartellrechts gemäss Art. 27 ff. Kartellgesetz.

Im Herbst 2017 folgte der SIA: Die Weko äusserte die Vermutung, dass die LHO, die Charta «Faire Honorare für kompetente Leistungen» und einzelne Wegleitungen zur SIA 142 kartellrechtlich problematisch sein könnten. Um ein kostspieliges und reputationsschädigendes Verfahren zu vermeiden, trat der SIA weitgehend auf die Forderungen der Weko ein und überarbeitet nun die entsprechenden Dokumente. (Judit Solt)

Verwandte Beiträge