Un­be­kann­tes Ter­rain

Die Vor- und Nachteile der BIM-Methode im Infrastrukturbau werden seit Jahren diskutiert. Trotzdem fehlt den öffentlichen Bauherrschaften noch die Praxiserfahrung. Das Tiefbauamt des Kantons Zürich ist schweizweit eines der ersten Ämter, die die OpenBIM-Methode eingeführt haben. Von ersten Erkenntnissen berichtet die BIM-Expertin des Tiefbauamts.

Publikationsdatum
15-10-2021
Julie Picarel
Fachexpertin Erhaltungsmanagement und BIM, Kanton Zürich, Baudirektion, Tiefbauamt

Bei der Einführung und Umsetzung der OpenBIM-Methode hat sich relativ rasch gezeigt, wo wir heute im Infrastrukturbau mit der Digitalisierung stehen – nämlich noch ganz am Anfang. Die ­Schere zwischen Vorstellung und Realität im digitalen Bauen ist noch viel zu weit geöffnet.

Das Tiefbauamt (TBA) des Kantons Zürich hat im Februar 2020 eine Strategie und ein Umsetzungskonzept für die Einführung der OpenBIM-Methode bewilligt. Die Strategie beschreibt die Prozesse, Methoden und Anforderungen, um die BIM-Ziele auf Bauherrenseite zu erreichen. Das Potenzial der BIM-Methode und die geeignete Anwendung sollen in den kommenden Jahren in vier bis fünf weiteren Strassenprojekten heraus­geschält werden.

BIM-Pilotprojekt Seestrasse Meilen

Als erstes Pilotprojekt wurde das Vorhaben «Seestrasse, Meilen (ZH)» bestimmt.1 Bis 2022 werden rund 400 m Fahrbahn instandgesetzt, zudem die Werkleitungen und die Strassenentwässerung erneuert, die Beleuchtung angepasst und eine neue Lichtsignalanlage gebaut. Integriert ist auch der Neubau des Bachdurchlasses Dollikerbach. Neben dem TBA Zürich sind die Gemeinde Meilen und vier Werkeigentümer involviert.

Im Frühling 2020 erarbeitete ein Kernteam der Bauherrschaft mit dem für die Gesamtplanung verantwortlichen Büro die BIM-Anforderungen, die soge­nannten Informationsanforderungen Auftraggeber (IAG). Das Vermessungsbüro hat die Strassengeometrie im September 2020 neu aufgenommen. Bestehende Werkleitungen wurden anhand CAD-Dateien in die BIM-Software integriert.

Basierend darauf entwickelte das Planungsbüro die As-Planned-Modelle für Strassen, Kunstbauten und Werkleitungen sowie das Gesamtko­ordinationsmodell. In dieser Phase mussten viele Entscheidungen früher als sonst getroffen werden. Für die Teilprojektleitungen war diese Phase intensiv und erkenntnisreich, da einige der vertrauten Arbeitsschritte nicht BIM-kompatibel sind: Insbesondere ist es nicht mehr möglich, den Umgang mit wichtigen Details erst kurz vor Baubeginn festzulegen. Solche kurzfristigen Anpassungen des Modells kosten Zeit und Geld und sind somit tunlichst zu vermeiden.

Im As-Planned-Modell werden Konflikte wie im Pilotprojekt «Seestrasse, Meilen (ZH)» zwischen dem Bachdurchlass, den Werkleitungen und der Fahrbahn sofort sichtbar. Im Gegensatz zur konventionellen Projektierungsmethode mit Plandarstellungen werden im Modell nicht nur einzelne Schnitte, sondern deren Gesamtheit gezeigt.

Diese Transparenz erfordert von den Beteiligten ein sehr hohes Engagement, damit Kolli­sionen vor der Ausschreibung geprüft und bereinigt sind. Auch die geplanten Bauvorhaben der Dritten sind in Fachmodellen projektiert und dienen als verbindliche Grundlage für die Ausschreibung der Bauarbeiten.

Modellbasierte Submission

Die Arbeiten zur Seestrasse wurden in einem Präqualifikationsverfahren und modellbasiert aus­geschrieben. Das Tiefbauamt geht mit der modellbasierten Ausschreibung im Vergleich zu anderen Bauherrschaften einen Schritt weiter in Richtung der ganzheitlichen Anwendung der BIM-Methode.

Da die beteiligten Planungsbüros verschiedene BIM-fähige Softwaresysteme anwenden, mussten die Daten mittels IFC-Format ausgetauscht werden. ­Mithilfe einer zusätzlichen Software konnten die ­Geo­metrie und die Attribute zum Durchlass in das ­Ausschreibungsmodell integriert werden. Somit sind sämtliche Arbeiten im Strassenraum modell- und ­objektbasiert ausgeschrieben. Die Submission ist noch nicht abgeschlossen, doch hat bereits die Präsentation gezeigt, dass die Baufirmen den Bauherrschaften und Planungsbüros im Bereich Digitalisierung ein paar Schritte voraus sind.

Daten für die Zukunft aufbereiten

Die Datenqualität des As-Built-Modells soll den Be­dürfnissen und Anforderungen des TBA für die lange Phase der Bewirtschaftung gerecht werden. Für diesen Projektperimeter wird das 2022 zu erstellende As-Built-Modell dem künftigen Bestandsmodell entsprechen. Darin liegt ein grosser Vorteil, denn bei einer späteren Strasseninstandsetzung können alle erforderlichen ­Informationen zur Lage der Werkleitungen, zu ver­wendeten Materialien und Volumen des Strassenkörpers abgerufen werden.

Heute platziert man allfällige ­Schäden, die man bei einer Inspektion erkennt, direkt im ­Unterhalts- und Bewirtschaftungssystem. Das sind Geoinformationssysteme wie Logo beim Kanton, Mistra beim Bundesamt für Strassen oder weitere GIS-basierte Lösungen bei den Gemeinden. Mit dem As-Built-Modell könnten in Zukunft sowohl Schäden als auch Resultate einer Überprüfung und ausgeführte Unterhaltsmassnahmen im digitalen Zwilling erfasst werden.

Für das Tiefbauamt als langfristig orientierten Bauherrn liegt der zentrale Mehrwert der BIM-Methode im Hinblick auf eine effiziente Bewirtschaftung in der Durchgängigkeit und Zentra­lisierung (single source of truth) der Bauwerksdaten. Herausfordernd wird der Umgang mit den enormen Datenmengen sein, der einfache Zugriff darauf im täglichen Geschäft sowie die effiziente und sichere Bewirtschaftung der Daten, sodass diese auch in 50 Jahren noch verwendet werden können.

Veränderte Rollen

In der Baudirektion (BD) werden die Kräfte nun gebündelt. Die Entwicklung des BIM soll durch eine Arbeitsgruppe «BIM@BD» amtsübergreifend koordiniert und begleitet werden, um die entstehenden Synergien für den gesamten Zyklus der Planung, Projektierung, Realisierung und Bewirtschaftung von Infrastrukturen innerhalb der BD zu nutzen. Für die erfolgreiche Anwendung des OpenBIM-Ansatzes ist ein grosses Know-how bezüglich Datenformaten, Schnittstellen und Softwaresystemen unerlässlich.

Die ersten Erkenntnisse aus dem Pilotprojekt an der Seestrasse deuten darauf hin, dass die erforderlichen höheren Investitionen in der Projektierungsphase sich in der Realisierungsphase bezahlt machen werden. Es wird erwartet, dass das «Planen auf der Baustelle» und damit auch die Kosten für Unvorhergesehenes geringer ausfallen als üblich. Zudem hoffen die Verantwortlichen, dass der digitale Zwilling einen grossen Nutzen für die langjährige Betriebsphase sowie für nachfolgende bauliche Mass­nahmen bringen wird.

Anmerkung
1 Kriterien für ein Pilotprojekt: 1. Es muss zeitnah ausgeführt werden. 2. Als Standort wird eine Gemeinde gebraucht, die bereits innovativ und digital arbeitet. 3. Der Projektumfang muss verschiedene Infrastrukturen wie Kunstbauten und Werkleitungen beinhalten, also nicht nur Belagsarbeiten.

Seestrasse Meilen ZH

 

Bauherrschaft: Kanton Zürich, Bau­direktion, Tiefbauamt

 

Fachplaner Kunstbauten: Aschwanden & Partner, Rüti ZH

 

Gesamtplaner/Fach­planer Strassenbau/Vermessung: Basler & Hofmann, Zürich

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